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08.07.00 Was Präsident Rau in Griechenland verschwiegen hat

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juli 2000


Kalavrita und das Völkerrecht
Was Präsident Rau in Griechenland verschwiegen hat
Von Hans-Joachim v. Leesen

Als in den ersten Apriltagen dieses Jahres der Bundespräsident Rau Griechenland besuchte, bekannte er in dem Dorf Kalavrita im Nordpeloponnes "Trauer und Scham". Die Deutschen Zeitungen meldeten das nur am Rande; offenbar waren die Journalisten der Meinung, daß derartige Trauer-und-Scham-Rituale deutscher Spitzenpolitiker keinen Neuigkeitswert mehr haben.

Die Erläuterungen für Raus Zerknirschung waren fast überall recht knapp gehalten. Man erfuhr nur, in jenem Dort hätten Deutsche Soldaten "über 1 200 Griechen ermordet". Immerhin lasen die heutigen Deutschen gelegentlich auch, daß diese Griechen als Vergeltung für die Ermordung von 81 Wehrmachtssoldaten erschossen worden seien.

Ein interessierter Bürger wandte sich an das Bundespräsidialamt und bat um Erläuterungen, welches der Grund für die erneuten Schuldbekenntnisse des Bundespräsidenten sei. Er mußte zweimal die Antwort anmahnen. Erst als er sich beim dritten Mal direkt an sein Staatsoberhaupt wandte und auch um den Nachweis seriöser historischer Literatur über die Vorgänge in Kalavrita bat, antwortete ein Ministerialrat im Namen des Bundespräsidenten.

Die Darstellung des Ereignisses, das damals am 13. Dezember 1943 zur Erschießung der männlichen Bevölkerung des Dorfes führte, war enttäuschend knapp gehalten. Immerhin erfuhr der Fragesteller, daß griechische Partisanen 81 gefangengenommene deutsche Soldaten liquidiert und daß dann als Vergeltung Soldaten der 117. Deutschen Jägerdivision alle männlichen Einwohner Kalavritas erschossen hätten.

Die Bitte nach historischer Literatur über den Vorfall erfüllte das Bundespräsidialamt durch Beilage eines feuilletonistisch gehaltenen Artikels aus dem Monatsheft der Städte und Landschaften "Merian" des Jahres 1983. Journalisten berichteten darin, die griechische "Volksbefreiungsarmee ELAS", eine kommunistische Partisanenorganisation, habe im Oktober 1943 bei Kalavrita 81 deutsche Soldaten gefangen genommen und  erschossen, als  sich deutsche Truppen näherten. Im  Tagebuch der 117. Jägerdivision sei festgehalten worden, so der "Merian"-Journalist: "Beginn des Unternehmens Kalavrita – Auftrag: Vernichtung der gemeldeten Banden ... 10. 12. 43: Divisionskommandeur befiehlt die Säuberung der erreichten Räume und Rückmarsch der Truppen unter Durchführung schärfster Sühnemaßnahmen ... 13. 12. 43: Kalavritas Bandenunterkunft und Sammelpunkt für deutsche Gefangene völlig zerstört. 511 männliche Einwohner erschossen."

Offensichtlich hält das Bundespräsidialamt vom Völkerrecht nichts, denn sonst wäre man bei einer sachlichen Beurteilung des Vorfalls zu dem Schluß gekommen, daß es die griechische Seite war, die Kriegsverbrechen begangen hat. Wenn Freischärler Besatzungstruppen angreifen, ist das ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Wenn dann 81 gefangengenommene Soldaten ermordet werden, dann ist das eindeutig ein Kriegsverbrechen. Auch alliierte Truppen kannten hier keine Gnade. Sühnemaßnahmen sind im Falle von Partisanenüberfällen durch das Völkerrecht gedeckt. Nach diesem internationalen Recht werden in solchen Fällen die Partisanen dafür verantwortlich gemacht, daß  die strenge Trennung von Soldaten und Zivilisten zerstört wurde. Nach dem Urteil des amerikanischen Militärgerichts V in Nürnberg (Prozeß gegen die Südostgenerale) war diese Situation in Kalavrita gegeben. Auch ein Bochumer Gericht, das wegen der Vorfälle in Kalavrita 1972 verhandelt hat, bekräftigte das amerikanische Urteil. Dem "Merian"-Artikel zufolge hat das Gericht schließlich das Verfahren eingestellt u. a. mit der Begründung: "In dieser Situation waren Repressalien notwendig und zulässige völkerrechtliche Mittel ..." Daß die in concreto ergriffenen Repressalien damals in einem unangemessenen Verhältnis zu den vorausgegangenen Völkerrechtsverletzungen (der Gefangennahme und Erschießung der Besatzungssoldaten durch die Partisanen) standen, haben die Ermittlungen nicht ergeben. Soweit die historischen Tatsachen und die juristische Beurteilung.

Derartige juristische Urteile können natürlich die Grausamkeit eines Krieges nicht beiseite wischen. Doch ist das Kriegsvölkerrecht keine wertlose Spielerei, sondern erfüllt die Aufgabe, im unsagbar Schrecklichen einen letzten Rest von Zivilisation zu sichern. Verstöße dagegen enden – wie in Kalvrita – meist in (rechtlich gedeckten) Vergeltungsmaßnahmen oder gar im furchtbaren Exzeß. Der Bruch des Kriegsvölkerrechts gilt nicht umsonst als ein schweres Verbrechen. Und: Das Kriegsvölkerrecht gilt für Besatzer und Besetzte, im konkreten Fall: für Deutsche und Griechen.

Der Bundespräsident hat es übrigens nicht für nötig erachtet, anläßlich seiner Reise nach Griechenland auch die Gräber seiner 81 von griechischen Partisanen ermordeten Landsleute zu besuchen. Auf die entsprechende Frage des erwähnten Briefeschreibers antwortete im Auftrage Raus sein Ministerialrat, schließlich bedenke der Bundespräsident ja schon anläßlich des Volkstrauertages der Opfer von Krieg und Gewalt.

Übrigens forderte bald nach der Scham-Demonstration des Bundespräsidenten Griechenland als bisher einziger Staat von Deutschland Reparationen für Repressalien gegen Partisanen.