19.04.2024

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24.06.00 Das Mittelmeer – Ein Raum des Schicksals für Europa und für Deutschland. Teil III

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. Juni 2000


Wasser, Öl und Vorherrschaft
Das Mittelmeer – Ein Raum des Schicksals für Europa und für Deutschland. Teil III: Die Gegenwart
Von GREGOR M. MANOUSAKIS

Das Mittelmeer ist eine konfliktträchtige Region geblieben – auch nach dem Ende des Kalten Krieges. An seinem südlichen Ufer erhob unmittelbar nach Abklingen der alten Ost-West-Konfrontation der islamische Fundamentalismus sein Haupt und bedrohte die politischen Systeme Ägyptens und Algeriens. Beide Länder konnten ihre Stabilität vorerst nur durch ein hartes, zuweilen brutales Durchgreifen retten.

Das Interesse der Europäer an der Erhaltung einer weltlich orientierten Regierungsform in den arabischen Mittelmeeranrainern ist stark. Sollte es zu einer Machtergreifung der Fundamentalisten in Algerien kommen, so ist eine Massenflucht in Richtung Norden sicher. Eine Menschenlawine würde Spanien, Frankreich und Italien vor kaum lösbare Probleme stellen.

Die europäischen Mittelmeeranrainer sind daher entschlossen, eine solche Entwicklung zu verhindern. Eine Machtergreifung der Islamisten in Ägypten könnte zudem die Gefahr eines Genozids an den Kopten heraufbeschwören. Die Kopten sind eine uralte christliche Gemeinschaft, die lange vor dem Islam existierte und deren Hauptverbreitungsgebiete heute in Ägypten und Äthiopien zu finden sind. Die Perspektiven für das Schicksal der mindestens acht Millionen ägyptischen Kopten liegen ohnehin im Dunkeln.

Hingegen wurde Albanien bereits Schauplatz einer Massenflucht, wie sie nach 1991 auch in Algerien befürchtet wurde. Der Zusammenbruch der räuberischen "Investitionsbanken" ("Pyramiden") hatte die innere Ordnung des kleinen Landes am Ausgang der Adria fast aufgelöst. Dem anschließenden, gewalttätigen Chaos folgte gleichsam über Nacht ein Bevölkerungsexodus in Richtung Italien und Griechenland. Italien setzte seine Marine und Küstenwache ein und hielt so den Ansturm im Rahmen. Wegen seiner zerklüfteten Landesgrenze mit Albanien war Hellas dagegen mehr oder weniger machtlos, trotz des Einsatzes von Armee und Polizei.

Italien hatte es "besser". Die meisten Boote mit Flüchtlingen wurden schon auf der Adria ausgemacht. Die Desperados wurden an der Küste erwartet und dort in Lagern festgehalten, bis sie, oft mit Gewalt, zurück verschifft werden konnten. Im Herbst 1997 hat ein italienischer Zerstörer ein aus Albanien kommendes Schiff mit etwa 300 Passagieren in der Adria "versehentlich" gerammt und versenkt. Außerdem wurden die Häfen Albaniens von italienischen Sicherheitskräften stillschweigend besetzt.

Ein vergleichbares Drama spielt sich auch in der Straße von Gibraltar ab. Marokkaner und andere Afrikaner versuchen mit Booten die Meerenge zu überwinden, manche benötigen bis zu zwölf Stunden für die nur 16 Kilometer lange Fahrt: Starke Strömungen und dichter Verkehr von großen Schiffen machen die nächtliche, weil heimliche Schleichtour zur Höllenfahrt. Bei Dunkelheit werden die Boote schon durch die Abwässer großer Pötte zum Kentern gebracht, wenn sie vorher nicht gerammt worden sind.

Zentral- und Nordeuropäer registrieren kaum, wie auf diese Weise im Mittelmeer längst ein lautloser "Krieg" zwischen Flüchtlingen und den Sicherheitskräften der Nordanrainer entbrannt ist. Und das Klima wird noch rauher werden. In Nordafrika beträgt das jährliche Bevölkerungswachstum über zwei Prozent, in Europa stagniert es. Es wird geschätzt, daß im Jahre 2020 die Bevölkerung der Maghrebstaaten (Tunesien, Algerien, Marokko) 120 Millionen betragen wird. Im Gegenzug tritt dort das Pro-Kopf-Einkommen auf der Stelle, die Mittelschicht verarmt sogar zusehends. Sozialer Abstieg und Angst vor Verarmung wiederum sind Wasser auf die Mühlen radikal-islamischer Heißmacher, bei anderen erhöht der Niedergang den Drang zur Auswanderung. Zu all den brennenden Problemen wird in Nordafrika nun auch noch das Trinkwasser knapp. In Ägypten muß daher schon in einigen Jahren die Wasserversorgung rationiert werden.

Für die Abwehrmaßnahmen der Europäer gegen den Flüchtlingsstrom haben die arabischen Mittelmeerländer kein Verständnis, sie sprechen vielmehr von "feindseligen Handlungen". Dies, gemischt mit den vorhandenen Neidgefühlen und dem islamischen Radikalismus, ergibt Haß, mit dem die Europäer fortan konfrontiert sein werden.

Auch angesichts dieser brisanten Zuspitzung der europäischen Sicherheitslage im Süden haben Frankreich und andere europäische Nato-Partner die Unterstellung des Nato-Kommandos in Neapel unter einen europäischen Offizier gefordert. Dafür würde sich Frankreich gar ins militärische Glied der Allianz reintegrieren. Die USA lehnten dies jedoch strikt ab mit dem Argument, über die 6. US-Flotte könne nur ein Amerikaner befehlen.

Auch der Norden des "Mare Internum" ist alles andere als ruhig: Ihren umstrittenen, unerklärten Krieg gegen Jugoslawien mußte die Nato über das Mittelmeer führen. Ihre Kriegsschiffe wurden in der Adria postiert, und ihre Landstreitkräfte gingen in Thessaloniki an Land, um den Kosovo zu erreichen. Selbst die B-52-Bomber mußten, von Amerika kommend, über das Mittelmeer fliegen, um Ziele in Jugoslawien zu bombardieren, deren Beschuß nicht von Nato-Stäben genehmigt war.

Dieser Krieg hat die Probleme der Region nicht gelöst. Seine Rechtfertigungen wurden in Südosteuropa nie so recht geglaubt. Anhand der Fülle der Kosovo-Literatur, die jetzt in Deutschland vorhanden ist (Das Ostpreußenblatt berichtete), wird das Bild dieses Krieges zunehmend zurechtgerückt ...

Ein Sachverhalt, mit dem sich der Benutzer dieser Literatur konfrontiert, wird die Erkenntnis sein, daß lange vor dem Beginn dieses Krieges (24. März 1999) eine enge Kooperation zwischen den USA und der noch 1998 von ihnen selbst als terroristische Organisation eingestuften Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) bestanden hatte. Washington habe, so der Bundeswehrbrigadegeneral a. D. Heinz Loquai, somit die Nato kurz vor ihrem 50. Jubiläum zur "Luftwaffe der UÇK" degradiert.

Die ehemals kommunistischen Staaten Südosteuropas sind noch weit davon entfernt, die wirtschaftlichen Folgen der kommunistischen Herrschaft zu überwinden. Ihre jungen politischen Systeme werden daher von schweren wirtschaftlichen und sozialen Problemen geplagt. Ein weiteres gemeinsames Charakteristikum dieser Staaten sind die ethnischen Minderheiten, die sich schon im Mittelalter herausbildeten und von den Nationalstaaten, die erst im 19. Jahrhundert entstanden, geerbt wurden.

Die Zusammenarbeit zwischen den USA und der UÇK liefert nun ein Rezept an alle Minderheiten Südosteuropas, separatistische Bewegungen zu entwickeln, um einen "humanitären Krieg" gegen das sie regierende Land auszulösen. Henry Kissinger schrieb in diesem Zusammenhang: "Nach der Politik der Allianz in der Version Clinton-Blair müßte die Nato in Aktion treten, nur weil sie die einzige Macht ist. Dies ist aber unvereinbar mit dem Charakter eines Verteidigungsbündnisses. Wenn die Staatsgrenzen die Eigenschaft der Unverletzlichkeit verlieren, wer wird dann den Casus belli für die neuen humanitären Kriege bestimmen? Wenn die Nato sich der Uno unterstellt, wird sie dem russischen oder dem chinesischen Veto unterliegen; wenn dagegen die Nato darauf bestehen sollte, allein seine Rechtmäßigkeit zu bestimmen, wird sie mit dem Widerstand der übrigen Welt konfrontiert werden."

Der Krieg gegen Jugoslawien hat die Nato als Schlichter ethnischer Konflikte in den Augen vieler unglaubwürdig gemacht. Die Europäer werden sich wohl kaum wieder zu einem militärischen Einsatz gegen einen souveränen Staat bereit finden. Damit bleibt Südosteuropa und das Mittelmeer ohne Ordnungsmacht. Vor diesem Hintergrund beschloß die Europäische Union am 6. Juni 1999, eine eigene Verteidigung aufzubauen. So aber scheint ein womöglich verhängnisvoller Entweder-oder-Weg eingeschlagen: entweder Bruch mit Amerika oder Festigung seiner dominierenden Rolle in Europa.

Die USA werden ihre dominierende Rolle in Europa nicht einvernehmlich aufgeben. Dies trifft in besonderem Maß auch für das Mittelmeer zu. Von der Türkei und von Griechenland aus überwachen sie den unruhigen Nahen Osten und die arabischen Ölquellen. Nur durch ihre Präsenz im Mittelmeer können die USA außerdem einen neuen arabisch-israelischen Krieg verhindern. Trotz der erreichten Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern kann ein solcher Konflikt nie ganz ausgeschlossen werden. Ähnlich wie die Serben und die Kosovaren vor dem Krieg will die verantwortliche israelische und palästinensische Führung den Frieden. Ähnlich wie die UÇK die Serben, provozieren aber palästinensische Terroristen die Israelis zu scharfen Reaktionen.

Eine zusätzliche Bedeutung für die USA erhält das Mittelmeer durch die Entdeckung riesiger Ölfelder im Bereich des Kaspischen Meeres. Washington will offenbar verhindern, daß dieses Öl über russisches Gebiet zu den Weltmärkten gelangt. Eine Alternative wäre, den Rohstoff aus dem Kaspischen Meer in Tankern an die iranische Küste zu bringen und ihn von dort mittels Pipelines bis zum Persischen Golf zu pumpen. Das jedoch verhülfe dem Iran zu einer Schlüsselstellung, was die USA strikt ablehnen.

Also tritt Washington für eine Pipeline ein, die über Aserbeidschan und die Türkei bis zum türkischen Hafen Ceyhan im Ostmittelmeer führen soll. Sie wäre etwa 2000 km lang, würde vier Milliarden Dollar kosten und über die kurdischen Gebiete der Osttürkei gelegt werden müssen. Hier nun wiederum legen sich die amerikanischen Ölkonzerne quer: Die Trasse wäre zu teuer und terroristischen Anschlägen ausgesetzt.

Widerstand gegen die amerikanischen Pläne leisten bisher Frankreich, Italien, Österreich und Griechenland. Die drei ersteren Länder haben sich im Pipeline- und Ölgeschäft des Mittleren Ostens engagiert und entsprechende Verträge mit dem Iran und Turkmenistan (Erdgas) abgeschlossen. Zusammen mit Rußland hat außerdem Frankreich sogar mit dem verfemten Irak Verträge für die Erschließung und die Ausbeutung von neuen Ölfeldern geschlossen. Griechenland dagegen will eine Pipeline bauen, die vom bulgarischen Burgas bis Alexandroupolis (Nordägäis) führen soll. Das Öl wird mit Tankern vom russischen Noworossijsk bis Burgas gebracht und soll von dort bis Alexandroupolis geleitet werden.

Washington opponiert gegen den Bau dieser Pipeline, denn sie hätte zweierlei Folgen: das kaspische Öl würde über russisches Gebiet zu den Weltmärkten befördert und das würde die Pläne für eine Erdölleitung Aserbeidschan-Ceyhan erst recht unwirtschaftlich erscheinen lassen, ja über den Haufen werfen. Eben dies will aber Washington nicht. Die Türkei hat für die USA den Wert einer wesentlichen Basis zur Erhaltung ihrer Dominanz über Europa, nicht nur im Bereich des Mittelmeeres. Deshalb drängen sie auf EU-Mitgliedschaft Ankaras, und deshalb bleiben die griechisch-türkischen Probleme ungelöst.

Diese Probleme plagen seit 30 Jahren die Nato und vermindern ihre Funktionsfähigkeit an der Südostflanke. Die Wurzeln liegen in der Absicht der Türkei, die bestehende Grenze in der Ägäis zu revidieren, weil sie durch die Nähe der griechischen Inseln zur türkischen Westküste "erstickt werde", so Ministerpräsident Ecevit. Athen und die EU empfehlen der Türkei, ihre Wünsche vor dem Gerichtshof in Den Haag klären zu lassen. Auch Washington unterstützt diese Position. Ankara dagegen lehnt Den Haag ab und verlangt einen griechisch-türkischen Dialog. Um hier einzuwilligen, setzt Washington Athen unter Druck, weshalb die Griechen kratzen und beißen. So bleiben die Spannungen erhalten, trotz gelegentlich ruhigerer Perioden. Beide Länder gehören zu den besten Kunden der amerikanischen Rüstungsindustrie. Und womöglich sieht Washington selbst in diesen fortwährenden Spannungen eine Möglichkeit, um seine maritime Präsenz im Mittelmeer als dauerhaft unerläßlich darzustellen. Schluß