27.04.2024

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08.07.00 Im Rheinsberger Schloßtheater beleben junge Künstler preußische Musiktradition

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juli 2000


Elan und Eigensinn
Im Rheinsberger Schloßtheater beleben junge Künstler preußische Musiktradition

Dort, wo Friedrich II. als Kronprinz vier glückliche Jahre verbrachte – im Genuß der zauberhaften märkischen Landschaft und seiner Lieblingsbeschäftigungen, der Musik und der Philosophie –, dort ließ Friedrich-Bruder Heinrich 1774 ein Schloßtheater bauen und sorgte bis zu seinem Tode 1802 für Konzerte und Opernaufführungen, die auch die Herrschaften aus Berlin anreisen ließen, Fachkritiker wie Vergnügungssüchtige.

In diesen Tagen sieht es ganz so aus, als würde Rheinsberg wieder zum Kunstmekka wie vor zweihundert Jahren. An den Wochenenden pilgern Großstädter per Rad, Auto und Bahn in das 80 km nördlich von Berlin gelegene Kleinod, erfreuen sich der Seen, Wälder, der klassizistischen Architektur und gehen abends ins Schloßtheater, um Innovatives aus dem "Haus für junge Künstler" zu erleben. Gespannt wartet Rheinsberg dann auf die Kritiken der in Berlin erscheinenden Zeitungen, auch überregionaler.

Pünktlich zur Jahrtausendwende hatte man mit der Uraufführung der Kammeroper "Kronprinz Friedrich" von Siegfried Matthus (geboren 1934 in Mallenuppen, Kreis Darkehmen) das rekonstruierte Schloßtheater eröffnet. Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Die Rheinsberger Musikakademie hat ein ebenso ehrgeiziges wie eigenwilliges Programm aufgebaut. Unter dem Titel "Schloßtheater Rheinsberg – ein Haus für junge Künstler" wechselten von Januar bis Mitte Juni an den Wochenenden Konzerte, Musiktheateraufführungen und Lesungen. Den Abenden gehen instrumentale Workshops oder ein Chortraining voraus oder sie führen namhafte Künstler und deren ehemalige Schüler aus aller Welt zusammen. Abende greifen auch direkt lokale Musiktradition auf und die jungen Musiker interpretieren Werke verflossener Rheinsberger Hofkapellmeister.

Einer davon heißt Johann Abraham Peter Schulz. Von ihm stammt neben dem allbekannten Lied "Der Mond ist aufgegangen" die reizende opéra comique "Die Fee Urgèle". Im April 2000 kam sie auf die Schloßtheaterbühne. Das Sujet geht auf einen mittelalterlichen Stoff zurück, der reichlich ironisch mit dem Rittertum und mit weiblichem Keuschheitsfanatismus umgeht. Ein wohlpräpariertes Orchester, Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie, und die jugendlichen Protagonisten sorgten für unerwarteten Ohrenschmaus und eine Überraschung, nämlich die erstaunliche stilistische Mozart-Nähe dieser Rheinsberger Schöpfung, deren luftig-duftige Musik gefangen nahm. Die "Rheinsberger Maskerade", Mitte Mai uraufgeführt, holte die alten Schloßkomponisten sogar auf die Bühne: Quantz, Graun, Benda, Janitsch und Schaffrath kriegen sich dort arg in die Wolle. Erahnt, nicht historisch verbürgt sind die verbissenen, eitlen Streitereien um Vorherrschaft am Hofe, sind die Musen, die den eifrigen Notenkopisten und Genien erscheinen, ist Friedrichs unerfüllter Traum von einem Abschiedsfest von Rheinsberg. Das Verwandlungs- und Verkleidungsspiel als heitere Kammeroper kreiert, lebt von szenischen Pointen und gut gewählten Musikzitaten von Barock bis Rock (Musik: Thomas Bürkholz). "Lilith" heißt eine Collage aus Klang, Gesang und getanzten Bildern, deren klar-schlichte Ästhetik fesselt. Erzählt wird nach der Vorlage des Talmud von den ersten Menschen Adam und Lilith, wie sie Selbstbewußtsein erlangen und aufeinander zugehen, wie Lilith leidet und vergeht. Diese hier flieht nicht, sondern wandelt sich in eine angepaßte Eva, die sozusagen ein Zugeständnis an Adam ist. Helmut Zapf schuf dazu eine musikalische Linie aus gesprochenen Lauten, eindringlichen Instrumentalsoli, dramatischen Schlagzeug- und elektroakustischen Parts.

"L’homme machine – eine multimediale szenische Aktion für Musiker und Darsteller, Projektionen und Videoeinspielungen" klingt ein bißchen befremdlich, ist aber recht unterhaltsam. Herr La Mettrie und seine Theorie vom Maschinen-Menschen werden porträtiert. Dazu entlockt der grandiose junge Musiker Matthias Bauer seinem Kontrabaß ungeahnte Töne und zitiert musikalisch pointiert aus Friedrich II. Leibarzt’ Vortrag zum Lieblingsthema: der Mensch ist eine Maschine. Zum Abend gehören eine coppelia-artige "mechanische Arie" sowie eine "Kardiometrie" – eine Percussion-Orgie vom Feinsten. Des weiteren ein Tänzer, der die "Mechanik und die Kräfte der Abnutzung" vorführt, sowie sinnfällig eingeblendete bewegte Bilder von Zahnrädern und vom im Takt arbeitenden homo sapiens. Die Zeitgenossen, die den Mediziner für verrückt erklärten und verhöhnten, bemerkten freilich nicht, was für ein prägnanter Sarkast er war. Text und Ton vom erfahrenen Opernkomponisten Georg Katzer wie die szenische Komposition von Regisseur Alexander Stillmark lassen die einstündige Aufführung zum Spiegel unseres hochtechnisierten Alltags werden, zu einem Fest musikalischer Kunstfertigkeit und des intelligenten Theaterwitzes.

Eine wiederentdeckte Oper und vier Musiktheater-Uraufführungen binnen weniger Wochen belegen schon jetzt einen künstlerischen Elan, der sowohl für die tourismusheischende Region als auch für die Musikszene in der nahegelegenen Hauptstadt von Bedeutung werden können. Gegenwärtig (bis 13. August) findet zum 10. Male das internationale Festival Kammeroper Schloß Rheinsberg statt, das bereits junge Opernsänger und Publikum aus aller Welt anzieht. So jung und progressiv kann Traditionspflege sein.

Paula Bötzow