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05.08.00 Wider den Krieg der Sterne

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. August 2000


Wider den Krieg der Sterne
Rußland und China einig in der Ablehnung
Von Wladimir Petrow

Der Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in China sowie die unterzeichneten Erklärungen schaffen Voraussetzungen für neue Kräfteverhälnisse in der Welt. Das ergibt sich aus dem Text der in Peking unterzeichneten gemeinsamen Erklärungen Chinas und Rußlands zur Raketenabwehr.

Darin wird unter anderem ausgeführt: "Die regionalen und nationalen Abwehrsysteme - RMD und NMD - sowie die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet dürfen nicht auf Kosten der Sicherheitsinteressen anderer Länder gehen ... Rußland und China ... drücken ihren entschiedenen Protest im Zusammenhang mit der Entwicklung eines solchen Systems der regionalen (nichtstrategischen) Raketenabwehr in der Asiatisch-Pazifischen Region aus, die zu den genannten negativen Folgen führt ..." "Jegliche Einbeziehung Taiwans in die Systeme einer Raketenabwehr, die von anderen Staaten geschaffen werden, ist unannehmbar ..."

"Rußland und China rufen die Weltöffentlichkeit auf, aufmerksam die Handlungen der entsprechenden Staaten bei der Entwicklung von Raketenabwehrsystemen zu beobachten, die das globale strategische Gleichgewicht und die Stabilität in der Welt gefährden."

Versuchen wir, die protokollarische Sprache des Dokuments in den Alltag zu übersetzen: China und Rußland betrachten die Versuche Washingtons, eine Raketenabwehr für das Territorium der USA und seiner Streitkräfte im Ausland zu schaffen, als Versuch, die strategische Vorherrschaft im Falle eines Konflikts zu erhalten. Beide sind sich einig darin, daß die USA die gegenwärtige Position als einzige Weltmacht festschreiben will, um so freie Hand im Umgang mit Staaten zu bekommen, die ihnen nicht gefallen. Das heißt, sie wollen eine uneingeschränkte Militärherrschaft über die Welt.

Zunächst sei bemerkt, daß kein seriöser Experte dem amerikanischen Märchen von den bösen "Problemländern" ("Schurkenstaaten") glaubt, die sie und ihre Verbündeten mit Raketen bedrohen. Davon kann sich jeder überzeugen, der aufmerksam Zeitungen und Zeitschriften verfolgt. Um sich endgültig zu beruhigen, genügt ein Beispiel: China brauchte 50 Jahre angestrengter Arbeit seines riesigen militär-industriellen Komplexes und ungeheuerliche Milliardenausgaben zur Schaffung einer Interkontinentalrakete, die das pazifische Ufer der USA erreichen könnte. China verfügt über 20 bis 25 solcher Raketen. Keiner der sogenannten "Schurkenstaaten" besitzt auch nur den zehnten Teil des ökonomischen und finanziellen Potentials Chinas oder könnte es zu Lebzeiten der heutigen Generationen erhalten. Ohne die technischen Aspekte des Problems tiefer zu beleuchten, sage ich nur: eine Interkontinentalrakete mit Kernsprengkopf zu kaufen, ist nicht möglich, sie in die "Schurkenstaaten" zu schaffen, auch nicht. Damit stellt sich die Frage: Gegen wen ist die Raketenabwehr Washingtons gerichtet? Rußland und China antworteten klar und eindeutig - gegen uns. Bei allen Widersprüchen, die es zwischen Peking und Moskau gibt, die Politik Washingtons zwingt sie, diese langsam zu vergessen und sich gegen die gemeinsame Gefahr zu vereinen.

Was bedeutet für China der Aufbau einer Raketenabwehr auf Japan und Taiwan? Damit könnte das gesamte chinesische Kernwaffenpotential unmittelbar nach dem Start geortet und vernichtet werden. Zudem konserviert eine solche Verteidigung für immer das sogenannte Problem der "beiden Chinas". Dabei muß man verstehen, daß jede chinesische Führung niemals und unter keinen Umständen damit einverstanden sein wird. Ein Ausweg?

Die US- Raketenabwehr mit Hilfe neuer Rüstung und der Schaffung neuer militärpolitischer Bündnisse zu neutralisieren.

Für Rußland ist die Situation noch komplizierter. Es hat sich noch nicht von der Zerstörung der einheitlichen UdSSR-Wirtschaft erholt, durchlebt eine komplizierte Periode des Entstehens eines neuen Staates, und schon ertönen von allen Seiten Stimmen, die frühere Sowjetrepubliken zu "Zonen ihrer Lebensinteressen" erklären. Wenn man hinzufügt, daß sich die NATO weiter nach Osten ausweiten will und sich dabei einer Doktrin bedient, die militärische Handlungen außerhalb ihrer Verantwortung gestattet, daß sie nach eigenem Ermessen den einen oder anderen Staat mit Bomben "bestraft", kann man den Wunsch Moskaus nach Schutz verstehen. Der Versuch, den Vertrag über die Raketenabwehr zu kippen, läßt Rußland nur den Ausweg - die Abrüstungsverhandlungen zu kündigen und jene Rüstungen fortzusetzen, die jeden amerikanischen Schild durchschlagen. Was das heißt, bedarf keiner Erklärung.

Das Treffen in Peking hat gezeigt, daß sich Rußland und China im Bestreben, die eigenen strategischen Interessen zu wahren, einig sind und dies erstmals auch offen verkünden. Washington hat zu sehr daran geglaubt, daß ihm alles erlaubt sei. Ein wenig fehlt noch - die Kernwaffenpotentiale Rußlands und Chinas neutralisieren und das Problem löst sich "fast" von selbst. Moskau und Peking warnen die USA vor verfrühter Euphorie.

Interessant ist die Position Deutschlands: Berlin ist offenbar nicht begeistert von dem Versuch der USA, den Raketenabwehrvertrag zu kündigen, um in der Perspektive in eine neue Spirale des Rüstungswettlaufs hineingezogen zu werden. Um so mehr als eine Annäherung zwischen China und Rußland auf antiamerikanischer Grundlage möglich scheint. Bundeskanzler und Außenminister drücken öffentlich ihre Skepsis hinsichtlich der Machbarkeit eines Raketenabwehrschildes aus, aber als treue Verbündete tun sie das nur mit halber Stimme und in persönlichen Gesprächen mit Amerikanern, um "den Streit nicht aus der Hütte" zu tragen. In Wirklichkeit ist die Frage für Deutschland und Europa ziemlich ernst. Für die Europäer ist es an der Zeit, ihre Interessen zum Problem der Raketenabwehr zu bestimmen, die Folgen eines Ignorierens der Interessen Moskaus und Pekings zu berechnen. Putin sprach darüber bei seinem Besuch in Berlin im Juni. Bald wird klar sein, ob man ihn verstanden hat.

Der Autor ist Korrespondent der "Parlamentskaja Gaseta" (Moskau) und der "Kaliningradskaja Gaseta" (Königsberg) in Berlin