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17.06.00 Das Mittelmeer – Ein Raum des Schicksals für Europa und für Deutschland. Teil II: Der Kalte Krieg

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. Juni 2000


An der Schwelle zum Abgrund
Das Mittelmeer – Ein Raum des Schicksals für Europa und für Deutschland. Teil II: Der Kalte Krieg
Von GREGOR M. MANOUSAKIS

Die Verschärfung der Ost-West-Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg führte in Mitteleuropa zu einer kritischen Lage. Die sowjetischen Streitkräfte waren dort den westlichen, einschließlich den amerikanischen, weit überlegen. Die Gründung der Nato (1949) hat die Situation zunächst nicht wesentlich verändert. Die Westeuropäer wären zu schwach gewesen, um einen weiteren Vormarsch der Roten Armee in Richtung Atlantik stoppen zu können.

In jene hochsensible Gemengelage stieß zu allem Überfluß eine kommunistische Rebellion in Griechenland. Die bereits kommunistischen Nachbarn im Norden unterstützten die griechischen Genossen auf vielfältige Weise.

Zunächst war Hellas nach Kriegsende zum Schützlings Großbritanniens geworden. Es ging darum, die Sowjetunion unter allen Umständen vom Gestade des Mittelmeeres fernzuhalten. Aber London konnte die ihm daraus erwachsene finanzielle Last nicht lange tragen. Im Februar 1947 teilte die britische Regierung der amerikanischen mit, am 1. April 1947 würde sich England aus Griechenland zurückziehen.

Im März verkündete US-Präsident Harry Truman seine Doktrin, wodurch die Vereinigten Staaten Großbritannien als Helfer in Griechenland ablösten. Kurz darauf erschien die 6. US-Flotte im Mittelmeer, die bis zum Ende des Kalten Krieges ein fester Bestandteil der nordatlantischen Truppenpräsenz in Europa bleiben sollte.

Die 6. US-Flotte setzte sich aus zwei Flugzeugträgern mit 180 bis 200 Flugzeugen, mehreren Kreuzern, etwa 25 Zerstörern, rund 40 U-Booten und 15 sonstigen Einheiten samt einem amphibischen Verband mit 1800 Marineinfanteristen zusammen. Das spanische Rota, das italienische Neapel, wo sich auch ihr Hauptquartier befindet, und das griechische Souda (Kreta) waren die Häfen, die dieser beachtlichen Armada zur Verfügung stehen – auch für die Lagerung ihrer Atomwaffen.

Die 6. US-Flotte hatte einen doppelten Auftrag. Im Bereich des Mittelmeeres befanden sich in der Zeit des  Kalten Krieges täglich  rund 2600  Handelsschiffe, davon etwa 1500 auf See und 1100 in den Häfen. Von den 1500 auf See fuhren etwa 1200 unter der Flagge westlicher oder dem Westen verbundener Länder, die übrigen von neutralen Ländern oder dem Ostblock. Hier lag somit eine wichtige Versorgungsstraße für ganz Europa, deren Bedeutung desto mehr wuchs, je mehr in der Energieerzeugung aus Kohle durch Erdölprodukte ersetzt wurde. Dieses Öl kam meist vom Mittleren über den Nahen Osten, der im Zuge der arabischen Auflehnung gegen den Kolonialismus und des arabisch-israelischen Konflikts bis zum heutigen Tage ein Unruheherd bleiben sollte. Daher schien das Mittelmeer, zumal seine östliche Hälfte, als Versorgungsstraße Westeuropas tatsächlich schutzbedürftig. Der wichtigste Auftrag der 6. US-Flotte war jedoch die Wahrung der militärischen Interessen der Nato. Zum Thema "Mittelmeer im Kalten Krieg" ist auch in deutscher Sprache ein umfangreiches Schrifttum vorhanden. Die wichtigste Rolle der 6. US-Flotte für die westeuropäische Verteidigung erscheint hier jedoch nur am Rande: eine Bedrohung der gesamten Südflanke des Warschauer Paktes. Ihre Luftwaffe konnte, vor allem im Verbund mit den Luftstreitkräften der Türkei, Griechenlands und Italiens – der Nato-Länder, die abseits der eventuellen mitteleuropäischen Front standen –, dem Warschauer Pakt erhebliche Schläge zufügen und somit einen Vormarsch gen Westen empfindlich stören. Wie zentral der Part jener Flotte wirklich war, konnte später auch durch Dokumente des Warschauer Paktes erhärtet werden.

Allerdings hätte ein Hauptstoß nicht in Richtung mittlerer Rhein, wie im Westen allgemein angenommen wurde, sondern ausgehend von einer Frontlinie Bayreuth–Regensburg–Passau in einer unmittelbaren Südwest-Offensive nach Lyon geführt. Alle Kriegsszenarien, die in Europa im Zusammenhang mit der 6. US-Flotte veröffentlicht wurden, gingen also von einer Grundannahme aus, die sich im nachhinein als fehlerhaft erweisen sollte. Obwohl sie oft die Unterschrift von bekannten Militärs tragen, waren sie vermutlich falsche Einblicke in das Zukunftsbild eines Krieges, der nie stattgefunden hat.

Die Nato-Annahmen hatten vor allem einen Paten: den Glauben, der Westen verfüge über die besseren Waffen, was im Ernstfall die zahlenmäßige Überlegenheit der Streitkräfte des Warschauer Paktes ausgleichen würde. Es sei dahingestellt, warum europäische Militärs und Sicherheitspolitiker so lange an diese Fiktion geglaubt haben, obwohl russische konventionelle Waffen so oft den Westen überraschten (Mig 29, Mittelstreckenbomber Backfire B, Panzer T 72, Raketenschlachtschiffe [Kirow], U-Boote, nicht zuletzt die Kalaschnikow).

Aus diesem Glauben ging die Überzeugung hervor, der Ernstfall in Europa würde ein konventioneller Krieg sein; daraus entwickelten die Planungsstäbe jene Szenarien, wie der Warschauer Pakt auf breiter Front am Rhein zum Stehen gebracht werden könnte. Hieraus speiste sich indes auch die Befürchtung, die beiden Supermächte könnten sich zu Lasten Europas einigen. Der Aufbau einer eigenständigen französischen Atommacht, der "Force de Frappe", hatte in dieser Befürchtung ihren Ursprung.

Berücksichtigt man aber die Geschichte, die Stärke und die Bewaffnung der 6. US-Flotte, so ist die Schlußfolgerung fast zwingend, daß alle diese Szenarien von Washington nicht geteilt wurden. Die Dominanz der USA in Europa gehört zu den Grundvoraussetzungen ihrer Vorherrschaft in der Welt. Zu keinem Zeitpunkt waren sie bereit, Deutschland aufzugeben. Auch konnte es letztlich nicht im Interesse der Amerikaner liegen, daß Mitteleuropa in ein Schlachtfeld verwandelt wird, auf dem sich die mächtigsten Armeen der Welt hin- und herschieben. In beiden Fällen hätte Amerika Europa verloren – sei es, weil ohne Deutschland der Rest nicht gehalten werden konnte, sei es, weil das wirtschaftliche und soziale Elend, das ein buchstäblich zertrümmertes Mitteleuropa hervorgerufen hätte, den ganzen Kontinent zum Kommunismus hätte führen können.

Im Ernstfall wollten die USA daher offenbar zügig taktische Atomwaffen in Europa einsetzen, und dafür war die 6. US-Flotte da. Ihre Luftwaffe und die Atomwaffen, die ihre Flugzeugträger mitführten oder die in der Türkei, in Griechenland und in Italien gelagert waren, lassen kaum einen Zweifel daran.

Die Flotte der UdSSR war im Mittelmeer in den ersten Jahren nach dem Krieg schwach vertreten. Es existierte nur ein Stützpunkt für U-Boote im albanischen Hafen Flora und in der ihm vorgelagerten Felsinsel Sazanit. Nach dem Bruch zwischen Moskau und Tirana mußten die Sowjets sogar diesen Stützpunkt noch aufgeben.

Doch der gescheiterte Versuch der UdSSR, auf Kuba Raketen zu installieren (1962), hatte den Moskauer Strategen zum zweiten Mal deutlich gemacht, daß ohne eine starke Flotte ihr Weltmachtanspruch gefährdet war. Schon 1956 mußte die Sowjetunion mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, um das Suez-Abenteuer Großbritanniens, Frankreichs und Israels zu stoppen.

Unmittelbar nach der Kuba-Krise tauchte im Mittelmeer ein "Detachement der Schwarzmeerflotte" auf, das etwa 20 bis 25 Schiffe umfaßte. Dieser Verband wurde vor allem als politisches Signal aufgefaßt, dessen Zweck es war, erst einmal "Flagge zu zeigen" und insbesondere der "arabischen Welt zu imponieren". Angesichts der massiven Überlegenheit der 6. US-Flotte stellte das Rumpfkontingent noch keine ernst zu nehmende Konkurrenz dar.

Aus diesem Blickwinkel entging den westlichen Medien zunächst, daß die Sowjetunion mit großer Anstrengung den Bau einer hochseefähigen Flotte betrieb. Mit einiger Überraschung mußte daher die Öffentlichkeit in den europäischen Nato-Staaten feststellen, daß während des Sechs-Tage-Krieges (Juni 1967) die Sowjetunion eine Flotte mit insgesamt 90 modernen Kriegsschiffen ins Mittelmeer entsenden konnte, womit das "Detachement" zur "3. Eskadra der Schwarzmeerflotte" aufwuchs. Zur gleichen Zeit, anläßlich der 50-Jahr-Feier der Oktoberrevolution, wurde Admiral Sergej Gorschkow zum "Admiral der Flotte der Sowjetunion" ernannt. Zum erstenmal in der russischen Geschichte wurde damit der Flottenbefehlshaber dem Marschall der Landstreitkräfte gleichgestellt – eine demonstrative Aufwertung des maritimen Arms der Sowjetarmee.

Es ist erstaunlich, daß trotz jener offenkundigen Machtdemonstration die westliche Publizistik den Auftritt der 3. Eskadra lediglich als "politischen" Akt beurteilte. Dabei blieb es auch, nachdem im Oktober 1967 ein kleines ägyptisches Torpedo-Boot der sowjetischen OSA-Klasse vor Port Said den israelischen Zerstörer "Eilath" mit STYX-Raketen versenkte. Dieser Raketentyp war der Nato bis dahin unbekannt gewesen. Man hatte ihr nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Erst hier wurde erkennbar, daß alle sowjetischen Kriegsschiffe im Mittelmeer mit dieser neuen Waffe bestückt waren.

Damit hätte klar sein müssen: Als bloß politische, sprich psychologische Demonstration gedacht war die 3. Eskadra zu groß und zu teuer.

Indes: Trotz ihrer Stärke wäre das sowjetische Marinekontingent im Mittelmeer im Ernstfall ohne Überlebenschance geblieben. Die integrierten See- und Luftstreitkräfte der Nato hätten sie binnen Stunden versenkt, selbst unter Berücksichtigung des Beistands, der ihr von russischen Luftwaffenverbänden vom damals mit Moskau verbündeten Ägypten oder Syrien aus hätte geleistet werden können.

Bekannt war allerdings seit Anfang der sechziger Jahre, daß sich die russischen Schiffe stets in der Nähe der schweren Einheiten der 6. US-Flotte aufhielten – so nahe, daß die Amerikaner den Russen gegenüber spotteten: wenn die Sowjets Paßfotos der Besatzungsmitglieder der 3. Eskadra bräuchten, könnte man sie ihnen schicken.

Die Lage war dennoch prekär für die Nato. Allen war klar, daß im Ernstfall zumindest die schweren Einheiten der 6. US-Flotte das gleiche Schicksal erleiden würden wie die gesamte 3. Eskadra. Damit wäre die atomare Bedrohung der Südflanke des Warschauer Paktes ausgeschaltet, womit die 3. Eskadra sich teuer verkauft hätte.

Die 6. US-Flotte hatte so (trotz andauernder Überlegenheit) ihre beherrschende Rolle eingebüßt, auch wenn dies der Öffentlichkeit verborgen blieb. Noch Mitte der siebziger Jahre stellten die Russen die Backfire-B (TU-22M) in Dienst. Dieser strategische Mittelstreckenbomber war beispielsweise in der Lage, von der Krim startend die Ägäis im Tiefflug zu überfliegen, vor Kreta aufzusteigen, die Rakete AS-6 abzufeuern und auf dem gleichen Weg zu verschwinden. Diese ferngelenkte Rakete hatte wiederum eine Reichweite von über 700 Kilometern.

Es ist nie direkt zugegeben worden, doch nach der Indienststellung der TU-22M hat Washington einen seiner beiden Flugzeugträger aus dem Mittelmeer zurückgezogen. Der dort verbliebene Flugzeugträger fuhr seit dem und bis zum Ende des Kalten Krieges nie mehr im Ostmittelmeer. So trat eine Patt-Situation ein.

Präsident Ronald Reagan wußte genau, was er tat, als er zu Beginn seiner Präsidentschaft 1981 ein gewaltiges Aufrüstungsprogramm verkündete. Dieses Programm traf die Sowjetunion in einer sehr kritischen Zeit schwer: einerseits konnte sie mit Stolz auf ihr Waffenarsenal blicken, das dem des Westens in nichts nachstand; andererseits hatte sie aber dieser Erfolg vollends erschöpft. In dem neuerlichen Rüstungswettlauf, den ihr Reagan aufzwingen sollte, konnte die kommunistische Supermacht nicht mithalten. Breschnew war überdies zu alt und zu krank (was auch für seine beiden ersten Nachfolger zutraf), um andere, phantasievollere Rezepte gegen die neuerliche amerikanische Herausforderung zu entwickeln. Als der jüngere und dynamischere Gorbatschow die bereits schwankende Bühne des Großreiches betrat, war es zu spät für eine Flucht nach vorn. Der Kalte Krieg hatte einen Sieger gefun- den. (Fortsetzung folgt)