28.03.2024

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24.06.00 Im Zeitalter der Globalisierung wird der Heimatbegriff immer wichtiger (Teil II)

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. Juni 2000


"Der Heimat geographisch näher"
Im Zeitalter der Globalisierung wird der Heimatbegriff immer wichtiger (Teil II)
Von Staatsminister ERWIN HUBER

Jeder von uns weiß, wie schwer gerade die Situation im nördlichen Ostpreußen ist, das über 40 Jahre völlig von der Welt abgeschnitten war. Und dennoch wächst dort Dank Ihrer vielfältigen Hilfen der Dom zu Königsberg aus Ruinen mächtig empor. Der Dom wird so zum Symbol Ihrer tiefen Liebe zur alten Heimat, aber auch zum Symbol Ihrer Kraft, 55 Jahre nach Flucht und Vertreibung in Ihrer alten Heimat aktiv zu wirken.

Die grenzüberschreitende Kulturarbeit ist also wichtig, damit zum einen die bedeutendsten Zeugnisse der deutschen Kultur in ihrer Heimat für die Nachwelt, für Europa erhalten bleiben. Sie ist aber auch deswegen wichtig, damit die Deutschen, die heute noch ist Ostpreußen leben, kulturell gestärkt werden und zu ihrer Identität finden. Und wie ich höre, festigt sich die Minderheit zunehmend und führt ein reges Leben.

Der Freistaat Bayern engagiert sich auch hier, sowohl im nördlichen wie im südlichen Ostpreußen. Schwerpunkt unserer gegenwärtigen Aktivitäten ist das Begegnungszentrum für die deutsche Minderheit in Allenstein, für das wir etwa 100 000 DM in diesem Jahr zur Verfügung stellen. Dieses Haus Kopernikus wird ja im Herbst in Anwesenheit von Frau Staatsministerin Stamm eingeweiht werden. Insgesamt fließen jährlich circa 160 000 DM aus Bayern nach Ostpreußen. Das ist eine kleine Ostpreußenhilfe wie anno 1915.

Das Jahr 1990 hat ein neues Kapitel in der europäischen Geschichte aufgeschlagen. Seitdem kann der gespaltene Kontinent zusammenwachsen. Seitdem erst besteht die Möglichkeit, daß sich die Deutschen und die östlichen Nachbarvölker gemeinsam einer friedlichen Zukunft in Europa zuwenden. Was mit Frankreich und den anderen westlichen Staaten in den 50er Jahren begann, das konnte nach Osten hin erst 45 Jahre nach Kriegsende beginnen. Und der Weg der Verständigung ist schwierig, weil die Menschen sich unendlich viel Leid zugefügt haben.

Die Heimatvertriebenen haben nicht erst seit 1990 die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Mit ihrer Charta von 1950, nur fünf Jahre nach dem Krieg, haben sie sich zu einem gemeinsamen Europa bekannt, daß keine Vertreibung mehr kennt, sehr wohl aber das Recht auf Heimat, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Nur ein an Werten orientiertes Europa ist ein zukunftsfähiges Europa. Nur ein Europa, in dem die Völker mit sich selbst und untereinander im Reinen sind, kann dauerhaft gute Nachbarschaft ausbilden. In diesem gesamten Wertekosmos müssen gerade auch jene Völker und Volksgruppen eingebunden sein, die die Inhumanität Europas im 20. Jahrhundert erfahren haben.

Die Charta von 1950 hat die Heimatvertriebenen mit zu einem Baumeister einer europäischen Wertegemeinschaft gemacht. Und wenn es jetzt um die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten hin geht, dann dürfen bei all den schwierigen ökonomischen und agrarpolitischen Fragen drei Punkte keinesfalls unter den Tisch fallen:

1. Wie sieht es in Europa mit dem Recht auf Heimat aus?

2. Gibt es in diesem Europa noch Dekrete und Gesetze, die völkerrechtswidrig und diskriminierend sind?

3. Wie sieht es mit der Beteiligung jener aus, das gilt für beide Seiten, die im vergangenen Jahrhundert in diesem Europa besonders gelitten haben?

Bei all diesen Fragen geht es nicht um die Monetik, sondern um die Ethik in Europa, um ein Wort des Oppelner Erzbischofs Nossol aufzugreifen, das dieser jüngst in München gesprochen hat.

Zum ersten Punkt: Recht auf Heimat. "Ohne Heimat sein, heißt leiden", schrieb einmal der russische Schriftsteller Dostojewski. Wer hätte das schmerzlicher erfahren als Sie, liebe Ostpreußen. Sie wurden aus Ihrer Heimat vertrieben. Sie waren heimatlos und haben unendlich viel gelitten. Sie wissen, was Heimatverlust für den Menschen existentiell bedeutet.

Lange war ja der Begriff Heimat verpönt. Er galt als rückständig, zurückgeblieben, provinzhaft. Aber heute, in einer Zeit der Globalisierung, wird den Menschen Heimat wieder wichtiger. Heute, nach den erneuten Vertreibungen auf dem Balkan, erkennen viele Menschen und Staaten in Europa, wie wichtig Heimat für den Menschen, für seine Orientierung, für seinen Lebensweg ist. In der Heimat erleben die Menschen Nachbarschaft. Heimat gibt Vertrautheit, und Vertrautheit schafft Geborgenheit. Heimat gibt den Menschen Identität und Unverwechselbarkeit. Heimat verhindert, daß Menschen anonym bleiben.

Die Heimatvertriebenen haben in ihrer Charta auf den Wert und die Bedeutung des Heimatrechtes hingewiesen. Sie sagten damals, daß der Mensch geistig getötet werde, wenn er aus seiner Heimat vertrieben wird.

Die Bayerische Staatsregierung hat dieses Heimatrecht immer bejaht und vertreten. Wie Sie vielleicht wissen, wird gegenwärtig in der Europäischen Union über eine EU-Grundrechtscharta diskutiert. Die Staatsregierung hat dabei das Recht auf Heimat auf die Verhandlungs-Agenda gesetzt.

Denn wir meinen: Mit Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit den schrecklichen Massenvertreibungen, mit Blick auf die jüngste Geschichte auf dem Balkan, muß sich Europa ausdrücklich zum Recht auf Heimat bekennen.

Heimatrecht ist mehr als Niederlassungsfreiheit. Heimatrecht umfaßt das Recht in seiner angestammten Heimat zu leben oder dorthin zurückkehren zu können.

Wir alle wissen dabei, 55 Jahre nach der Vertreibung kann kein Status quo ante wiederhergestellt werden. 55 Jahre nach der Vertreibung darf Heimatrecht niemanden anderen bedrohen, der jetzt in Ihrer alten Heimat lebt. Aber das Heimatrecht in einer EU-Grundrechtscharta wäre weithin ein Signal für das Recht der Völker dieser Erde.

Ich möchte in diesem Zusammenhang die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright zitieren, die in der Welt vom 23. März 2000 zum Kosovo-Krieg schrieb: "Wir haben die machtvolle Nachricht verbreiten können, daß ethnische Säuberung nicht nur ein Verbrechen ist, sondern sinnlos, weil ihre Verfechter der Isolation und Verachtung anheim fallen". Genau diese Botschaft muß von Europa ausgehen. Deswegen gehört das Recht auf Heimat in die EU-Grundrechtscharta. Bayern wird sich jedenfalls mit Nachdruck dafür einsetzen.

Und erfreulicherweise bemühen sich ja auch Staaten im östlichen Europa, dem Heimatrecht Geltung zu verschaffen. Allen voran hat der estnische Staatspräsident Meri schon frühzeitig die Deutschen zur Rückkehr in seine Heimat eingeladen. Litauen hat es ebenfalls getan, Ungarn ebenso. Diese Staaten haben damit deutliche Zeichen dafür gesetzt, daß sie Unrecht heilen wollen. Ihr Vorbild darf durchaus in Polen und in der Tschechischen Republik nachgeahmt werden.

Zum Zweiten: Völkerrechtswidrige und diskriminierende Dekrete und Gesetze. 1993 hat die Europäische Union in Kopenhagen Maßstäbe und Kriterien festgelegt, die für alle Beitrittskandidaten gültig sind. Die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Menschenrechte und der Minderheitenschutz sind und bleiben der Maßstab. Und da sage ich ganz klar: Weder die Dekrete und Gesetze in der Tschechischen Republik noch die Dekrete und Gesetze in Polen sind mit einer rechtsstaatlichen europäischen Ordnung vereinbar. Die Europäische Union kann eigentlich unmöglich etwas dulden und legalisieren, was einhellig als völkerrechtswidrig angesehen wird. Das wäre ein schwerer Konstruktionsfehler am gemeinsamen Haus Europa. Die Aufhebung derartiger diskriminierender und völkerrechtswidriger Dekrete würde doch heute bedeuten, anzuerkennen, daß die kollektive Vertreibung der Deutschen ein Unrecht war. Das demokratische Polen nähme dadurch seine ganze Geschichte an, so wie auch wir die dunklen Seiten unserer Geschichte annehmen und nicht wegdrücken.

Jetzt, 10 Jahre nach der Wende in Europa, wäre die Situation für Polen günstig, ernsthaft ein Zeichen in diese Richtung zu setzen. Dieses Zeichen wäre um so höher zu schätzen, wenn es aus freiem Antrieb käme. Ich baue darauf, daß sich das polnische Volk, das sich ja durchaus immer mehr dem Thema Vertreibung öffnet, im Zuge des Beitrittsprozesses zur Europäischen Union sich von völkerrechtswidrigen Dekreten verbindlich trennen wird, die Ausdruck einer unseligen Vergangenheit sind.

Der Beitritt Polens zur Europäischen Union ist grundsätzlich gewollt. Polen ist ein Eckpfeiler des christlichen Abendlandes und des gesamteuropäischen Kulturkreises. Polen gehört zum Urgestein Europas. Polen war auch immer ein Land, das nach Freiheit strebte. Es hatte die erste Verfassung in Europa. Es hat immer wieder versucht, das kommunistische Joch abzuschütteln.

Es ist daher eigentlich der großen Tradition des freiheitsliebenden Polen unwürdig, auf völkerrechtswidrigen und diskriminierenden Dekreten zu beharren. Ich glaube, das erkennen immer mehr Menschen in Polen.

Und lassen Sie mich hier noch einen Gedanken einfügen. Es paßt überhaupt nicht zusammen, daß die Bundesregierung gegenüber den östlichen Nachbarstaaten die völkerrechtlichen und diskriminierenden Dekrete offenkundig nicht mehr zur Sprache bringt, aber zugleich unseren Nachbarn Österreich der Verletzung "europäischer Werte" schilt. Verletzen denn die polnischen oder tschechischen Dekrete, aufgrund derer die Deutschen ausgebürgert, enteignet und vertrieben wurden, nicht die europäischen Wertemaßstäbe? Eine derartige Politik, die mit zweierlei Maß mißt, macht sich unglaubwürdig.

Zum Dritten: Es bricht sich niemand einen Zacken aus der Krone, wenn die Heimatvertriebenen in den Dialog um die Zukunft Europas auch von östlicher Seite her mit eingebunden werden. Die Heimatvertriebenen selbst bemühen sich um diesen Dialog. Schon dreimal fanden Gespräche der ostdeutschen Landsmannschaften mit hochrangigen Vertretern polnischer Parteien in Warschau statt. Hier sind die Heimatvertriebenen mit Warschau weiter als die Sudetendeutschen mit Prag. Das ist grundsätzlich der richtige Weg und die richtige Entwicklung.

Es wäre schön, wenn sich dieser Dialog verstetigen könnte und auch von der Bundesregierung begleitet würde. Betroffene zu Beteiligten machen, zu Mitgestaltern am europäischen Haus, das wäre dem demokratischen, offenen und wertorientierten Europa durchaus angemessen.

Dieses Deutschlandtreffen der Ostpreußen zeigt aller Welt: Sie stehen in Treue und Liebe zu Ihrer alten Heimat, dem "Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen". Ostpreußen ist und bleibt Ihr Auftrag, unser gemeinsames Erbe. Sie tragen Ihre Heimat im Herzen. Ostpreußen liegt in jedem einzelnen von Ihnen. Treu zur Heimat zu stehen und zugleich für die Verständigung in Europa zu arbeiten, das ist kein Widerspruch, im Gegenteil. Das ist eine großartige Leistung und Herausforderung auch für die Zukunft.

Ein französischer Politiker sagte einmal: "Tradition pflegen heißt nicht, Asche aufbewahren, sondern die Glut am Glühen halten". Ich bin sicher, die Ostpreußen haben auch weiterhin die Kraft und Vitalität, die "Glut am Glühen" zu halten. Bleiben Sie daher weiterhin so engagiert wie bisher! Meine guten Wünsche begleiten die Ostpreußen.

Der Freistaat Bayern als Patenland der Landsmannschaft Ostpreußen wird Sie auch künftig vertrauensvoll, verläßlich und glaubwürdig begleiten. Diese Versicherung dürfen Sie von Leipzig mit nach Hause nehmen.

Allen Ostpreußen ein herzliches Glück auf!

Auf Einladung der Landsmannschaft Ostpreußen sprach Staatsminister Erwin Huber als Gastredner während des Deutschlandtreffens der Ostpreußen in Leipzig in der Haupthalle auf dem Neuen Messegelände. Staatsminister Huber, der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei ist, sprach damit zugleich als Vertreter Bayerns, das seit 1987 Patenland für Ostpreußen ist.

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