28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.07.00 Warum ich gegen das Stiftungsgesetz stimmen mußte

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Juli 2000


Zwangsarbeiter: Gleiches Leid – gleiche Entschädigung
Wo bleiben die "vergessenen Opfer"? 
Warum ich gegen das Stiftungsgesetz stimmen mußte
Von Martin Hohmann MdB

Der Bundestag hat am Don nerstag der Stiftungsinitia tive zur Entschädigung von Zwangsarbeitern zugestimmt. Von insgesamt 620 Abgeordneten haben 556 mit Ja, 42 mit Nein gestimmt, 22 haben sich der Stimme enthalten. Als Mitberichterstatter der CDU/CSU-Fraktion im federführenden Innenausschuß stand ich in einer besonderen Verantwortung. Ich habe gegen das Gesetz gestimmt.

Zu Anfang möchte ich eines klarstellen: Ich gönne jedem Menschen, der unter KZ- oder ähnlich schweren Bedingungen Zwangsarbeit leisten mußte, eine Geste der Entschuldigung und des finanziellen Ausgleichs von Herzen. Dennoch muß man meines Erachtens zwölf Punkte berücksichtigen:

Erstens: Gegenüber dem Ursprungsentwurf des Gesetzes wurden in den Beratungen zwar einige Verbesserungen erreicht. Aber: Alle wirklich wichtigen Bedingungen sind in dem Annex A des geplanten deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens festgehalten. Sollte die amerikanische Regierung nach Gegenlesen des deutschen Gesetzes substantielle Differenzen zu Annex A feststellen, dann wird sie den Notenaustausch unterlassen und damit auch das Inkrafttreten der Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in den USA verhindern. Die Bundestagsabgeordneten waren hier nicht eigentliche Gesetzgeber, sonderneher Notare bzw. Statisten.

Zweitens: Eine optimale Rechtssicherheit wurde nicht erreicht. Das wäre durch eine gesetzliche Regelung in den USA möglich gewesen. Die amerikanische Seite war dazu nicht bereit. Die US-Regierung wird die amerikanischen Gerichte schriftlich um Abweisung der jetzigen und künftigen Sammelklagen ersuchen (letter of interest). Wegen der Unabhängigkeit der amerikanischen Gerichte bleibt ein Restrisiko. Die deutsche Industrie ist gewillt, dieses Restrisiko zu tragen.

Drittens: In der Vergangenheit haben alle Bundesregierungen eine solche Verschiebung von Reparationsleistungen auf die private Wirtschaft unterlassen. Zuletzt hat Helmut Kohl im September 1998 die Verwendung von Steuergeldern ausgeschlossen: "Die Staatskasse wird nicht wieder geöffnet." Es handelt sich also um ein Projekt von Rot-Grün, wie auch in der Koalitionsvereinbarung nachzulesen ist.

Viertens: Der verständliche Wunsch von Abgeordneten, dem Zwangsarbeiterfonds – unter Umständen schweren Herzens – in der Hoffnung zuzustimmen, es werde der letzte Akt sein, ist Illusion. Im rot-grünen Koalitionsvertrag ist eine weitere Gesetzesinitiative zugunsten der "vergessenen Opfer" vorgesehen. Bei den Beratungen der Berichterstatter haben die Vertreter von Rot-Grün, insbesondere der Abgeordnete Beck, dementsprechend jede von Unions-Seite vorgeschlagene Formulierung eliminiert, die als finanzieller Schlußstrich hätte interpretiert werden können.

Fünftens: Die Conference on Jewish Claims against Germany (JCC) und Vertreter von Rußland und Ukraine, Weißrußland, Polen und der Tschechischen Republik waren am Verhandlungstisch. Sie konnten sich auskömmliche Anteile der zehn Milliarden DM sichern. Nicht aber der sogenannte Rest der Welt. Für diese große Gruppe ergibt sich eine Unterdeckung von ca. einer halben Milliarde D-Mark. Ein befriedigender oder gar abgestimmter Deckungsvorschlag liegt nicht vor. Rot-Grün brachte eine staatliche Nachschußpflicht ins Spiel. So macht man keine soliden Gesetze.

Sechstens: Am 23. März 2000 einigten sich die Verhandlungspartner über die sogenannte Allokation, das heißt die unumstößliche Aufteilung der zehn Milliarden DM auf die einzelnen Opfergruppen. Sie ist das Kernstück der Vereinbarung. Sie orientiert sich an den von dem Sachverständigen Professor Niethammer vorgelegten Zahlen. Sie bildet aber auch das politische Durchsetzungspotenzial, vor allem das der amerikanischen Verhandlungsseite und der Jewish Claims Conference, ab.

Siebtens: Für die jüdische und die polnische Opfergruppe sind je DM 1,8 Milliarden vorgesehen. Damit steht für alle jüdischen Zwangsarbeiter der Höchstsatz von 15 000 D-Mark bereit. Das wird trotz gleichen Leidensweges bei anderen Opfergruppen nicht möglich sein.

Achtens: Dies liegt auch an den zugrunde gelegten Opferzahlen. Die Bundesregierung hat die Zahlen von Professor Niethammer übernommen. Dieser hat sich an Zahlen orientiert, die er von der Jewish Claims Conference erhalten hat. Diese Zahlen werden von – auch jüdischen – Holocaustforschern öffentlich stark angezweifelt. Prof. Heinsohn, Institut für Genozidforschung der Universität Bremen, geht von 11 900 bis 35 900 überlebenden jüdischen Zwangsarbeitern aus. Dr. Brozik, JCC Deutschland, nennt hingegen die von der Regierung übernommene Zahl 162 000. Eine von mir angeregte Sachverständigenanhörung hierzu wurde abgelehnt. Die Prüfung der Zahlen wurde mit Antisemitismus gleichgesetzt. Warum sollten wir renommierten Forschern, darunter Nachfahren von Holocaustüberlebenden, auf ihrem Fachgebiet mißtrauen? Zudem: Die Wahrheit ist die Wahrheit, sie ist nicht pro oder contra, nicht anti- oder philosemitisch. Wenn wir Abgeordnete, die über diese Dinge informiert sind, schweigen, dann fürchte ich eine Wiederbelebung des Vorurteils, daß Juden – und es wird dann schnell verallgemeinert – eine besondere Beziehung zu Materiellem haben.

Wenn die Schieflagen jetzt und hier verschwiegen werden, können sie nur von Extremisten aufgegriffen und antisemitisch instrumentalisiert werden.

Eine von allen gewünschte Normalisierung oder gar Freundschaft funktioniert nicht so, daß der eine auf erlittenes Unrecht hinweist und deutlich übersetzte Forderungen stellt, während der andere daraufhin ängstlich schweigt und zahlt bzw. sich "freikauft".

Neuntens: Wegen der vorangegangenen milliardenschweren Entschädigungsleistungen für jüdische Holocaustopfer in Israel, der Bundesrepublik Deutschland und dem Westen werden diese mit der Zwangsarbeiterentschädigung eine Zusatzleistung erhalten. Andere, gerade aus dem ehemaligen Ostblock, werden sich mit einer erstmaligen, geringen Entschädigung begnügen müssen. Eine Anrechnung erhaltener Leistungen wurde von den Vertretern der Jewish Claims Conference "wegverhandelt". Auf meine Frage an die Bundesregierung, wie groß voraussichtlich die Zahl der Opfer sein wird, die im Zuge des jetzt geplanten Zwangsarbeiterfonds erstmals Entschädigungsleistungen erhalten, bekam ich am 5. Juli die Antwort, daß rund zehn Prozent erstmals Leistungen aus deutschen Wiedergutmachungsgeldern erhalten. Im Klartext: Für 90 Prozent der Opfer gibt es einen Nachschlag, für die zehn Prozent echter Erstbezieher wird das vorgesehene Geld kaum reichen. Hier liegt im Grunde ein Skandal: In der Darstellung nach außen spielte der sprichwörtliche "arme Schlucker" aus dem ehemaligen Ostblock, der noch keine "müde Mark" gesehen hat, die Hauptrolle. In Wirklichkeit ist dies eine kleine Minderheit, die aber unter Umständen wieder in die Röhre schaut.

In diesem Zusammenhang muß auf eine weitere Schieflage hingewiesen werden: Für deutsche Kriegsgefangene und sogenannte Geltungskriegsgefangene wurden sowohl die Freiheitsberaubung als auch die Arbeitsleistung mit anfangs einer Mark pro Tag abgegolten. Während bei Deutschen die geleistete Schwerstarbeit finanziell nicht berücksichtigt wurde, erhalten andere für Zwangsarbeit heute eine Sonderleistung.

Zehntens: Die Bemerkung von Dr. Stadler (FDP): "Gut, daß es über das Stiftungsgesetz keine Volksabstimmung gibt", weist auf starke Reserviertheit beim Volk hin. Sie resultiert vor allem aus der Ungleichbehandlung von deutschen, nichtjüdischen Opfern.

Elftens: Völkerrechtsexperten sehen in der Initiative eine verdeckte Reparation. Sie könnte Staaten, wie jetzt bereits Griechenland, zu noch härterem Vorgehen ermuntern. Mit diesem Gesetz wurde die Büchse der Pandora geöffnet.

Zwölftens: Antworten der Regierung auf entsprechende Fragen von Unionsabgeordneten – Dietrich Austermann, Hartmut Koschyk und mir – machen deutlich, daß Rot/Grün für diese deutschen Verschleppungsopfer, in der Mehrzahl Frauen, nichts Konkretes unternehmen will.

An dem finanziellen Aspekt kann es dabei kaum liegen: Von den einst 1 140 000 zwischen 1944 bis 1949 verschleppten Zivilisten sollen nur noch 800 bis maximal 8000 leben. Die weitaus meisten haben die Zwangsarbeit nicht überlebt, was aber in unserem Land nie zu einem großen öffentlichen Thema wurde.

Und so habe ich gegen das Gesetz gestimmt. Meine persönliche Ablehnung soll von der Regierung auch als Appell für eine Initiative für deutsche Zwangsabeiter verstanden werden. Zweierlei Moral, zweierlei Gerechtigkeit, zweierlei Menschenrechte kann es nicht geben.

Ich werde mich in und mit der CDU/CSU-Fraktion mit Nachdruck für diese vergessenen Opfer, überwiegend Frauen, einsetzen. Die Bundesregierung muß ermutigt werden, bei den GUS-Nachfolgestaaten, bei Polen und der Tschechischen Republik eine vergleichbare Geste moralischer und finanzieller Art für unsere deutschen Opfer zu erreichen.