24.04.2024

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22.07.00 Die Stettiner Werft behauptet sich im Schiffbau

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Juli 2000


Der Kaufmann folgt der Billigflagge
Die Stettiner Werft behauptet sich im Schiffbau

Durch solide, schnelle und nicht zuletzt auch billige Arbeit hat sich die Stettiner Werft (Stocznia Szczecinska S. A.) ihren Platz unter den großen Schiffsbaubetrieben Europas gesichert. An der Oder gibt es ein Wirtschaftswachstum, von dem man in der Bundesrepublik nur träumen kann. Die Auftragsbücher der Werft, die nach jahrelangem Sanierungsprozeß der drittgrößte Exporteur Polens ist, sind wohlgefüllt und sichern bereits jetzt Beschäftigung für die kommenden zwei Jahre.

Die 6500 Arbeiter der Stettiner Werft gehören zu den Spitzenverdienern in Pommern. Im Durchschnitt bringt ein Werftarbeiter einen Lohn von 3000 Zloty (etwa 1500 DM) nach Hause, das sind rund 50 Prozent mehr als der durchschnittliche Arbeitnehmer-Lohn in Stettin. "Zur Zeit haben wir 31 laufende Aufträge im Gesamtwert von 1,2 Milliarden Dollar – dies sind umgerechnet etwa 2,4 Milliarden DM", sagt Marek Talasiewicz, der stellvertretende Vorstandschef des Unternehmens, dessen Anteilseigner vor allem Banken sind. Talasiewicz ist übrigens für die deutschen Stettiner kein Unbekannter: er war Anfang der neunziger Jahre Wojewode in Stettin und leitete 1993 die 750-Jahr-Feier der alten Pommernmetropole. Mit dieser Auftragslage sieht Marek Talasiewicz auch der Integration Polens in die EU ruhig entgegen. "Eigentlich sind wir in einer besseren Lage als die Werften der EU-Staaten, weil wir uns ohne Subventionen auf dem Weltmarkt durchschlagen mußten und konnten", meint er.

Die größte Konkurrenz für die mittel- und westeuropäischen Werften sei ohnehin in Asien, betont Werftsprecher Wojciech Sobecki. "In Polen wird nicht zu Dumpingpreisen gebaut", sagt er, auch wenn die polnischen Löhne beispielsweise unter den deutschen liegen. In Stettin, wo Schiffe bis zu einer Länge von 190 Metern und einer Frachtkapazität von 50 000 Bruttoregistertonnen gefertigt werden, baut man die klassischen Container-Dampfer, aber auch Spezial-Transporter wie Tankschiffe für Öl, Ölerzeugnisse und Chemikalien.

Ein ganz großer Trumpf der Stettiner: Tempo. "In Europa baut keiner so schnell wie wir, nur Chinesen und Koreaner sind noch schneller", behauptet Sobecki. Einmal sei ein Schiff für einen deutschen Eigner sogar in einem Monat gefertigt worden, weil der Auftraggeber noch die Frist günstiger Steuerregeln ausnutzen wollte: "Das war ein Weltrekord."

Üblicherweise geht es deutlich langsamer – zwei Monate liegen die Schiffe für den Rohbau auf der Werft, zwei Monate dauert durchschnittlich der Innenausbau, ehe sie an der Oder vom Stapel gelassen werden. Die Unternehmensführung, die in diesem Jahr einen Umsatz von zwei Milliarden Mark anpeilt, modernisiert im Hinblick auf den EU-Beitritt und die steigende Nachfrage nach größeren Schiffen die Werft weiter. Neben Werkstatthallen und Docks, in denen die Arbeiter in ihren sonnengelben Overalls schweißen und schrauben, entsteht bereits das nächste Dock.

Künftig sollen auch Frachter mit bis zu 100 000 Tonnen Ladekapazität gebaut werden. Die ersten Order eines deutsch-chilenischen Auftraggebers liegen schon vor, berichtet die Geschäftsführung. Seit dem Wiederaufbau der Werft im Jahr 1948 liefen bereits mehr als 600 Schiffe für Kunden in mehr als 30 Ländern vom Stapel. Containerschiffe werden übrigens oft auch von Schiffahrtsgesellschaften aus der Bundesrepublik bestellt. Oft wollen die Auftraggeber aus den verschiedensten Gründen aber ihre Identität nicht preisgeben. Einer, der damit kein Problem hat, ist der bekannte Hamburger Reeder Bertram R. C. Rickmers, der das Hamburger Familienunternehmen in fünfter Generation führt. Der Reeder berichtete 1999 in einem Gespräch mit dem "Hamburger Abendblatt", daß er schon seit Jahren keine Schiffe mehr in der Bundesrepublik bestellt habe. Seine Flotte baute der Hamburger mit Neubauten aus Taiwan und von der Stettiner Werft auf. Die Flagge folgt längst nicht mehr dem Kaufmann, weil die innere politische Beteiligung abhanden gekommen scheint. Hagen Nettelbeck