26.04.2024

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22.07.00 UNTERHALTUNG

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Juli 2000


UNTERHALTUNG

Getroffe, Meisterke
Von EVA PULTKE-SRADNICK

Auch in unserer Heimat Ostpreußen ist sie jetzt wieder da, die Zeit des wunderschönen Sommers. Wer erinnert sich nicht gerne an die kleinen Ostseebäder, entstanden aus Fischerdörfern, die sich von Kahlberg am Frischen Haff über Pillau, Neuhäuser, Tenkitten, Nodems, Sorgenau, Palmnicken weiter nach Warnicken, Groß Kuhren, Neukuhren, Rauschen, Cranz bis hinauf zur Kurischen Nehrung über Sarkau und Nidden nach Memel zogen? Manche waren etwas feiner als andere, aber lebens- und liebenswert waren sie alle. Wenn ich da zum Beispiel an mein Sorgenau denke …, es war und blieb das größte Fischerdorf an der Westküste des Samlandes und trug trotzdem die Bezeichnung Ostseebad. Es war für Kinder und Erwachsene ein Paradies. Der Gedanke an fangfrische Fische, in der Morgenfrühe vom Boot gekauft, läßt das Wasser im Mund zusammenlaufen. Am Nachmittag zog der herbe Duft des Räucherns durchs Dorf. Flunder, Dorsche, Brassen, auch Bierfisch genannt, und Strömlinge, die man im Dutzend, Mandel, Halbschock oder sogar schockweise erwerben konnte. Dazu kam noch der an der Angel gefangene Aal. Das waren die Fische der Saison.

Fischerleben war kein leichtes Leben, dafür aber unabhängig und frei. Dies war die Meinung der rauhen, stolz den Südwester tragenden Männer, deren kurze Pfeifen kaum ausgingen. Unterhalb des Seebergs, wie wir die Steilküste nannten, lagen aneinandergereiht die Segel- und Motorboote in der von drei Seiten geschützten natürlichen Bucht. Die Segelkutter blieben draußen vor Anker liegen. Sorgenau könnte ein Geheimtip gewesen sein, wie man heute sagt. Dazu trug der schöne Strand bei, die ungezwungene Lebensform, die aber nie Augen und Ohren verletzte.

Nachdem in den zwanziger Jahren die "angezogene" Bademode samt Rüschen und Häubchen vorbei war, sogar die "Badebuden" zum Umkleiden verschwanden, machte sich der zweite Redakteur einer masurischen Kreiszeitung auf den Weg, um den Lesern einen Bericht vom Bernstein und dem Fischfang im anderen Teil Ostpreußens zu bieten.

Fritz Korsch fuhr also von Lyck nach Königsberg und von dort über Fischhausen zu seinem Ziel. Unauffällig im hellgelb karierten Anzug und beigebraunen Schuhen mit Lochmuster und hellen Spitzen entstieg er in Sorgenau dem weiter nach Palmnicken fahrenden, wild fauchenden Personenzug. Sein Koffer war nicht groß. Man hatte ihm erzählt, die Sonne wäre hier so heiß und die Abende so mild, daß zu viel Kleidung nur unnötiger Ballast wäre.

Jetzt brauchte er nur noch eine Bleibe, was für ihn aber kein Problem sein dürfte, meinte er jedenfalls. Gleich am Dorfeingang hatte sich Frau Perschel mit runden nackten Armen über den Staketenzaun gelegt, ein buntes Kissen minderte die Härte. Ja, so eine Zugankunft war immer ein Ereignis besonderer Art. Man mußte doch sehen, wer ankam. Korsch fragte sogleich, ob sie ihm etwas empfehlen könnte. Dazu formulierte er vorsichtig, daß es nicht zu komfortabel sein müßte, denn er dachte an seine mageren Spesen. Zum Glück kam Frau Wessel dazu, nun beratschlagten sei gemeinsam. "O, herjemerkes, Herrke", meinten sie dann abschließend, "öm dise Tied öm Juli, da ware Se hier nuscht nich war finde, nich emoal e Hundsbood." Korsch verstand zwar wenig, aber er begriff, daß es eine Ablehnung war.

Hübsch war ja das Dorf, saubere weiße Häuser mit farbig abgesetzten Fensterumrandungen. Auch die Gärten waren eine Pracht. Sie strotzten vor Dahlien, Gilken, Astern, Nelken, Cosmea und Schleierkraut, ländlich, aber sehr anmutig. Jetzt brachte der Wind eine herbe Brise herüber. Den Geruch kannte Korsch, hier wurden Fische geräuchert. Er bemerkte seinen Hunger. Schnuppernd ging er dem Duft nach und sah zwei Frauen an einem gemauerten Räucherofen stehen. Bei dieser Arbeit mußte man dabeibleiben, aufpassen, daß die mit feuchten Säcken abgedeckte Glut nicht zum Feuer wurde. Mit ihren bunten Schürzen und weißen Kopftüchern sahen sie dem Fremden neugierig entgegen. Ihre Meinung hatten sie sich bereits gebildet. "Fatzke", sagte eine zur anderen. Unsere Fischerfrauen waren stets freundlich, aber man sollte sie nicht unterschätzen. Ausgestattet mit großem Mutterwitz und Menschenkenntnis, machten sie sich oft einen Spaß daraus, einen Unkundigen aufs Glatteis zu führen. Der Besuch erschien ihnen als unterhaltsame Abwechslung.

"Ein Zimmerchen", taten sie ganz erstaunt. "Ja, wo denken Sie hin – um diese Jahreszeit??? Ei, da werden Se wohl nuscht nich mehr finden. Se werden es kaum glauben, aber wir missen sogar de Schweineställe auskalken. Das Pocherche wird denn bis so lang annem Äppelbaumche gebunden. Manche Mänschen wollen nachher auch bloß noch auf Stroh liegen, wegen der Gemietlichkeit."

Korsch ging verwirrt auf die Straße zurück. Im Schweinestall? Das konnte er doch nicht berichten? Die beiden Frauen aber hatten danach so viel zu lachen, daß ihnen die Flundern beim Rausnehmen fast von den Spitten (Spieße) rutschten. Für heute hatten sie ihren Spaß gehabt … Da kamen auch schon die ersten Sommergäste, um die goldbraunen Flundern zu kaufen. Oft reichten die Tagesfänge gar nicht aus. Es waren Delikatessen für wenig Geld.

Korsch ging weiter, fragte diesen und jenen, trank in jedem Lokal ein Bier, aber alle zuckten bedauernd die Achseln. Und dann stand er zum ersten Mal auf dem Rand der Steilküste und sah die Ostsee. Ganz ruhig lag sie da, goldgelb und blaugrün von der Sonne durchleuchtet. Wie sollte er wissen, welche tobende Macht sie im Herbst entwickeln konnte? So beschloß er erst mal zu baden. Aber wohin mit Kleidern und Koffer? Zwei kleine Jungens lungerten um ihn herum, grinsten verlegen und bestaunten seinen sonderbaren Anzug. Er fragte, ob sie auf seine Sachen aufpassen würden, aber sie schwiegen. Korsch meinte zu verstehen und zeigte einen Dittchen vor. Aber sie lächelten ihn nur an. Sie waren ja höchstens sechs oder sieben Jahre alt. Korsch erhöhte sein Angebot, aber sie drehten sich kichernd weg. Erst als ihm sein Taschenmesser aus der Hose fiel, leuchteten ihre Augen auf. "Getroffe, Meisterke, getroffe", so schienen sie zu sagen. Er trennte sich ungern, aber eine Klinge war ja schon abgebrochen …

Martin nahm ihn dann anschließend als Dank mit zu seiner Mutter, vielleicht wußte die was. Sie schickte ihn zu Karschaus, diese zu Sachtlebers, von dort zu Fernitzens und letztendlich zu Rähses am Ende des Dorfes. Korsch sah sich schon am Strand übernachten und erwog bereits den Schweinestall, falls überhaupt einer frei wäre! Auf Grund seiner Bitten bot ihm die gewiefte Alte ein Bett hinter einem Vorhang im Holzstall an. Hier ruhte sie sich mittags immer ein bißchen aus, denn ihre Wohnstuben waren ja vermietet, und kochen tat sie in der Waschküche. Sie nahm nur ein paar Dittchen dafür und wie sie richtig voraussah, würde sie sich hier mittags trotzdem ausruhen können. Beide waren zufrieden, auch Korsch, nachdem er Frau Rähses Tochter über den Hof stolzieren gesehen hatte.

Vier Tage wohnte er noch hinter dem Holzverschlag, versäumte aber keineswegs seine Pflichten. Bereits in der Frühe sah er sich das Dorf an, die Schule, ging auf schattigen Wegen durch die Schlucht, um von dort zu den Fischerbooten zu gelangen, die eines nach dem anderen mit vollen Netzen von See kamen. Gegen eine Buddel Rum durfte er sogar einmal mitfahren. Er machte seine Notizen so begeisternd und liebevoll, als ob es sich nicht um ein Dorf, sondern um eine schöne Frau handeln würde. Tagsüber lag er am Strand, schwamm wie ein Fisch und erzählte den Mädchen tolle Geschichten aus seinem so abwechslungsreichen Leben. Leider konnte er nicht bleiben. Aber tausend Schwüre, daß er im nächsten Jahr zur gleichen Zeit wieder hier sein würde …

 

Seefeuerwerk in Cranz
Von HORST GLASS

Wie in all den vergangenen Jah ren war auch diesmal wieder ein Ausflug an die Samlandküste geplant, und nachdem vor Jahresfrist Rauschen das Ziel gewesen war, sollte es nun Cranz sein, wo zudem noch ein Seefeuerwerk dem Ausflug eine besondere Würze geben sollte.

Bereits am Vormittag hatte eine richtige Masseninvasion zur Küste begonnen, und es gab keinen Zug, der nicht überbesetzt war. Aber was machte das schon? Bereits seit 1885 gab es eine Bahnverbindung in das seit 1895 königliche Bad, von dem die Historie berichtet, daß es da bereits zur Ordenszeit einen Krug gegeben hätte, eine Raststation gewissermaßen für jene Reisenden, die über die Kurische Nehrung ihre Nordfahrt hier kurz unterbrechen konnten.

Weit spannte sich der wolkenlose, azurne Sommerhimmel wie ein endloser Baldachin über Land und Meer, das seine Wellenberge gegen den sonnenheißen Strand warf. Viel zu lange hatte die Eisenbahnfahrt gedauert, und jubelnd warfen wir Kinder uns, am Strand angelangt, in den feinen Sand, gleichsam besitzergreifend für die nächsten Stunden unseres Aufenthaltes in diesem Naturparadies.

Nachdem uns die Eltern mit der notwendigen Sonnenschutzcreme eingerieben hatten, begannen wir zunächst den Bau einer Sandburg, erlahmten aber schnell in unserem Eifer, im nassen Ufersand endlosem Gestaltungstrieb zu folgen und alles mögliche zu bauen und zu modellieren, ehe es die Ostsee überwogte und auslöschte. Allein ins Wasser zu gehen war freilich nicht gestattet und nur in Begleitung der Älteren möglich, da in Cranz eine allgemein bekannte und auch gefährliche Tiefenströmung, die wir Sucht nannten, zur Vorsicht riet. Der Tag war so voller Erlebnisträchtigkeit, aber auch voller Geheimnisse, denn das große Erlebnis stand ja noch bevor. Zunächst aber waren und blieben Sand und Wasser die Hauptsache unter dem endlosen Himmel, und in das Erinnerungsbuch unseres Lebens trugen wir Kinder manches Geschehen ein, während die Älteren sonnenbadend sich dem Müßiggang hingegeben hatten. Uns gehörte einfach alles. Die Natur, Land und Meer waren unser selbstverständlicher Besitz – ohne Wenn und Aber.

Irgendwann war dann aber endlich auch der Zeitpunkt erreicht, da es für uns nun nicht schnell genug dunkel werden konnte, rückte doch das Tageshauptereignis immer näher. Lange Zeit bereits vor Beginn des Spektakels waren ungezählte Fischerboote hinausgefahren auf die Ostsee, wo sie in Sichtweite von Strand und Seesteg in der Dünung hin- und herdümpelten. Mit der sich langsam ausbreitenden Dämmerung erkannte man auf den Booten auch die bunten Lampions und noch weiter draußen auf der Ostsee größere Schiffe, die dort auch inzwischen geankert hatten. Gleich anderen Sandburgbesitzern hatten wir inzwischen unsere Sandfestung verlassen und Platz gefunden in einem Lokal in Seestegnähe mit gutem Blick aufs Meer. Zu den Klängen einer Kapelle tranken die Älteren ihren Kaffee oder auch Bier, während man uns Kindern eine Limonade bewilligt hatte.

Aber nun wurde das Zeitgefühl gehörig strapaziert, und scheinbar wollte es auch gar nicht so recht dunkel werden. Es dauerte und dauerte, bis es dann endlich einen ganz fürchterlichen Knall gab. Dieser sogenannte Kanonenschlag beendete die Warteprozedur, denn nun wurde es lebendig am Himmel über der See. Zunächst stiegen erste Raketen pfeifend gegen den Himmel, zerplatzten in bunten Kugeln und zerstoben, neuen Feuergrüßen Platz machend. Und mit jeder Rakete ging auch ein Raunen durch die Zuschauermenge mit lauten Ah- und Oh-Rufen. Schließlich stieg eine andere Art von Raketen auf, aus denen sich buntfarbige Feuerschirme am nachtdunklen Himmel bildeten und fortentwickelten zu wasserfallähnlichen Farbspielen. Und dann wieder, ganz plötzlich, erstarb der Feuerzauber am Himmel, und der Blick wurde zu den Schiffen gelenkt, die in bengalischem Licht erstrahlten. Es war wie ein letztes Aufbäumen der Buntfarbigkeit wider die Nacht, ehe auch das letzte Schiff in der Finsternis versank und nun nur noch die Boote mit den bunten Lampions sichtbar blieben.

Wie lange dies alles nun gedauert hatte? Unterschiedliche Zeitempfindungen ließen genaue Bestimmungen nicht zu, und es war ja auch völlig gleichgültig, denn nun begann der Heimweg zurück nach Königsberg, der für manchen sich noch zu einer schwierigen Prozedur entwickeln sollte. Wenngleich auch die wieder überfüllten Züge nun in rascher Folge das Seebad verließen, dauerte es doch seine Zeit, ehe auch der letzte Besucher des Seefeuerwerks die Hauptstadt der Provinz erreichte.

Es war ein schöner Tag gewesen. Ein schöner Tag für die spätere Erinnerung in vielen, vielen Jahren, wenn vielleicht am heutigen Wohnort bunte Feuerkugeln nach einer Veranstaltung wieder am Himmel zerplatzen …

 

Sand
Von AGNES MIEGEL

Daheim am Dünenstrand,

Wo die Brandung braust,

Spielt ich als Kind

Mit dem glänzenden Sand.

Aus der braunen Faust

Trug ihn der Wind.

"Dies trink ich, dies eß ich,

Keinen vergeß ich –

Dieses verschenk ich –",

So sang ich als Kind.

Oft daran denk ich

In dem fremden Land,

Wenn nachts der Wind

Durch die Kiefern saust.

Heimat und Lieben,

Was ich ersonnen,

Was ich geschrieben –

Was ist geblieben? –

Ist alles zerronnen,

Wie der Sand

Aus des spielenden Kindes Hand.

 

Pate im Pech
Von HANNELORE PATZELT-HENNIG

Frühling zog über das Land. Und bei Rasokats lag nach fünf Jahren endlich wieder ein Kindchen in der Wiege. An dem Maiensonntag, an dem der kleine Erich getauft werden sollte, strahlte die Sonne hell vom Himmel, und bei Rasokats strahlte alles vor Freude und Feierlichkeit.

Fast noch mehr Glück, als sich auf den Gesichtern der Eltern und Großeltern an diesem Morgen zeigte, spiegelte sich aber auf den Zügen von August Steinkat, der als Pate für den kleinen Erich ausersehen war. Dazu auserkoren zu sein war ein Glück für ihn, wie er sich kein größeres für sein Leben denken konnte. Er war schon etwas betagt und unverehelicht geblieben. Die Aussicht, jemals noch in eine Beziehung zu einem Kind zu kommen, war gering. Und dabei liebte er Kinder sehr.

Dem kleinen Erich hatte er sich schon vor dessen Geburt verschrieben; denn dieses Kind sollte ihm eine Entlohnung für eine vorausgegangene Enttäuschung sein, die er nur schwer verwunden hatte. Das war damals gewesen, als der ältere Bruder des kleinen Erich auf die Welt gekommen war. Für ihn hatten sie Jonas, Augusts Zwillingsbruder, als Paten ausgewählt. Das hatte August schwer getroffen. Er sah auch keinen Trost darin, daß Hermine, die Mutter des kleinen Erich, ihm das feste Versprechen gegeben hatte, daß bei ihrem nächsten Kind er der Pate werden würde. Wer hatte schon wissen können, ob da noch ein zweites Kind kam!

Na, und einige Jahre hatte es dann ja auch gedauert. Jetzt aber war das zweite Kind da und er, wie versprochen, zum Paten bestimmt. Das Glück des August Steinkat war groß. Es sollte von diesem Tag an ein Kind geben, zu dem er in echter Beziehung stand. Besiegelt und beglaubigt würde das werden. Und er war entschlossen, seine Pflicht als Pate ernst zu nehmen. Auf die Erziehung zu achten, soweit es ihm zukam, und für den Kleinen immer dazusein, wenn er ihn brauchte.

August glühte vor Stolz auf die ausstehende Patenschaft. Jeder Zoll an ihm war Würde. Nun sollte es gleich losgehen. Die sieben Kutschwagen mit den Gästen waren schon fast alle besetzt. Soeben trat die Mutter mit dem Täufling aus der Tür. Das Kind lag auf einem großen, mit hellgrüner Seide unterlegten Richelieukissen, das wie das lange Taufkleid in reinstem Weiß strahlte.

Alles war bis zu diesem Zeitpunkt prompt und perfekt abgelaufen. Nun sollte die Fahrt zu der drei Dörfer weiter gelegenen Kirche beginnen. Die Eltern gingen zu dem blumengeschmückten Kutschwagen, in dem die Großeltern und der Bruder des Täuflings bereits Platz genommen hatten. Die Mutter stieg ein, ihr Mann reichte ihr das Kind und schwang sich dann selber in den Wagen. Jetzt hätte es losgehen können. Aber in dem Augenblick, als die Mutter sich mit dem Kleinen setzte, erbrach sich das Bengelchen kräftig, ungeachtet von Taufkleid und Richelieukissen. Und das brachte einige Aufregung mit sich.

Die Mutter stieg mit dem Kind wieder aus und trug es zurück ins Haus. Dabei hatte sie ein beachtliches Gefolge. Von fast allen Wagen eilten Frauen hinter ihr her, um ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Das war gut gemeint, bewirkte aber lediglich, daß viel mehr Zeit verlorenging, als notwendig gewesen wäre.

Der zweite Aufbruch vollzog sich dann entsprechend hektisch. Und da die Zeit jetzt drängte, fuhr man allgemein scharf an und blieb auch in scharfem Trab. Ein Wagen richtete sich nach dem anderen. So erreichte man die Kirche noch rechtzeitig. Ein allgemeines Aufatmen war dort aber schon zu spüren.

Dann jedoch zeigte sich erneut Unruhe; denn man vermißte den August. Der Jonas war da, aber vom August fehlte jede Spur. Nicht einer der Besucher wußte sich das zu erklären. Man rätselte einige Zeit herum, doch es blieb alles ergebnislos. Und länger konnte man nicht warten. Der kleine Erich mußte jetzt schleunigst in die Kirche gebracht werden. Das geschah dann auch. Aber wie sollte es weitergehen?

Plötzlich sah man die junge Mutter eindringlich mit Jonas tuscheln, der von da an strikt an ihrer Seite blieb.

Der Taufgottesdienst begann. Der Pfarrer gestaltete ihn äußerst herzlich. Alle waren gerührt. Fast vergaßen sie, daß etwas Wesentliches nicht in Ordnung war bei dieser Feier. Und dann galt es, den kleinen Erich zum Taufbecken zu tragen. Jetzt war die Gesellschaft geneigt zu glauben, der August sei doch noch gekommen. Denn der, der da mit dem Kind zum Empfang des heiligen Sakraments der Taufe schritt, ähnelte ihm aufs Haar.

Ob Jonas oder August, was spielte das in dieser Notlage schon für eine Rolle. Steinkat war schließlich Steinkat, hatten sich die Eltern des Täuflings gesagt. Und schwarzer Anzug war schwarzer Anzug. Gesichter hatten die beiden ohnehin die gleichen. Das würde der Herr Pfarrer ganz sicher nicht herausfinden, daß hier statt des August Steinkat der Jonas Steinkat den Erich über die Taufe hielt. Und eventuelle spätere Redereien würde man auch nicht auf die Goldwaage legen; denn bei allem, was die Zwillinge Steinkat betraf, wagte niemand im Dorf sich dafür zu verbürgen, wer genau von den beiden es jeweils gewesen war, den man gemeint hatte.

So fand die Sache mit der Patenschaft schließlich noch einen verhältnismäßig guten Ausgang. Das mußte sich später auch August eingestehen, der um die Zeit, zu der er den größten Auftritt seines Lebens hätte haben können, verzweifelt vor einer Flasche Meschkinnes saß, die ihm die Kochfrauen zum Trost hingestellt hatten. Ihm war während der Aufregung um sein Patenkind vor dem Aufbruch zum Verhängnis geworden, daß er sich, selbst äußerst erregt, plötzlich hinter die Tür mit dem Herzchen hatte begeben müssen. Als er dann von dort zurückkam, waren alle Wagen schon vom Hof gewesen. Er hatte weitweg nur noch Staubwolken gesehen. So war ihm nichts anderes möglich gewesen, als da zu bleiben; denn von den Höfen rundum, weit auseinandergelegen, waren alle mit Pferd und Wagen zu Erichs Taufe unterwegs. Da gab es keine Möglichkeit, hinterherzufahren. Und wenn er auf noch weiter entfernt gelegenen Höfen nach Roß und Wagen gesucht hätte, wäre er ohnehin zu spät gekommen. Was also blieb ihm da als der tröstliche Schnaps?

Jedenfalls gelang dem August dank dieses Trostspenders wenigstens bei der Rückkehr der Taufgesellschaft wieder ein Lächeln. Und als er erfuhr, wie alles abgelaufen war und daß er trotz allem der eingetragene Pate sei, vertiefte sich dieses noch. Er fand, er hatte bei dem Pech, das ihm widerfahren war, doch noch Grund sich zu freuen. Er war der rechtmäßige Pate geworden. Das war eingetragen und besiegelt. Niemand konnte ihm also streitig machen, daß der kleine Erich sein Patenkind war.

 

Wunsch
Von CHRISTEL POEPKE

Ich möchte

einfach nur so

mal wieder auf dem

Bauch liegen

im Schatten der Nußhecke

– die Arme gestützt

in Wollgras und

Schönen Ampfer,

der Grasmücke zuschaun

beim Füttern

der zweiten Brut,

und einfach nur klein sein

im Kleinen.

Ich möchte

einfach nur so

mal wieder auf dem

Rücken liegen

am Ufer des Pregel,

zwischen Hummel

und Salamander,

einen Wolkensprung lang

die Augen schließen,

Käfergewicht sein,

und einen Grashalm

erklimmen,

einfach nur so …

 

Die Eulenmutter an der Mondscheinmühle
Von ROBERT JUNG

Es klapperte einmal eine Mühle -und ich glaube, sie befindet sich noch heute an einem kleinen Nebenfluß der Nogat – irgendwo in unserer Heimat. Sie hieß nur die Mondscheinmühle, und sie lag in der Nähe von blau blitzenden weithin gedehnten Seen und rauschenden Wäldern. Dieses Tal war durchflossen von einem blinkenden Fluß. Wenn dann der Vollmond über Seen und Tannenwäldern stand, sah man die alte Mühle silbern schimmernd wie eine Burg daliegen. Daher war man im Volksmund zu dem Namen "Mondscheinmühle" gekommen. Was aber die meisten Menschen damals nicht wußten, das war die Geschichte von der Eulenmutter an der alten Mühle …

An einem Frühlingsmorgen war der alte Müller vors Haus getreten, vor dem eine Ulme seit Altväterzeiten zum Himmel ragte, gepflanzt von seinen Ahnen.

"Der Baum ist jetzt morsch", sagte er brummig vor sich hin und trat von einem Bein aufs andere. "Er steht mir auch dauernd im Weg, mein Haus zu vergrößern, mehr Platz für die Kinder zu schaffen."

Doch der zehnjährige Michael sagte trotzig: "Aber Vater, gerade waren Lerchen im Baum und sangen so wunderschön, und dann im Sommer spendet er uns viel Schatten. Laß uns den Baum doch behalten!" Davon wollte der "Mondscheinmüller" nichts wissen, und der Michael heulte: "Dann werden uns auch die Schwalben kein Glück mehr bringen, Vater!"

Wenig später fällte der Müller mit seinen Gesellen die Ulme, die mit einem schweren Seufzer auf die Erde sank. Dann ging er seiner Arbeit in der Mühle und am Mahlgang nach.

Als es dunkelte, schlich sich Michael heimlich aus dem Haus, hin zu dem Platz, wo die Ulme gestanden hatte. Seltsam! Er hörte mit einem Mal nicht nur den Baum seufzen; es piepte und jammerte in einer seiner vielen Höhlungen. Als er hineingriff, entdeckte er drei junge Eulenkinder, die aufgeregt piepsten. "Wartet nur", sagte er, "ich nehme euch mit ins Haus, und ich will sehen, was es für euch noch zu essen gibt!"

In seiner Rocktasche versteckt, nahm er sie mit in seine Kammer und versteckte sie in einem mit Luftlöchern versehenen Karton. Die drei Eulenkinder waren wirklich artig, nur Pipsi, der größte von ihnen, kauerte ängstlich im Karton. Was aber sollte er den Eulenkindern zum Essen bringen. Michael wußte es nicht und war traurig. Doch plötzlich entsann er sich des Försters Engelhardt, der nicht weit entfernt von der Mühle wohnt. Als Mann des Waldes wußte er gewiß einen Rat. Michael traf den Förster in seiner Jagdhütte an und klagte ihm seine Not mit den Eulenkindern. Da ging der Waldmann mit ins Mühlenhaus, ohne daß es Michaels Eltern merkten. Die Eulenkinder jammerten und klagten bitter; immer aufs neue sperrten sie ihre spitzen Schnäbel auf. Das Ältere war am ungeduldigsten, das Kleinste lag wie krank auf der Seite.

Indes verging der Abend. Wieder schlich sich Michael nach dem Abendbrot in seine Kammer. Dort drängten sich die Eulenkinder ängstlich aneinander. Ihnen fehlte die Mutter, immer hatte diese ihre Kinder zärtlich und warm zugedeckt nach dem Essen …

Als es Mitternacht war, ging etwas Seltsames in der Mondscheinmühle vor sich. Es klopfte gegen das Kammerfenster und eine große Eule flog davon, deren grüne Lichter Michaels Gemach erleuchteten. Er rieb sich verwundert die Augen. Dann sah er auf der Fensterbank etwas liegen – es war eine tote Maus. "Potztausend!" rief er. "Wie kommt diese tote Maus an mein Fenster?" Doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Eulenmutter wollte ihre Kinder versorgen. "Ich Narr!" rief er, dann legte er die Maus in den Karton, wo gierige Schnäbel sofort über sie herfielen.

Aber Michaels Geheimnis blieb nicht lange verborgen. Selbst an des Müllers Fenster pochte es Nacht für Nacht – und dies immer, wenn die Turmuhr Mitternacht ankündigte. Wenig später gestand Michael seinem Vater, was er mit ins Haus gebracht hatte. Als sich der weißgekittelte Müller über die Eulenkinder beugte, zuckten sie erschrocken zurück. Aber er nahm sie behutsam in die Hände. Danach suchte er selbst den Förster auf. Und dieser versprach, die Eulenkinder so lange zu pflegen, bis sie flügge waren und davonfliegen konnten. Immer um Mitternacht klopfte es weiterhin an das Fenster des Försterhauses; die Eulenmutter wartete auf den Tag, an dem sie ihre Kinder wieder zu sich nehmen, sie nähren und wärmen durfte …

 

Travemünde
Von IRENE ESTHER ALICE HINZ

Wieder angekommen

aus Großstadtenge

in Unendlichkeit

Möwenschrei

Fischerkähne ziehen zum Hafen

Priwall lockt –

grenzenlos

Passat ankert

Träume segeln über Ozeane

Hermannshöhe

Malerwinkel und Steilküste

Skandinavienkai

Schiffe leuchten in dunkle Nacht

Ich bin angekommen

Hoch über den Wolken

Rundumblick

Strand verläuft endlos

um Mare Balticum

Zeit zerrinnt und Sand

Glocken

Wind und Wellen

rauschen Ewigkeit

Wieder angekommen

Travemünde