18.04.2024

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08.07.00 Alle Strecken der Lycker Kleinbahn sollen eingestellt werden

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juli 2000


Attraktivste Linie gestrichen
Alle Strecken der Lycker Kleinbahn sollen eingestellt werden
Von Brigitte Jäger-Dabeck

Die kleine Lokomotive faucht auf, Dampf quillt ihr zischend aus allen Ritzen. Ächzend setzen die Kolbenstangen zu den ersten Hüben an, dann drehen sich die Räderchen, der kurze Zug kommt in Fahrt.

Im Zuckeltrab geht es ruckelnd zur Stadt hinaus, vorbei an kleinen Dörfern, durch geheimnisvoll dunkle schattenspendende Wälder. Dann erneut durch weite Felder und Wiesen und immer wieder an silbern glitzernden Seen entlang tuckert das Bahnchen. Stundenlang schnauft die Dampflokmotive unermüdlich durch das Land, ein paar mal wird die Fahrt an kleinen Haltestellen unterbrochen. Schulkinder steigen aus. Dann geht es weiter – Blümchen pflücken während der Fahrt verboten – bis die Endstation bei Auersberg (Turowen) erreicht ist, nur wenige hundert Meter von der alten deutsch-polnischen Grenze entfernt.

Eine Reise in die Vergangenheit, eine Einladung zur Muße und zum Einlassen auf das Tempo einer anderen Zeit, die alle Reisenden verzaubert, ihnen diese Fahrt mit der Lycker Kleinbahn unvergeßlich macht.

Das soll nun aus und vorbei sein. Wenn es nach dem Willen der polnischen Eisenbahn PKP geht, werden sämtliche Strecken der Lycker Kleinbahn eingestellt, da sie allesamt defizitär seien. Seit dem ersten Mai ist die für den Sommertourismus attraktivste Linie gestrichen. Der Beschluß fiel in der Warschauer Zentrale der PKP, an den Leiter der Bahn in Lyck, Waldemar Plonski, hatte sich niemand gewandt.

Gerade diese zuerst geschlossene Strecke hätte während der Reisesaison das meiste Geld eingefahren, betonte Plonski gegenüber der polnischsprachigen Zeitung "Gazeta Warmii i Mazur".

Übers Jahr gesehen sei die Bahn allerdings ein Zuschußobjekt gewesen und hätte gerade mal die Hälfte ihrer eigenen Unterhaltungskosten eingefahren, begründete Marek Truszkowski von der Warschauer Generaldirektion der PKP den Einstellungsbeschluß. Immerhin solle die Schmalspurbahn aber Museumsbahn bleiben, dann allerdings ortsfest.

Ein Aufschrei der Entrüstung ging durch Lyck. Fast hundert Jahre ist diese letzte in Ostpreußen noch fahrende Kleinbahn alt. Sie hat bis heute ihren festen Platz als Vorortbahn im Lycker Nahverkehrsnetz.

Zwei komplette Linien werden noch befahren, die nördliche nach Turowen und die südliche nach Sawadden am Rajgrod-See, beide also bis direkt an die alte deutsch-polnische Grenze heran.

Viele Bewohner aus den Siedlungen der ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften fahren mit dieser Bahn nach Lyck hinein und zur Arbeit. Wie sie das in Zukunft bewerkstelligen sollen, ist genauso unklar wie die Frage mit welchen Verkehrsmitteln die Schüler aus diesen Orten ihre Schulen erreichen sollen.

Entsetzt ist man in Lyck aber vor allem wegen der touristischen Bedeutung der Bummelbahn. In allen Prospekten und Reiseunterlagen wird mit eben dieser Bahn als Hauptattraktion geworben. Sie war bis dato gleichermaßen Hauptanziehungspunkt für Einzelreisende sowie Gruppen, vom Kajaktransport bis zu Picknickfahrten und organisierten Sonderfahrten, ja selbst zu Draisinenwettrennen reichte das Angebot, erklärt Tadeusz Zaremba, Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde Lycks, vor allem die Fahrten unter Dampf seien der Renner gewesen.

1992 war es endlich gelungen, die Bahn ins Register der technischen Denkmale eintragen zu lassen. Urlaub ohne die Bummelbahn und die Veranstaltungen auf den Bahnhöfen sind auch für Vereinsmitglied Jaroslaw Frenczuk, Vizestarost des Kreises Lyck, nicht vorstellbar. Er kündigte Protest an.

Bei dem einen Schreiben blieb es nicht, es hagelte böse Briefe kulturhistorisch interessierter Kreise sowie unzähliger Einwohner der Region. Die selbst überraschte Verwaltung war aufgeschreckt und setzte sich an die Spitze der Protestbewegung.

Nun gibt es wieder Hoffnung, daß dieses einmalige Stück ostpreußischen Lebens und ostpreußischer Technikgeschichte erhalten bleibt. In Betracht gezogen wird die Gründung einer kommunalen Gesellschaft, welche die Lycker Kleinbahn übernimmt und – wenn auch eingeschränkt – weiter betreibt.