20.04.2024

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08.07.00 UNTERHALTUNG

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juli 2000


UNTERHALTUNG

Wenn das Heu duftet
Von GÜNTHER SCHIWY

Das Dorf Kreuzofen, das 33 Pferde, zwei Ochsen und 90 Kühe besaß, benötigte unbedingt mehr Acker- und Wiesenflächen. Deshalb wurden die Niederungs- und Moorflächen am Kurwiener Fließ und am Niedersee kultiviert, um mehr Futterplätze für das Vieh zu erhalten. Es wurde insbesondere intensive Wiesenentwässerung betrieben, um neue Wiesen zu bekommen, auf denen das Vieh im Sommer grasen und auf denen für den Winter Heu gewonnen werden konnte. Oft taten es die Bauern mit Hilfe staatlicher Beihilfen durch Einzelmelioration selbst, um Dauerweiden zu erhalten.

So wurden durch Drainierung nasse Schwemmwiesen in fruchtbare Dauerwiesen verwandelt, die der Forstverwaltung gehörten. Das geschah in den 20er Jahren auf Dembniak, Bjäwafkä, Swary, Läsarsch, Pulefka, Bhaseyka und Klinnzany, aber auch auf Woka und Parowu am Niedersee. Hier wurden neue Äcker und fruchtbare Wiesen geschaffen, die vom Forstamt Kurwien an die Landwirte verkauft oder an die Kätner und Waldarbeiter sowie Kossäten, die über keine eigenen Wiesen verfügten, jedes Jahr neu verpachtet wurden. Auf einer Wiesenauktion im Frühjahr in der Gaststätte Arndt in Klein Kurwien konnten die einzelnen Parzellen meistbietend ersteigert werden. Die Interessenten schauten sich vorher den Graswuchs auf den Einzellosen an, um die besten für sich zu gewinnen. In der Regel wollten die Vorbesitzer das Wiesengelände des Vorjahres haben.

Die Ersteigerung der Natur- und Kunstwiesen galt für den 1. und 2. Schnitt. Es mußte im Sommer reichlich Heu in die Scheunen gefahren werden, denn der Winter in Masuren dauerte recht lange. Für die Kühe wurden ausreichend Heu und Futterrüben gebraucht, weil man Wert auf eine gute Milchleistung legte.

Mein Vater pachtete drei zusammenhängende Wiesen auf Pulefka, die uns gutes und kräftiges Gras und damit Heu einbrachten. Pulefka lag ungefähr 5 km von Kreuzofen entfernt.

Im Monat Juni zu Johanni begann die Heuernte. Vater stand schon am Vortag abends am Klappstock und klopfte mit dem spitzen Teil des Hammers am Holzklotz die Sensenscheibe scharf, damit sie am nächsten Tag mit dem Wetzstein nur abgestrichen zu werden brauchte. Der Sensenstiel und das Sensenblatt, das zusätzlich in einen Jutesack eingewickelt wurde, band er an der Fahrradstange fest.

Am nächsten Morgen vor Tagesanbruch fuhren Vater und ich auf seinem Fahrrad auf die Wiesen Pulefka, um die Morgenkühle für die schwere Arbeit zu nutzen. Zu dieser Zeit war außerdem das nasse Gras leichter zu mähen. Das Grasmähen erforderte viel Kraft, Können und technisches Geschick, so daß ich meinen Vater bei seiner Arbeit bewunderte.

Nachdem das Fahrrad unter einer Fichte abgestellt war, begann Vater mit dem Mähen. Es wird etwa 4 Uhr morgens gewesen sein. Gleichmäßig zog er seine Sense Schritt für Schritt, eine Sensenlänge nach der anderen, bis er am Kurwiener Fließ angekommen war. Dort wurde die Sense mit einem Büschel Gras zunächst abgewischt, die Schneide in den Fluß gesteckt, der Wetzstein aus dem Schluckerfäßchen geholt und die Sense damit abgezogen, geschärft. Vater mähte die Wiese im Rechteck. Meine Aufgabe bestand darin, das von meinem Vater gebündelt abgelegte Gras in die Hände zu nehmen und auf der gemähten Wiese fein zu zerstreuen, damit es besser trocknen konnte und so daraus Heu wurde.

Vater hatte immer ein gutes Wiesengelände ausgesucht, auf dem vorzügliches Gras wuchs. Es kam dabei nicht auf die Menge des Grases, sondern vielmehr auf die Zusammensetzung, also die Qualität an. Im Durchschnitt war es gutes Viehfutter, das unsere Kuh gern fraß.

Wenn der Morgenzug von Ortelsburg nach Johannisburg um 8 Uhr den Bahnhof Kurwien erreichte und wieder abfuhr, hörten wir das Anfahren und Schnaufen der Lokomotive. Dann war es Zeit, eine Frühstückspause einzulegen, um uns zu stärken. Mutter hatte uns im Rucksack ein gutes und großes Frühstückspaket mitgegeben, das aus Schinken- und Wurstbroten bestand. Außerdem war eine Menge gekochter Eier dabei. In der großen Kaffeekruke befand sich der Muckefuck.

Vater und ich setzten uns auf einen Baumstumpf im nahen Fichtenwald, den Blick auf die halbgemähte Wiese gerichtet, und waren mit dem bis dahin geschafften Arbeitspensum vollauf zufrieden. Glücklich schauten wir uns an. Dabei wechselten wir kaum ein Wort. Vater schwitzte. Sein Hemd war naß. Mittags, wenn die Sonne am Himmel am höchsten stand, waren die drei Wiesen gemäht und das Gras auseinandergestreut. Vater band Sensenstiel und -blatt wieder am Fahrradrahmen fest, ich setzte mich auf den Fahrradrahmen und wir fuhren durch den kühlen Wald nach Hause.

Das Trocknen des Grases war Aufgabe meiner Mutter und der Kinder. Bei schönem Wetter fuhren Mutter und ich auf ihrem Fahrrad, die beiden Holzharken am Fahrrad festgebunden, auf die Wiesen von Pulefka, um zu heuen. In der Regel trafen wir dort zwischen 9 und 10 Uhr ein, wenn die Sonne die Wiesen getrocknet hatte. Am Wiesenrain war die Luft geschwängert von dem süßen Duft des Heus und den Gerüchen des Waldes und der Felder. Über Pulefka stand ein strahlend blauer Himmel. Sofort begannen wir mit den Holzharken das Gras zu wenden. Meine Mutter ging einen Streifen voraus und ich hinter ihr her. Diese Arbeit setzten wir solange fort, bis das gesamte Gras oder Heu gewendet war. Dann begann für meine Mutter und für mich die wohlverdiente Essenpause. Es wurden am Waldrand im Schatten belegte Brote gegessen und Kaffee aus der Emailkanne getrunken sowie geruht. Während der Heuernte fiel im Juni kaum Regen, so daß wir viel schwitzten.

Nachdem das Heu auf der Oberseite von der Sonne getrocknet war, wurde es erneut gewendet, um am Abend trocken zu sein. Jetzt konnte das Heu in Rundhaufen, sogenannten Käpsen geschichtet werden, damit es vom Regen nicht wieder naß wurde. Deshalb sind die Wiesen vom Heu sauber geharkt worden. Der Heuduft stieg uns in die Nasen und war gut zu riechen. Nach getanem Heuen fuhren meine Mutter und ich müde und geschafft nach Hause. Oft verspürten wir Rückenschmerzen.

Hatte das Heu einen bestimmten Trockenheitsgrad erreicht, konnte es eingefahren werden. Wir spannten am Abend Konopkas Pferd Peter vor den Leiterwagen. Meine Mutter belud mit viel Geschick den Wagen, während Vater oder Konopka ihr das Heu mit der Forke zureichten. Meine Arbeit bestand darin, das auf den Wiesen heruntergefallene Heu zusammenzuharken.

Wenn das Fuder mit dem Heu beladen war, hatte es eine Höhe von drei bis vier Metern. Der oben aufliegende Wiesenbaum wurde vorne und hinten mit einem Tau festgezogen und hielt so das lose Fuder Heu zusammen.

Während mein Vater mit seinem Fahrrad nach Hause fuhr, stiegen Konopka und ich zu meiner Mutter auf das Heu, um damit auf unsere Scheunentenne zu fahren. Jedes Fuder, das meine Mutter belud, hat sicher die Scheune erreicht!

Zu Hause angekommen, entluden Vater und Konopka mit Forken den Heuwagen. Mutter und mir fiel jetzt die Aufgabe zu, das lose Heu auf dem Heuboden bis zum Dachfirst zu stapeln. Gegen 10 Uhr abends war das Heu in der Scheune. Vater und Konopka ließen es sich nach getaner Arbeit nicht nehmen, ein paar Korn oder Bärenfang und ein kühles Bier gemeinsam zu trinken, die mein Vater gern spendierte. Dabei gab es ein ausgiebiges Gespräch.

Beim zweiten Heuschnitt im Spätsommer wiederholten sich dieselben Arbeitsvorgänge.

 

Sommerbild

Von MARGOT MICHAELIS

Die Sommerfelder

wogten sanft

Lerchen füllten

den Himmelsraum

Pferde standen

im Gegenlicht

am Horizont

der dunkle Wald

 

Glück und Unglück auf den Memelwiesen
Von HANNELORE PATZELT-HENNIG

Auf den Memelwiesen begann die Heuernte. Man war mit der Fähre über den Strom gekommen, mit der die vollen Fuder wieder hinübergebracht werden mußten. Von Jakubeits war diesmal auch die Erna mitgenommen worden. Sie war zum ersten Mal bei der Heuernte dabei. Und die Arbeit wie auch das Miteinander dort draußen gefiel ihr gut.

Erna war ein zierliches, hübsches Marjellchen, flink wie ein Wiesel und lobenswert fleißig, aber von Natur aus recht schüchtern, besonders dem Mannsvolk gegenüber, das hier auf den weiten Memelwiesen zur Heuernte reichlich vertreten war. Von so mancher Wiese gingen aufmerksame Blicke junger Burschen in die Richtung, wo die Erna beim Wenden und Käpsen half.

Das beobachtete Albert Jakubeit, der Sohn der Bauersleute, bei denen sie seit einem halben Jahr in Stellung war, mit einigem Mißmut, denn seit Erna bei ihnen auf dem Hof war, gab es in seinem Herzen nur noch Strömungen, die sich auf das Mädel ausrichteten. Von Anfang an hatte sie ihm gefallen, doch war es ihm bisher nicht möglich gewesen, ihr auch nur ein Deutchen näher zu kommen. Es tröstet ihn aber, daß sie auf die anderen Burschen nicht reagierte, die sich bei der Rast sehr geschickt bemerkbar zu machen verstanden, kurz vorbeikamen und mit Wichtigtuereien aufwarteten. Wurde Erna dabei persönlich angesprochen, stellte Albert sich meistens vor sie und gab die richtigen Antworten. Dafür war sie ihm aus tiefster Seele dankbar. Sie belohnte es meistens sogar mit einem aufrichtigen Lächeln, worüber Albert sich immer innig freute.

Der Albert gefiel der Erna sehr. Aber das war ein Geheimnis, das sie tief in ihrem Herzen bewahrte. Wo es auch bleiben sollte. Doch wie bei allem im Leben erwies sich die Zeit auch hierfür als begrenzt. Schon am Abend dieses Tages sollte es sich weisen.

Erna schien unermüdlich bei der Arbeit. Plötzlich aber, als die Sonne zu sinken begann, ging es keinen Schritt mehr weiter. Sie hatte sich auf unerklärliche Weise ganz plötzlich den Fuß verstaucht. Im Handumdrehen schwoll das Gelenk bedrohlich an.

Was nun? so fragte man sich. Das Jahr zeigte sich sehr regenfreudig. Dem Wetter täglich von neuem mißtrauend, hatte man beschlossen, an Ort und Stelle zu übernachten, wie es auf den Memelwiesen während der Heuernte oftmals geschah, damit am nächsten Morgen gleich weitergearbeitet werden konnte. Ernas verstauchter Fuß war deshalb ein Problem. Es gehörten Umschläge mit essigsaurer Tonerde auf das geschwollene Gelenk. Aber die hatte man nicht hier. Es half also nichts – die Marjell mußte zum Hof zurück!

Alle bedauerten das. Nur einer frohlockte insgeheim, der Albert. Er schlug dem Vater vor, noch rasch ein Fuder aufzustaken, das er dann mit der Erna nach Hause schaffen wollte. Dem Vorschlag stimmte man zu. Nur Erna wirkte unentschlossen. Sie fühlte ihr Herz bis zum Hals hinauf schlagen bei dem Gedanken an diese Heimfahrt, während der sie mit dem Albert so lange allein auf dem Fuder sein würde. Aber sie wagte nichts einzuwenden, da alles ihretwegen geschah. Wenn ich bloß erst in meinem Bett wär, dachte sie fortwährend. Und ärgerlich blickte sie dabei auf das immer weiter anschwellende Gelenk.

Als das Fuder fertig war, halfen ihr die Frauen liebevoll hinauf. Dort kroch sie so weit nach hinten, wie es ging. Als Albert hinaufkam und das sah, mußte er sich das Lachen verkneifen. Er sagte aber nichts, gab den Pferden die Leine, und die Fuhre schwankte davon. Auf den rechten Ellenbogen gestützt, das Bein mit dem schmerzenden Fuß lang ausgestreckt lag Erna im duftenden Heu und genoß das leicht schwankende Schaukeln des Fuders unter sich und die Weite des Himmels über sich. Sinnend schaute sie den vorüberziehenden Wolkenschiffen nach, die die Abendsonne vergoldete. Sie geriet ins Träumen und drusselte trotz der Schmerzen, die sie hatte, allmählich ein. Der Tag war lang gewesen. Die Arbeit schön, aber auch anstrengend. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß sie bald in tiefen Schlaf versank. Und sie hatte einen wunderschönen Traum. Sie sah sich als strahlende Braut an Alberts Seite die Stufen der Kirche emporschreiten, die zu dem Dorf gehörte, aus dem sie kam. Und er war mächtig stolz auf sie.

Schlaf und Traum waren so überwältigend, und dauerhaft, daß sie gar nicht bemerkte, als das Fuder auf die Fähre rollte, obwohl das Aufsetzen der Pferdehufe dort sehr viel vernehmlicher war als auf dem Sandweg bis zum Ufer. Und auch das Rollen der Wagenräder ergab auf der Fähre ein ziemliches Gepolter. Sie erwachte erst, als sie durch das Scheunentor fuhren, weil Albert, nachdem er es geöffnet hatte, den Pferden noch ein kräftiges "Hü" zurufen mußte.

Nun merkte Erna, wo sie sich befand, und daß es bereits dämmerte. Hastig rabastelte sie sich hoch. So unbemerkt wie möglich, wollte sie vom Fuder hinunter. Rasch kontrollierte sie, ob Albert dort, wo sie hinabzugleiten gedachte, nicht irgendwo stand. Als sie ihn nicht sah, drehte sie sich zum Fuder und ließ sich bäuchlings hinunterrutschen. Sie landete aber trotzdem in Alberts Armen. Und die hielten sie festumklammert. So fest, daß sie weder hin noch her konnte, denn Albert war ein großer, kräftiger Bursche.

Tief und ernst schaute er die Erna jetzt an. Und ebenso ernst sagte er dann zu ihr: "Eck häw di leev, Erna!"

Erschrocken blickte sie zu ihm auf, keines Wortes fähig. Da schloß er sie noch fester in die Arme und gab ihr einen Kuß. Sie wehrte sich nicht. Sie ließ es geschehen. Wie sehr ihr Fuß schmerzte, nachdem sie so lange geruht hatte, spürte sie erst, als Albert sie wieder freigab. Da merkte sie, daß sie kaum auftreten konnte. Aber das brauchte sie auch nicht. Albert begriff es sogleich, hob sie hoch und trug sie ins Haus. Es war wie ein Teil jenes Traumes, aus dem sie kurz vorher in die Wirklichkeit zurückgekehrt war. Und geheiratet haben die beiden auch.

 

Wenn der Bambus blüht

Von CARLA STEENBERG

In der Ferne Abendwolken,

dunkle Schatten –

tödlicher Widerschein

aus dem Bambushain.

Silbrige Blätter

wispern im Wind,

flüstern von Blühen und Welken.

Wenn der Bambus blüht,

verstummt sein Rauschen

weit im Raum.

Silberne Wolken am Himmel,

dunkle Schatten am Hang.

Wenn der Bambus blüht,

verstummt sein Gesang.

 

Der Lebensretter
Von WALTER ADAMSON

Es ist März, der heißeste Sommer seit 1902 ist vorüber. Herbst, in Australien, ein milder, sonniger Tag, keine Wolke am weiten, blauen Himmel. Wir haben eine Woche für "alte" Leute über 60 Jahre. Da können Senioren auf öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Fahrgeld zu bezahlen überall hinfahren. Das lassen wir uns nicht nehmen. Wir fahren mit der Tram und der Stadtbahn in einen an der Stadtgrenze gelegenen Vorort, in dem wir noch nie gewesen sind.

Meine Frau ist in Melbourne geboren, ich kam hier aus Königsberg vor 60 Jahren an. Damals hatten wir ein unvergeßliches Erlebnis:

Am Nachmittag auf der Rückfahrt wurde die Tram von einer Menge Schüler bestürmt. Nach kurzer Zeit stand die Tram dann an einer Haltestelle. Da sahen wir, wie ein kleines Kätzchen im Begriff war, unter unsere Tram zu kriechen. Im letzten Augenblick sprang einer der Schüler aus dem Wagen, ergriff das winzige Tier und trug es auf den Gehsteig zurück und in eine der Hauseingänge, um sich zu erkundigen, ob das Kätzchen den Bewohnern gehört.

Unser Wagen setzt sich wieder in Bewegung. Der Schüler muß auf die nächste Tram warten. Das kleine Tier aber lebt.

 

Wunsch

Von GERT O. E. SATTLER

Barfuß über Gräser laufen,

über frisch gemähtes Heu,

in den Weiden, auf den Wiesen,

ohne Angst und ohne Scheu.

Barfuß über Stoppeln springen,

ungestüm und selbstbewußt,

nach dem Austen, nach dem Ernten,

im Gefühl der Lebenslust.

Barfuß auf der Nehrung wandern,

hoch zur Düne, tief ins Tal

über Rohr und Ried und Reisig

hin und her und noch einmal.

Barfuß an der Bernsteinküste

durch den Kamm der Wellen geh’n,

ja, das wär’s am End’ des Lebens:

Bernsteingold im Wasser seh’n.

 

Die Konfirmandenprüfung
Von HERBERT HOFFMANN

Es muß wohl im Jahr 1907 gewesen sein. Pfarrer Wachhausen, der an der Evangelischen Dorfkirche in Goldbach tätig war, hatte seine Konfirmanden im Unterricht auf ihren großen Ehrentag gut vorbereitet. Viele Bibelsprüche, Liederverse aus dem Gesangbuch und der gesamte Katechismus waren auswendig gelernt worden und konnten aufgesagt werden. Alle waren auf die Prüfung am Konfirmationstag gerüstet.

Aber als dann der Tag immer näher rückte, wurde es doch dem einen oder anderen schon etwas mulmig zu Mute. Denn es gab ja damals, wie wir alle wissen, noch eine richtige Prüfung, und keiner kannte vorher die an ihn gestellten Fragen.

Auch Ernst Beckmann, der älteste Sohn des Schuhmachermeisters, war unter den Konfirmanden. Auch er hatte in den vergangenen Monaten fleißig gelernt, und wenn ihn seine Mutter abfragte, dann wußte er alles und konnte alle Fragen beantworten.

"Du brauchst doch vor der Prüfung keine Angst zu haben, Ernstche", sagte sie, "du kannst doch alles."

Aber dem Ernst war nicht wohl bei der Sache. Wenn er doch das eine oder andere nicht wußte und dann die vielen Leute in der Kirche? Nein, wenn er an die Konfirmandenprüfung dachte, wurde ihm angst und bange.

An einem schönen Sonntag war es dann soweit. Am Abend zuvor mußte er noch in der großen Zinkwanne ein gründliches Bad nehmen. "Damit du auch ja schön sauber bist", hatte seine Mutter gesagt. Auch der Friseur hatte ihm einen neuen Haarschnitt verpaßt. Und so stand Ernst am Sonntagmorgen da, in seinem festlichen Konfirmandenanzug, frisch gewaschen und gekämmt, die Haare mit Pomade glattgestrichen, so daß seine Mutter voller Stolz sagte: "Ja, Ernstche, so gefällst du mir." Doch sein Herz schlug ihm vor Aufregung bis zum Hals hoch und er dachte, hoffentlich geht das alles gut. Aber da half kein Jammern und Wehklagen.

Vater Beckmann hatte im Küchenschrank für alle Fälle ein Fläschchen ostpreußischen Schnaps bereitstehen und gelegentlich trank er auch einen, immer dann, wenn er gerade einmal Lust darauf hatte. Nun war der Schuhmacher Beckmann alles andere als ein Trinker, aber das harte Leben in Ostpreußen war manchmal schon Grund genug, sich einen zu genehmigen.

Ernst saß in der Küche und wartete ungeduldig auf das Läuten der Kirchenglocken. Die Zeit wollte und wollte nicht vergehen. Sein Blick fiel auf den Küchenschrank und dort entdeckte er Vaters Schnapsflasche. Plötzlich hatte er eine Idee. Wenn so ein Schnaps seinem Vater in schwierigen Situationen half, warum nicht auch ihm? Und als er kurze Zeit später allein in der Küche war, war es für ihn ein Kleines, einen kräftigen Schluck aus der Flasche zu nehmen.

Zuerst blieb ihm die Luft weg, aber das wärmende Gefühl, das er später verspürte, ließ bald alle Zweifel schwinden. Erleichtert, ja beschwingt ging er mit seinen Eltern den Kirchberg hoch. Dort warteten schon die anderen, um mit Pfarrer Wachhausen unter den Klängen der Orgel in die Kirche einzuziehen. Zunächst ging auch alles gut, aber mit der Zeit spürte Ernst doch die Wirkung des Alkohols. Gelegentlich meinte er, auf dem Altar stünden zwei Pfarrer. Auch der Engel mit der Taufschale fing an hin und her zu schwanken. Und als der Pfarrer dann bei der Prüfung den Ernst fragte: "Was bewirkt das Abendgebet", hörte dieser die Frage nur aus weiter Ferne.

Als der Pfarrer dann zum zweiten Mal fragte: "Na Ernst sag, was bewirkt das Abendgebet?", kam die leise Antwort: "Das Abendgebet wirkt einschläfernd." Verwundert sah Pfarrer Wachhausen den Ernst an und schüttelte den Kopf.

Ja, so war das damals an der Konfirmation des Jahres 1907 im ostpreußischen Goldbach.

Jahre später, als Ernst selbst Kinder hatte, hat er ihnen diese Geschichte erzählt. Und auch, daß er damals, als sie nach Hause kamen, von der Mutter eine tüchtige Tracht Prügel bekam.

Den Schnaps hat Ernst Beckmann stets gemieden, denn der Schluck aus der Schnapsflasche seines Vaters am Konfirmationstag, war für ihn eine Warnung ein Leben lang.

 

Land an der Memel

Von KARL HOFFMANN

Land, fast grenzenlos geweitet,

drüber Wolkenschatten flieht:

Niederungen, hingebreitet,

Wehmut durch die Wälder zieht.

Bändergleich sind die Alleen

grün von Ort zu Ort gespannt.

Ist’s als ob die Zeit blieb stehen,

führen weiter sie durchs Land.

Dunkler Wolken Regenschwere

lastet über Bruch und Feld.

Blumen auf des Ackers Leere

sind wie eine andre Welt.

Eingestürzt der Kirchen Hallen,

keine Glocke klingt ins Land.

Auf den Türmen, die zerfallen,

nur der Storch noch Heimstatt fand.

Einsam ist des Stromes Gleiten,

trägt er kaum noch Schiff und Kahn.

Nur des Reihers Schwingen breiten

sich im Flug auf seiner Bahn.

Land, das weithin ausgebreitet,

steht es doch in Raum und Zeit,

die noch immer drüberschreitet.

Leben ist Vergangenheit.

 

Heimat im Herzen

Von EVA PULTKE-SRADNICK

Kick mal da im grienen Kleid,

is das nich die Annche Schneidereit?

Was hat die fier’n

staatschen Mann?

den kick ich mir von vorne an!

Ich schleich mich ran

ganz sacht von hinten.

"Bist du de Annche

wo aus Zinten?"

Die kuckt mich ganz verbiestert an,

"Erbarmung nei,

ich bin von Craam."

Dann stellt euch vor,

ich seh Max Mellen,

den Jugendfreund aus Kraxtepellen!

Erbarmung, war der alt geworden,

ich dachd auch schon,

der wär gestorben,

der glubschd mich an,

ich dachd, o Graus,

seh ich womeglich auch so aus?

Und immer wieder trafst Bekannte,

selbst unser Tante Malchen rannte

mit fliegenden Röcken durchen Saal

se had es ganz eilig,

denn se mußde "e mal".

In jeder Halle, ach wie schön,

konntest immer wieder

unser Ostpreußen seh’n,

Marzipan, Gewebtes,

das Ostpreußenkleid,

Bücher, Majolika, Bernstein –

und als Wahrzeichen ewiger Zeit

– den Elch.

Ruhig, vertraulich,

als wollte er sagen,

ich bleib in der Heimat.

Ihr müßt nicht verzagen.

Das Kulturelle kam auch nicht

zu kurz.

manch einem war dies

nicht gerade piep-schnurz,

aber wenn er mal huckte

so richtig bequem,

fiel es ihm schwer

wieder aufzusteh’n,

weil er trank sein Tulpchen

und dann ’nen Pillkaller,

den mit der Leberwurst,

leider war er bald aller.

So saß vor mir einer,

so vertraut anzusehen,

er murmelte leise:

"Ach mein liebes Ostpreußen,

was warst du doch scheen",

verstohlen wischte er

ein Tränchen sich weg

fragte dann mich ganz leise,

"Gibt’s vleicht hier auch Fleck?"

Ich wußte es nicht,

hatte keines gesehen,

auch Königsberger Klops nich,

konnt’s auch nicht verstehen.

Aber was war hier Essen

und was war hier Trinken,

konntest doch statt dessen

deinem Nachbarn winken.

Der Einmarsch der Fahnen,

die Redner und Sänger

hielten uns im Bann

wie der Rattenfänger,

dadurch wurde es uns wieder

nahe gebracht,

was man aus

unserer schönen Heimat gemacht.

Mit ihr im Herzen

und mit dieser Reise

zeigten wir Heimatliebe

auf unsere Weise.

Drum laßt’s leuchten von innen

bei Tag und bei Nacht,

dann haben wir

aus unserem Leid noch

das Beste gemacht.