16.04.2024

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29.07.00 UNTERHALTUNG

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. Juli 2000


UNTERHALTUNG

Der giftgrüne Ferdinand
Von ROBERT JUNG

Ich gedenke, noch heute dieses wider sinnige Leben mit seinen chronischen Diätfehlern für immer zu verlassen und in ein naturgemäßes Jenseits überzusiedeln. Wenn du mir auf meiner kurzen Pilgerschaft auf Erden noch einmal die Hand drücken willst, so nimm auf der Stelle ein Taxi! Dein Ferdinand!"

Es waren die letzten Zeilen meines alten Freundes, und ehe ich zu ihm eilte, nahm ich noch rasch einen Aquavit zu mir. Aber was bedeuteten diese Worte? Er, Ferdinand im Sterben? Er, ein Hüne an Kraft, den wir noch im Sportverein vor einem halben Jahr um seiner strotzenden Gesundheit beneidet hatten und der im Judo und Karate alle warf, er im Sterben?

Aber da war ich auch schon bei ihm. Stürmte die Treppen hinauf. Mit fliegenden Rockschößen und einem Strauß üppiger Blumen in der Hand. Seine tönernen Worte sollten für mich in den Sand geschrieben sein …

Doch vor Ferdinands Krankenbett stockte ich schaudernd. Aus seinen Augen glomm mattgrünes Feuer. Wie ein grüner Brand. Seine dichten Augenbrauen waren grün und grün überhangen. Hohl war sein Blick, ausgemergelt sein Körper in diesem giftgrünen Brand.

"Armer Kerl!" seufzte ich voller Mitleid.

"Wieso armer Kerl?!" empörte er sich mit letzter Kraft. Jetzt erst bemerkte ich, daß seine Haare von eben diesem Mattgrün struppig wie Weichselzöpfe der Hexen vom Blocksberg herunterhingen. – "Du meinst wohl, weil ich nicht so widerwärtig wie ihr Wohlstandsbürger mit vollgefressenem Bauch aussehe? Ha! Habe ich vielleicht ein Gramm atomschädliches Fett an mir? Zucker? Eiweiß? – Leide ich an der Gicht, an Übergewicht, an Diabetes? Oder vielleicht an Tuberkulose? An Delirium tremens? An Nikotinvergiftung? – Bin ich vielleicht verweichlicht? Oder etwa einer dieser modernen Neurotiker? – Von den hundert Kilo Materie, unter der ich noch vor einem halben Jahr seufzte, habe ich sechsundsiebzig Kilo vergeistigt, in Gesundheit, ja, regelrecht in Gesundheit umgesetzt. Und daran – sterbe ich nun: das hält kein Mensch aus; in mir und um mich heißt man dies ,den letzten Lebensblitz‘, mein Freund!" Völlig erschöpft sank er in die Kissen zurück.

"Nur etwas Spinat", hauchte er an diesem schwarzen Tag.

"Spinat, weiter nichts? Menschenskind!"

Um ihn zu beruhigen, sagte ich: "Schmeckt denn das Zeug ohne was überhaupt?"

"Es schmeckt gar nicht!" sagte er tonlos und streckte mir seine grünschattierten Hände entgegen. "Ist aber absolut reizlos, ohne Kochsalz, ohne gewisse Nährstoffe. Aber sehr, sehr hygienisch, nicht die Spur von Nitrat etc., etc. … Gewiß! Ich sterbe, aber wenigstens als ein gesunder Mensch. Es ist auf alle Fälle besser, als ein Leben lang von diesen fürchterlichen Giftstoffen aufgequollen zu sein, wie ihr hier in diesem irdischen Jammertal der Fressalien!"

Ganz zwanglos kamen wir dann zur Bestattungsfrage. Natürlich war darüber auch von Ansteckung usw. die Rede sowie davon, keinem Sensationsblatt seinen giftgrünen Tod zu verkaufen … Zuvor hatte nämlich der "grüne Ferdinand" sein kleines Vermögen dem "Verein für Spinatrohköstler" vermacht. "Etwas S – s – spi –", lispelte er noch, dann war er hinüber in das unbekannte Land, wo man an keiner Heilkunst zugrunde gehen kann …

"Er ist genug gestorben, in seinem Spinat", sagte ich mir. Ich eilte ins nächstbeste Lokal zu Haxen mit Sauerkraut und einem doppelten Klaren. Dabei warf mir eine zaundürre Engländerin giftige Blicke zu. Sie knabberte an einer übervollen Salatschüssel, über und über grün behangen, fast giftgrün. Was wußte sie schon vom tragischen Ende des bittergrünen Ferdinand? …

 

Schmückende Idee
Zwei Wappen aus Messing und Kupfer

Der Giebel eines Hauses brauch te dringend eine Verschönerung, beschloß die Familie Nickel. Was tun? Tochter Margit hatte die Idee: Wie wär’s mit dem Stadtwappen von Danzig und der Elchschaufel? Ein Kupferplatte sollte die Motive aus Messing tragen. Fotos wurden herausgesucht und die ersten Entwürfe entstanden, wobei die Elchschaufel zunächst Schwierigkeiten bereitete. Dann aber war es geschafft. Kupfer und Messing wurden besorgt, und man ging daran, die Motive aus dem Messing zu treiben. Unzählige Blasen an den Händen kündeten von der mühevollen Arbeit. "Von der Planung bis zur Fertigstellung gingen runde drei Wochen ins Land", erzählt Margit Nickel. "Stolz präsentierte sich das Haus zum Frühjahr mit einem schön verschieferten Giebel und zwei echten Schmuckstücken." Wo? – In Helmeroth, Kreis Altenkirchen, sind beide Wappen zu bewundern. o-n

 

Wunderbare Flinsentorte
Von GERT O. E. SATTLER

Omchen backte sonntags Flinsentorte

für die große Enkelkinderschar,

es bedurfte wirklich keiner Worte,

ihre Torte schmeckte wunderbar.

Flins’ um Flins’, dazwischen Konfitüre,

häufte sie auf Kuchentellern an,

weißer Puderzucker als Bordüre

schlug ein jedes Kinderherz in Bann.

Ob mit Hagebutten wilder Rosen,

oder Himbeern, Pflaumen, Apfelmus,

ob mit Kirschen oder Aprikosen:

Diese Flinsentorte war kein Schmus.

Omchen backte sonntags ihre Flinsen,

weil sie gern und gut gebacken hat,

keins der Kinder mußte heimlich plinsen:

Omchen kriegte alle Mäuler satt.

 

Geradezu geschenkt
Von WILLI WEGNER

Gerade jetzt, zum Sommer schlußverkauf", sagte meine Frau, "muß ich krank werden und das Bett hüten! Erinnerst du dich noch an die hübsche Krawatte, die ich dir letztes Jahr vom Sommerschlußverkauf mitgebracht habe?"

Eine Stunde später verlasse ich das Haus. Ich werde mich einmal selbst davon überzeugen, was bei solch einem Sommerschlußverkauf alles getrieben wird! Es wird schon etwas Wahres daran sein, was uns die Karikaturisten immer wieder aufzeichnen.

In der Stadt kommen mir die Straßen sofort wie ausgestorben vor. Kein Wunder! Die Männer sind bei der Arbeit, die Frauen in den Geschäften.

Schließlich betrete ich das Kaufhaus Keggelmann & Wilmersbach. Ganz und gar ungezwungen, ein wenig vor mich hinpfeifend. Ich stehe vor einem einzigen weiblichen Gewimmel. Frauen über Frauen … Sie wühlen, zerren, zetern. Sie schimpfen, drängeln, kaufen. Echt weiblich! Überhaupt habe ich so viele Frauen noch nie auf einmal gesehen. Hier sind der Geschäftsführer und ich die einzigen Männer.

Der Geschäftsführer beobachtet mich eine Zeitlang, dann kommt er auf mich zu: "Sie vermissen Ihre Frau?"

"Nein."

"Ich meine, Sie haben sie verloren?"

"Nein, sie ist nur bettlägerig. Sonst wäre sie auch hier. Sind die Krawatten dort drüben ebenfalls verbilligt?"

"Ja, selbstverständlich! Sie möchten also etwas kaufen?" Er geleitet mich strahlend zu den Krawatten. Er lebt richtig auf, so froh ist er darüber, zur Abwechslung einmal einen männlichen Kunden zu haben. Zwei Verkäuferinnen stürzen herbei. Sie sind auch froh!

"Diese hier ist sehr hübsch", sage ich, und meine natürlich eine der Krawatten. "Was kostet sie?"

"Das halbe Dutzend fünf Mark neunundneunzig! Suchen Sie sich nur einige aus!"

Also sechs Krawatten für nicht einmal sechs Mark! Da kann man mal sehen! Ich treffe in aller Ruhe meine Wahl, ich bin ja hier ziemlich ungestört. Eine wahre Freude ist das! Die Frauen kommen erst an den Krawattenstand, wenn sie kein Geld mehr haben und deshalb ganz plötzlich an ihren Mann denken …

Ein paar Stände weiter kaufe ich mir einen herrlichen Sommermantel für neunundzwanzig Mark neunzig. Geradezu geschenkt! Ein Narr, der da nicht zugegriffen hätte! Nachher erwische ich noch mehrere sehr preiswerte Oberhemden, ein paar Garnituren Unterwäsche (Sommer und Winter), einen Arbeitskittel, eine Hose für den Keller, eine für den Garten und zum Holzhacken sowie einen ganzen Berg Socken. So ein Sommerschlußverkauf ist eine wahre Fundgrube. Wer das noch niemals mitgemacht hat, der hat nicht gelebt.

Auch in der Schuhabteilung ist alles spottbillig. Ein Paar whiskyfarbene Halbschuhe habe ich mir schon immer gewünscht. Ich nehme auch gleich ein Paar Arbeitsschuhe und ein Paar Schwarze für besondere Anlässe mit. Sogar die Schuhspanner gibt es zu herabgesetzten Preisen!

Schwerbepackt trete ich den Heimweg an. Schade, daß ich nicht mehr tragen kann. Ich bin so richtig in Kaufstimmung, und als ich so dahingehe, fällt mein Blick wie von ungefähr auf ein Schaufenstertransparent: "Äußerst preiswerte Gebrauchtwagen!" Der Geschäftsführer macht mir schon die Tür auf. "So bepackt", sagt er, "und kein Auto! Wieviel einfacher wäre alles, wenn Sie jetzt motorisiert wären …"

"Wie teuer ist denn dieser hier?" Ich bin ganz groß in Fahrt! Was kostet die Welt?

"Zweitausend."

"Eigentlich wollte meine Frau ja einen neuen Mantel für den Winter …"

"Wozu?" lächelt der Geschäftsführer. "Der Wagen hat Heizung."

Mit einem Wort, ein herrlicher Tag!

Als ich heimkomme und meine Frau erfährt, daß ich beim Sommerschlußverkauf gewesen bin, fragte sie mit vor Aufregung geröteten Wangen: "Hast du mir wenigstens etwas Schönes mitgebracht?"

"Aber natürlich, Liebling!"

Und ich habe ihr wirklich etwas mitgebracht. Eine Damenbluse zu stark herabgesetztem Preis. Im Vertrauen: 2 Mark. Aber das braucht sie ja nicht zu wissen …

 

Der Weinbrandfrevel
Von WERNER HASSLER

Walter stand vor seiner Haus bar und griff nach der Flasche Weinbrand. Weinbrand war sein Lieblingsgetränk. Nein, diesmal irrte er nicht! Deutlich konnte er sehen, daß aus der Flasche schon wieder ein guter Schluck fehlte. Seit einigen Tagen stellte er fest, wie der Flascheninhalt langsam, aber stetig weniger wurde. Deshalb kennzeichnete er die Falsche immer nach dem neuesten Stand. Und heute zeigte der Pegel wieder eine gute Daumenbreite unter dem letzten Strich.

Walter wurde wütend. Sollte in seiner Familie heimlich getrunken werden? Er wollte schon seine Familienmitglieder zusammentrommeln, um mit einer Standpauke ihre frevelhaften Alkoholgelüste gehörig auszutreiben. Aber er zögerte nicht und überlegte.

Ob klammheimlich Susanne, seine Frau …? Nein, ganz ausgeschlossen! Sie vertrug überhaupt keinen Alkohol. Selbst bei Parties und Einladungen brachte sie es fertig, den ganzen Abend stillvergnügt bei einem Glas Apfelsaft zu verbringen. Wie war es mit Renate, seiner Tochter? Aber Renate stand nur auf Orangensaft, dem sie gelegentlich mit einigen Tropfen Whisky eine Spur von Alkoholgeschmack verlieh. Bliebe also dann noch sein Sohn Joachim übrig. Alkohol war für Joachim verpönt, denn dafür war ihm der Fußballsport zu wichtig.

Aber der Gedanke, daß in seiner Familie heimlich Weinbrand getrunken wurde, machte Walter wütend. Was brachte es ihm, bei seiner Familie gegen den Alkoholmißbrauch zu protestieren, wenn jeder unverfroren leugnen würde. Angelogen wollte er nicht werden, deshalb sann er auf Rache. Heimlich besorgte er sich in einer Apotheke ein wirksames Abführmittel und füllte es in die Weinbrandflasche.

Einen Tag später verspürte Walter ein furchtbares Rumoren im Bauch. Er hastete zur Toilette.

"Besetzt!" Es war Joachims Stimme, die gequält hinter der verschlossenen Tür erklang. "Vati, ich hab solch entsetzlichen Durchfall, versuch es bitte auf der Gästetoilette!"

"Aha, da haben wir ja den heimlichen Weinbrandtrinker", grollte Walter. An Joachim hätte er nicht gedacht, wo er doch Alkohol mied. Also eilte er zur Gästetoilette. Besetzt!

"Ich hab ein solch furchtbares Bauchweh", verriet ihm die klagende Stimme von Renate.

"Die also auch", zürnte Walter. "Na, wartet nur!" Mit gekreuzten Beinen und einem unglücklichen Gesicht rief Walter: "Wir treffen uns alle gleich im Wohnzimmer!" Seine Stimme glich einer Fanfare.

In gekrümmter Haltung, beide Hände vor den Bauch gepreßt, erschienen Renate und Joachim im Wohnzimmer.

"Susanne!" donnerte Walters Stimme durch das Haus, weil seine Frau immer noch in der Küche hantierte und nicht im Wohnzimmer erschienen war. Flüchtig trocknete sie sich die Hände an der Kittelschürze und betrat erwartungsvoll das Wohnzimmer.

Walters Augen funkelten böse. "Renate, Joachim, ihr beide habt von meinem Weinbrand getrunken! Leugnet nicht!". Seine Stimme grollte wie ein entfernter Donner.

"Aber Vati, nein, niemals! Ganz bestimmt nicht, Ehrenwort! Weinbrand mag ich nicht! Ich trinke nie Alkohol!" Die Stimmen von Renate und Joachim klangen wild durcheinander, und sie wehrten sich energisch der Bezichtigung.

"Aber einer von euch war es doch gewesen!" polterte Walter, riß die Hausbar auf und zeigte auf die Weinbrandflasche. "Also, wer hat davon genommen?"

"Ich." Susannes Stimme klang zaghaft.

Walter schnellte herum. "Du?" tönte es gleichzeitig und verwundert aus aller dreien Munde.

"Ja, ich", bestätigte Susanne mit unschuldiger Geste. "Ich las neulich in einem Kochbuch, wie man mit Weinbrand Speisen und Soßen geschmackvoll herrichten kann. Da nahm ich ab und zu …, aber entschuldigt mich jetzt, ich muß mal ganz dringend zur Toilette!"

 

Das "Lange Haus"
Von CHRISTEL BETHKE

Das "Lange Haus" ist jedem ein Begriff, der aus Gerdauen stammt. Jeder kannte irgendeinen seiner Bewohner oder war mit jemandem darin verwandt. Wenn man aus der Stadt kam, stieg die Straße leicht an und nachdem man an Urban, dem Eismann, vorüber war und dem Scheunengrundstück von Baugeschäft Priedigkeit, wo die Gespanne standen, begann das Haus bald auf der linken Seite.

Dem Haus gegenüber lag der Kirchhof. Wenn es einen Trauerfall gab, saß man versteckt hinter der Gardine wie in der ersten Reihe: feierlich nahte der Trauerzug. Die Pferde, die den Katafalk zogen, auf dem der mit Kränzen geschmückte Sarg stand, trugen einen schwarzen Überwurf, der nur Öffnungen für die großen Augen der Pferde hatte. Würdig schritten die Leidtragenden in Rangfolge hinter dem ebenfalls schwarz ausgeschlagenen Wagen, Gesangbuch und einige Blumen in der Hand. Morgens schon waren die Straße und der Weg bis zum Grab mit geschnittenen Tannenzweigen und Lebensbaum bestreut worden, deren bitterer Duft bis in die offenen Fenster wehte. Trauernde Frauen waren tief verschleiert, was die Neugier der Kinder erregte und das sie später in ihren Spielen nachahmen würden. Ob sie dabei alle Strophen von "Wenn ich einmal soll scheiden" auswendig singen konnten wie die Trauergemeinde, blieb anzuzweifeln.

Als einmal in Schöppkes Grund ein Flugzeug abstürzte, die Besatzung dabei ums Leben kam und ein Ehrenbegräbnis erhielt, bei dem über den offenen Gräbern aus Gewehren in den Himmel geschossen wurde, waren die Kinder ganz aus dem Häuschen gewesen.

Aber meistens war es still auf der Straße vor dem Haus. Es gab kaum Verkehr, höchstens mal ein Pferdefuhrwerk, das nach Neuendorf fuhr, oder im Winter Pferdeschlitten. Die Straße gehörte den Kindern für ihre Spiele. Völkerball und Treibball waren besonders beliebt. Das ging hin und her, und es kam vor, daß dabei manchmal der Ball über den Zaun des Kirchhofes zwischen die Gräber flog. Wenn es schon schummerig war, bedurfte es einigen Mutes, ihn dort zu suchen und zu holen. Ansonsten hatten sie wenig Respekt, und ihre Stimmen hallten bis in den Abend.

An Mitspielern mangelte es nie. Darin war das "Lange Haus" unerschöpflich. Es reichte für alle Spiele. Auch für die der Kleineren: Goldene Brücke, Kreisspiele, für Hochzeiten mit angemessenem Hofstaat und Volk. Zum Abendbrot mußten die Mütter ihre Kinder nicht nur einmal rufen …

Hinter dem "Langen Haus" zog sich der Gang hin, wo allerhand Unrat lagerte und rostete, von dem die Kinder immer noch etwas gebrauchen konnten. Da saßen sie auf langen Telefonmasten, die ausgesondert und zum Verheizen bestimmt waren, legten ihre Ohren darauf und lauschten den Stimmen längst vergangener Gespräche.

Im Sommer knallte die Sonne auf die Stallwände. Es roch nach Asche und den schmalen Stückchen Acker, die zu jeder Familie im Haus gehörten. Am Bretterzaun hatten sich Hühner in den Staub gebuddelt und manchmal war ein "falsches Nest" in den Kletten versteckt, aus deren Früchten die Kinder Körbchen formten oder sich damit bewarfen. Am liebsten in die Haare.

Ihre Mütter und Großmütter bevorzugten an heißen Tagen die Vorderseite des Hauses. Wenn gegen Abend das "Lange Haus" seinen langen Schatten warf, sah man sie vor dem Haus sitzen oder – jetzt ungeniert – in den offenen Fenstern liegen, in die sie Kissen gelegt hatten …

Jahrzehnte nach Kriegsende beginnt der "Heimwehtourismus". Sie kommen alle, die damals hier spielten, und stellen zu ihrer Freude fest und geben es weiter: "Das ,Lange Haus’ steht noch." Schön für den, der beim Bau half, denn viele andere Häuser stehen nicht mehr. Auch den Kirchhof gibt es nicht mehr. Auf dem stehen jetzt Plattenbauten, nicht annähernd so stabil wie das "Lange Haus". Auch den Gang gibt es noch. Aber wo sind die Kinder?

 

Sommer
Von JUTTA v. WILDENRADT

Die Nacht wird hell.

Ein großer Stern

hängt leuchtend

überm Wald,

wie Diamant auf Samt.

Der Wind geht durch den Wald,

der linde, warme Sommerwind,

und flüstert in dem Laub.

Ich liege still in deinem Arm,

du sagst: ich liebe dich!

Ach bleibe doch,

du großes Glück!

Doch du vergehst

wie Blütenrausch

und Sommerwind,

und nie kehrst du zurück …