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24.06.00 Im Lockerbie-Prozeß droht den Anklägern eine Blamage

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. Juni 2000


Warum Gaddafi ein "Schurke" bleibt
Im Lockerbie-Prozeß droht den Anklägern eine Blamage
Von Gregor M. Manousakis

In einem aktuellen Artikel der Londoner "Sunday Times" wird berichtet, daß der libysche Staatschef, Muammar al Gaddafi, zwischen 1980 und 1995 die Irisch Republikanische Armee (IRA) mit sechs Millionen Pfund Sterling finanziert habe. Dies gehe aus Berichten des britischen Geheimdienstes MI5 hervor, die erst jetzt bekannt wurden. Die Einmischung Gaddafis in den nordirischen Bürgerkrieg ist wohlbekannt und längst von Gaddafi selbst eingestanden. "Sunday Times" jetzt: "Hunderte von britischen Soldaten, Polizisten und Zivilisten wurden wegen der Großzügigkeit des Obersten Gaddafi ermordet oder verstümmelt."

Am 21. Dezember 1988 stürzte eine Verkehrsmaschine der Pan-Am auf dem Flug 103 von London nach Amerika durch einen Terroranschlag über dem schottischen Lockerbie ab. Alle Insassen der Maschine, 270 Menschen, sind dem Anschlag zum Opfer gefallen. Es handelte sich um das größte Massensterben in der britischen Luftfahrtgeschichte. Die weltweite Empörung über den Anschlag und die drastische Demonstration der Entschlossenheit der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, die Schuldigen zu fassen, erschienen absolut angemessen.

Schon unmittelbar nach dem Anschlag sind den britischen und den amerikanischen Geheimdiensten Indizien bekannt geworden, die auf Teheran, Damaskus und sogar Zagreb hinwiesen. Kroatiens Präsident Tudjman erhielt im serbisch-kroatischen Krieg auch Unterstützung von den persischen Mullahs, und Syrien ist bis heute der einzige Verbündete Irans in der arabischen Welt. Im Juli 1998 hatten die iranischen Mullahs Rache gegen Amerika geschworen, nachdem der amerikanische Zerstörer USS Vincennes über dem Persischen Golf versehentlich (so Washington) einen iranischen Airbus mit 298 Mekkapilgern abgeschossen hatte. Die amerikanische Unfall-Version wird von Teheran bis heute nicht akzeptiert.

Trotz der vorhandenen Indizien verloren aber Washington und London kein Wort über die möglichen Schuldigen des Anschlages über Lockerbie. Der Friedensprozeß im Nahen Osten war im Gange, und die USA bemühten sich um eine kooperative Haltung beider Länder. Also verfolgte man die Spuren der Attentäter nicht, die auf Teheran und Damaskus hinwiesen.

Doch der Terroranschlag konnte nicht ungesühnt bleiben. Libyen war längst international isoliert, und wegen der diversen terroristischen Aktivitäten würde auch der Vorwurf wegen des Anschlages über Lockerbie leicht an Gaddafi hängen bleiben. So geschah es; Gaddafi und Libyen wurden unter dem Druck Washingtons und Londons allerlei Pressionen ausgesetzt, bis hin zu einem von der Uno ausgesprochenen Embargo. Tripolis hat stets jede Beteiligung an dem Anschlag über Lockerbie mit Vehemenz bestritten. Dennoch hat Gaddafi verschiedene Vorschläge unterbreitet, um zwei libysche Staatsbürger, die als mutmaßliche Schuldige des Anschlags von Washington genannt wurden, vor ein internationales Gericht in einem arabischen Land und unter Beteiligung auch muslimischer Richter zu stellen.

Solche Vorschläge wurden aber schroff abgelehnt. Das Embargo wurde daher fortgesetzt, was langsam zum Ruin der libyschen Wirtschaft führte. Endlich beugte sich Gaddafi und lieferte die zwei Gesuchten aus. Was er lediglich erreichen konnte, war, daß das schottische Gericht, das die zwei Libyer aburteilen sollte, in Holland tagen würde.

Dieser Prozeß findet nun seit bald einem Jahr statt. Er entwickelt sich aber nicht gut für seine Initiatoren. Die bisherige Beweisaufnahme läuft jedenfalls auf einen Freispruch der zwei Libyer hinaus, sowohl aus Mangel an Beweisen, als auch, weil das Gericht kaum die Hinweise auf nicht libysche Mordverläufe ignorieren kann.

Die sich daraus ergebende Perspektive eines Freispruchs kann verheerende Folgen für Clintons Demokratische Partei angesichts der bevorstehenden amerikanischen Wahlen im kommenden November haben. Vor allem die Hinterbliebenen der Opfer des Anschlages sind über die Hintergründe des Prozesses im Bilde und machen der amerikanischen Regierung bereits schwere Vorwürfe: sie hätte den Fall Lockerbie ihren weltpolitischen Interessen geopfert. Der Freispruch der zwei Libyer würde zudem nicht nur eine weltweite Blamage für Washington und London bedeuten, sondern möglicherweise auch Schadensersatzansprüche Libyens wegen der Folgen des Embargos nach sich ziehen.

Gaddafi wurde von den Amerikanern in den siebziger Jahren als "Schurke" apostrophiert, nachdem er, als einziger Staatschef eines erdölproduzierenden Landes, mehreren internationalen Ölkonzernen die Ausbeutung des libyschen Erdöls zu seinen Bedingungen überantwortete. Verlierer waren amerikanische und britische Ölkonzerne, die den Gang der Dinge auch in Libyen bis dahin mitbestimmt hatten. Jeder einzelne der vielen Erdölkonzerne, die heute in Libyen tätig sind, ist so schwach, daß er nichts anderes kann, als sich auf seine Geschäfte zu konzentrieren, ohne Einmischung in die libysche Politik. Durch das Ausgraben der Verwicklung Gaddafis in den nordirischen Bürgerkrieg soll er daher in der Ecke bleiben, wo ihn die "Einzige Weltmacht" haben will: Die Welt soll daran erinnert werden, daß er ein "Schurke" ist, auch wenn seine Leute in Holland freigesprochen werden sollten.