19.04.2024

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24.06.00 Nadelstiche am Grenzübergang Beisleiden

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. Juni 2000


Königsberg blockiert sich selbst
Nadelstiche am Grenzübergang Beisleiden
Von Brigitte Jäger-Dabeck

Anfang Mai hatten die Wojewodschaftsregierungen Pommerns und Allensteins noch ein Abkommen mit der Verwaltung des Königsberger Gebietes geschlossen. Mit Volldampf sollte die Zusammenarbeit der Ostseeregion beginnen.

Und dann das: Die russische Verwaltung weigerte sich plötzlich, ihre Seite des polnisch-russischen Grenzüberganges bei Beisleiden/Preußisch Eylau auszubauen. Die Nachricht traf die Allensteiner wie ein Keulenschlag. Nachfragen in Königsberg waren nicht möglich, die Russen hatten einen Feiertag zur Verkündung dieses Beschlusses gewählt, sinnigerweise den 8. Mai. Im offiziellen Allenstein mochte niemand die russische Entscheidung kommentieren, bevor man mit den Königsbergern über die Gründe gesprochen hatte. Dem Pressesprecher der Wojewodschaft entfuhr nur die Bemerkung: "Es ist schwierig für uns ins Naturell unserer Nachbarn einzudringen."

Die Polen investieren nun schon seit Jahren in den Ausbau des Überganges, auch im Hinblick darauf, daß er bald die EU-Außengrenze markieren wird. Die Russen hatten noch 1998 in einer Vereinbarung zwischen Gouverneur Gorbenko und dem Allensteiner Wojewoden zugesichert, ihren Teil binnen zwei Jahren auszubauen.

Beisleiden bei Bartenstein ist derzeit der bei weitem größte der drei in Ostpreußen gelegenen Grenzübergänge zwischen Polen und der Russischen Föderation und als einziger Übergang sowohl für den internationalen Warenverkehr als auch für Personen aller Nationalitäten offen.

Im vergangenen Jahr verzeichnete Beisleiden 2 Millionen Grenzübertritte, 300 000 mehr als im Vorjahr, 1 Million PKW und 67 000 LKW wurden abgefertigt.

Wenn man diese Zahlen am Zustand der russischen Abfertigungsanlagen mit ihren gerade mal zwei Spuren mißt, ist es eigentlich ein Wunder, daß der Verkehr nicht längst kollabiert ist.

Das Erstaunen war daher nicht gering, als in Allenstein die Meldung durchsickerte, die Russen wollten nicht Beisleiden, sondern lieber Goldap und Heiligenbeil ausbauen.

Ryszard Chudy, Pressesprecher der Allensteiner Zollverwaltung zeigte sich irritiert. Er wisse auch nicht, warum die Russen erst Grenzübergänge ausbauen wollten, die für die Entwicklung der Region nicht so wichtig sind.

So würden sich die Handelsbeziehungen des Königsberger Gebietes sicher nicht entwickeln können, sagte er polnischen Journalisten. Regelrecht verblüfft war man in Allenstein, als der polnische Konsul in Königsberg die von ihm in Erfahrung gebrachten Motive der russischen Entscheidung mitteilte.

Einer der Gründe sei, daß Allenstein für das Königsberger Wirtschaftsleben unattraktiv sei. Viel mehr Hoffnung würde man in Königsberg auf eine Zusammenarbeit mit Danzig legen, das ein ganz anderes Wirtschaftspotential, Industrie und einen Hafen habe, sowie eine Drehscheibe sowohl nach Westen als auch nach Skandinavien sei, erklärte Konsul Andrzej Zbudzki der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza". Auch gäbe es kaum Allensteiner Interessenten bei Königsberger Handelsmessen, mit Danzig sei auch das ganz anders, habe man ihm bedeutet.

Eine in der Tat verblüffende Erklärung, die mit dem Hauptweg des Verkehrs aus dem polnischen Teil Ostpreußens nach Königsberg, der nun einmal über diesen Übergang geht, und der eine der wirtschaftlichen Lebensadern Königsbergs ist, nichts zu tun hat.

Wie so oft: die Frage nach dem Warum bringt einen im nördlichen Ostpreußen nur selten weiter. Da lag der Gedanke nahe, daß dies weder eine Provinzposse, noch eine Angelegenheit von regionaler Bedeutung ist, sondern eine Frage der großen Politik zwischen Moskau und Warschau, Spannungen hatte es in der letzten Zeit zwischen den beiden Nachbarn genug gegeben.

Und die russischen Nadelstiche gingen weiter. Plötzlich wuchsen ab dem 20. Mai die LKW-Schlangen auf der südlichen Seite der Grenze an, waren bald kilometerlang, eine völlige Blockade drohte.

Man sah von Beisleiden aus, daß es auf russischer Seite nicht voran ging, die Gründe kannte man nicht. Die Gerüchteküche brodelte und man vermutete zunächst einen Bummelstreik der russischen Zöllner. Weder die polnische Grenzpolizei noch der Zoll bekamen vor Ort irgendeine Antwort auf die Frage nach den Ursachen.

Erst nach Intervention des Wojewoden Zbigniew Babalski und der obersten Zollverwaltung erfuhr man in Allenstein nach Tagen endlich was los war. Seit dem 19. Mai galten in Rußland verschärfte Vorschriften, welche die Zollbeamten zu einer peinlich genauen Kontrolle des LKW-Warenverkehrs nötigten. Diese Durchsuchungsaktionen mußten nun direkt am Grenzübergang stattfinden. Bis dato waren solche Kontrollen erst im Landesinneren vorgenommen worden.

Das erklärte die wachsenden Schlangen. Wer Beisleiden kennt, weiß, daß in der russischen Abfertigungsanlage überhaupt kein Platz ist, um wie verlangt mehr als 10 Prozent aller LKW nahezu auseinander zu nehmen.

Von 40 Minuten bis zu weit mehr als einer Stunde dauerten die Durchsuchungen pro LKW. Dabei wurden auch die LKW noch einmal kontrolliert, die vorher schon von den Polen durchsucht worden waren.

Jegliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit war damit beendet. Alle zwei, drei Tage drohte nun der Verkehrsinfarkt, die Wartezeiten für LKW betrugen bis zu 40 Stunden, auch der PKW – Verkehr war durch die vollgepfropften Straßen stark behindert, die Wartezeit betrug hier bis zu 10 Stunden.

Im Hintergrund versuchten die Polen auf allen möglichen Kanälen von der Bezirksebene bis hin zu höchstens diplomatischen Ebenen mit den Russen ins Gespräch zu kommen.

Ratlos fragte man sich allenthalben, wie denn wohl das Königsberger Gebiet wirtschaftlich zu überleben gedachte, wenn offensichtlich von ganz oben in Moskau eine Art Grenzblockade verordnet wurde, die den Warenverkehr fast zum Erliegen brachte. Doch immer für eine Überraschung gut, teilten die Russen Anfang Juni der polnischen Grenzpolizei plötzlich mit, sie würden nun zu den alten Regelungen zurückkehren und die vermehrten Kontrollen einstellen.

Die Lage entspannte sich bald, allerdings ohne daß man bis heute von verläßlicher, zügiger Abfertigung ausgehen könnte.

Für den vorerst letzten Knalleffekt sorgten die Polen selbst und unterstrichen damit die labilen Verhältnisse an dieser Grenze quer durch Ostpreußen. Ende Mai berief die Grenzschutzbehörde die gesamte Beisleidener Belegschaft von 70 Mann mitsamt dem Kommandanten von ihren Posten ab. Als Gründe wurden vergleichsweise mangelhafte Aufklärungsraten bei Grenzvergehen genannt. So hätte man beispielsweise an dem kleinen Heiligenbeiler Übergang fast dreimal so viele gestohlene Autos beschlagnahmt. Als Problem sah man auch die Nähe zum illegalen Kleinhandel an. In Beisleiden machen diese Händler die bei weitem meisten Grenzübertritte aus und sie drohten den Übergang zu beherrschen, da allzu viele Beamte allzu viele Augen zugedrückt hatten.

Wie es nun weitergehen wird, das weiß letztlich niemand. Die Königsberger können kein Interesse an einer Eskalation haben. Dieser Übergang ist derzeit eine der unverzichtbaren Lebensadern der russischen Exklave.

Auch wenn der südlich der Grenze verlaufende Teil der Straße Elbing–Königsberg nun doch endlich den Status einer Expreßstraße bekommen wird und der Ausbau damit in der polnischen Prioritätenliste nach oben rutscht, wird Beisleiden noch lange ein Nadelöhr bleiben.

Die russische Politik der Retourkutsche trifft die ganze Region, was die polnische Seite berührt, beeinträchtigt hier immer auch die deutschen Landsleute im südlichen Ostpreußen. Vor allem aber ist Königsberg betroffen. Besonders leiden darunter dort natürlich auch die deutschen Interessen. Viele deutsche Königsberger Initiativen und Firmen sind in höchstem Maße besorgt. Im Verein mit den eingestellten Bahnverbindungen sieht selbst das Königsberger evangelische Gemeindezentrum dunkle Wolken aufziehen. Schon lange schrecke das stundenlange Gewarte an der Grenze viele potentielle Investoren sowie Besucher ab. Nach der eingestellten direkten Bahnverbindung sieht sogar die Kirche große Probleme auf die Reisebranche im ganzen Ostpreußen zukommen, für die Hilfsorganisationen würde die ohnehin schon schlechte Situation noch schwerer.

Besonders schlimm ist, daß so etwas jederzeit wieder passieren kann, Verläßlichkeit gibt es hier nicht. Die ganze Entwicklung macht deutlich, wie unsicher die Lage an dieser Grenze quer durch Ostpreußen ist. Diese labile Situation macht sie leider auch zum Objekt der großen Politik, die hier so demonstrativ auf dem Rücken einer gebeutelten Region ausgetragen wird, eben genau da, wo die Nadelstiche auch schön pieksen.