16.04.2024

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29.07.00 Gedanken zur Zeit

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. Juli 2000


Gedanken zur Zeit: "Sprache der Freiheit"
Deutsch gilt viel in Rußland 
Von Wilfried Böhm

Die politische überaus korrekte Tageszeitung "Die Welt" meldete auf ihrer ersten Seite an, daß "der Siegeszug der deutschen Sprache nicht mehr aufzuhalten ist". Diese Sensation verkündete sie gleich zweimal, am Anfang und am Ende ihrer 60-Zeilen-Meldung, und das mit ironischem Unterton und einer Mischung aus Fassungs- und Sprachlosigkeit. Das Blatt, das bekanntermaßen mit jeder Menge Anglizismen um sich wirft, berichtete: "... mitten im fernen Peking brechen sich deutsche Urlaute immer öfter die Bahn."

Was war geschehen? Chinas Staatspräsident Jiang Zemin und Rußlands Staatschef Wladimir Putin hatten bei ihrer ersten Unterredung in der Pekinger Großen Halle des Volkes in deutscher Sprache miteinander geplaudert. Um deutsche Poesie lesen zu können, hatte der Chinese in seiner Jugend Deutsch gelernt, und hin und wieder rezitiert er noch heute Goethes "Erlkönig". Er wisse, so Jiang Zemin, wie gut Putin Deutsch spreche, der jedoch bescheiden antwortete: "Ich spreche aber nur ein bisserl."

Richtig stellte "Die Welt" fest: "Zwei der mächtigsten Männer der Erde verständigen sich auf Deutsch." In der Tat: die beiden Staatsmänner taten etwas sehr Vernünftiges: Da keiner von beiden die Sprache des anderen beherrscht, benutzten sie zur Verständigung eine Fremdsprache.

Anders jedoch "Die Welt". Sie setzte in derselben Ausgabe, in der sie von der Plauderei in Peking berichtete, ihren Lesern folgende drei Überschriften vor: den Zweispalter "Her Majesty was amused" und die beiden Vierspalter "The Great Game" sowie "Step up and do it!" Da den Redakteuren bekannt sein dürfte, daß ihr Blatt eine deutsche Zeitung für deutsche Leser sein soll (selbst die Lizenzgeber gingen einst davon aus), stellen sie sich damit in die Reihe derer, für die sprachliche Unterwürfigkeit unter das Englische nicht nur eine alberne Modeerscheinung, sondern bewußte Politik ist. Eindrucksvoll hat der Münchner Professor Franz W. Seidler unlängst darauf hingewiesen, daß angloamerikanische Marktstrategen die Bedeutung der Sprache für wirtschaftliche und politische Zwecke genau kennen und dem Leitsatz huldigen: "Zwinge den Partner, deine Sprache zu lernen, das kostet ihn Zeit und Energie und Du wirst ihm überlegen sein, weil Du Deine Sprache immer besser sprechen wirst als er."

Mehr und mehr werden in Deutschland Waren und Dienstleistungen nicht nur von ausländischen Unternehmen, sondern auch von deutschen in englischer Sprache oder in einer Art Pidgindeutsch angeboten, das einer Kolonialsprache entspricht. So werden die Kunden gezwungen, die fremdsprachlichen Ausdrücke zu übernehmen und sich von ihrer Muttersprache zu entfremden. Wenn zudem Gebrauchsanweisungen und Beipackzettel in Englisch gehalten sind, hat dieser Umstand über die kulturelle Unterwürfigkeit hinaus wirtschaftliche und soziale Folgen, die in der Benachteiligung derjenigen liegen, die keine oder nur sehr geringe Englischkenntnisse haben, insbesondere in der ehemaligen DDR. Es entsteht eine unsoziale Wissenskluft, die mit immer früherem Englischunterricht bis hin zum Kindergarten geschlossen werden soll. Das wiederum führt dazu, daß Volksschulkinder und Grundschüler eine fremde Sprache lernen sollen, noch bevor sie ihre deutsche Muttersprache schreiben und lesen können.

Im Gegensatz zu diesen hektischen Bemühungen zur sprachlichen Anglisierung gibt es heutzutage Abiturienten, die in ihrer Schulzeit anders als der chinesische Staatspräsident in seiner Jugend nie ein Werk von Goethe oder Schiller gelesen haben. Statt klassischer Literatur wird ein Roman mit dem Titel "Der Nazi und der Frisör" als Hauptlektüre der Kollegstufe eines Gymnasiums behandelt.

Deutsch ist das Kommunikationsmittel der größten Sprachgemeinschaft mit 90 Millionen Menschen in Europa. Im Zentrum Europas hat es die größte Verbreitung und grenzt an 14 andere Sprachgebiete, was Sprachkontakte menschlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art mit sich bringt. Deutsch hat somit eine große europäische Aufgabe wahrzunehmen. In vielen Staaten des östlichen Europas ist Deutsch die "Sprache der Freiheit", auch wenn das viele Deutsche nicht wahrhaben wollen.

Die Verantwortlichen in Staat, Politik, Wirtschaft und Medien Deutschlands haben einen riesengroßen Nachholbedarf, wenn sie die deutsche Sprache so entschlossen verteidigen wollen wie es Franzosen, Polen und Russen mit ihren Sprachen tun. Europas Stärke ist seine kulturelle Vielfalt. Diese wird gefährdet, wenn Deutsch zu einer Art "Trümmersprache" verkommt. Bisher sieht es nicht danach aus, daß die Verantwortlichen in unserem Land diese Aufgabe wahrnehmen.