16.04.2024

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08.07.00 Zitate

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juli 2000


Zitate

Wenn ein Kind zu seiner Mutter sagt: "Du bist die Allerschönste auf der Welt", dann ist die derart idealisierte Mutter ein Bild, das dem Ereignis der Liebe entstammt. Ich will das noch an einem anderen, sehr viel delikateren Beispiel zeigen. Ich tue das, obwohl ich damit wunde Stellen berühre und gleichsam mitten in unbewältigte Neurosen hineinlange. (Aber ich halte es für gefährlich, nach wie vor den Nazis darin hörig zu sein – wenn auch in Form von negativen Reaktionen –, daß wir bestimmte Werte, wie etwa die des Vaterlandes, für uns shocking sein lassen, nur weil die Nazis mit ihnen Schindluder getrieben und es fertiggebracht haben, uns lange nachschwelende Komplexe zu applizieren.) Das Lied "Deutschland, Deutschland über alles" kann uns die beiden Grundformen des Ideals, das der Liebe entstammende und das zur Ideologie pervertierte, in großer Prägnanz sichtbar machen: In seinem ursprünglichen Sinne war es sicher ein Lied, das genau der Liebeserklärung des Kindes gegenüber seiner Mutter analog war: "Du bist das allerschönste Land mit Deinen Burgen, Flüssen und Wäldern; in der ganzen Welt geht mir nichts über Dich". Es ist die Liebeserklärung ans Vaterland, das so wohl jeder Bewohner jedes Landes ausspricht. In diesem Satz eine objektive Aussage über Rangstufen der Völker und über die Spitzenstellung des eigenen Volkes sehen zu wollen, wäre ebenso läppisch, wie wenn man dem Kinde unterstellte, daß seinem Bekenntnis "Du bist die Schönste" der Charakter einer Diagnose zukäme, die sich auf exakte Testvergleiche seiner Mutter mit anderen Frauen gründete. Das gleiche Ideal des Vaterlandes, das so der Liebe entstammt, kann im nächsten Augenblick – und wir haben ja diesen Augenblick erlebt – zum ideologischen Stimulans des Nationalsozialismus werden …
Helmut Thielicke,
evangelischer Theologe, Universitätsprofessor und früherer Leiter des theologischen Amtes der Württembergischen Landeskirche in "Theologie und Zeitgenossenschaft", 1967

In bestimmten Bereichen wird jeder, der eine abweichende Meinung vertritt oder auch nur abweichende Fragen stellt, mit dem Verdikt belegt, er sei ein Rechtsradikaler oder ein Verharmloser und Relativierer. Es kann aber glücklicherweise gar keinen Zweifel geben, daß in unserer Gesellschaft über 90 Prozent der Bevölkerung – darin eingeschlossen Journalisten, Historiker, Politiker – die NS-Ideologie verabscheuen und entschieden ablehnen. Man muß diese Ablehnung aber nicht hundertmal betonen, sondern vielmehr die Frage stellen, warum in einem ansonsten normalen europäischen Kulturstaat eine solche Diktatur an die Macht gelangen konnte, und warum ansonsten ziemlich durchschnittliche Menschen in großer Zahl dazu gebracht werden konnten oder sich selber dazu bereit fanden, mit gutem Gewissen Massenverbrechen zu begehen. Daraus kann man Lehren ziehen, nicht aus der bloßen Beschwörung. (…)

Der Widerstand ist bei uns leider erst nach 1945 immer stärker geworden, als es keinerlei individuelles Risiko mehr bedeutete, gegen das NS-Regime zu sein, wie es heute auch keinerlei individuelles Risiko bedeutet, gegen abweichende Meinungen zu Felde zu ziehen. Die Frage, wie weit die Betreffenden unter anderen Umständen im Strom der Mehrheitsmeinung schwimmen würden, sollte man vielleicht auch einmal stellen.
Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte und Professor für Neuere Geschichte an der Universität München im Interview mit "Focus", 3. Juli 2000