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05.08.00 Moskau 1941: Krieg gegen das eigene Volk

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. August 2000


Moskau 1941: Krieg gegen das eigene Volk
Neuer Suworow belegt Stalins Angriffspläne lange vor "Barbarossa" bis ins Detail (Teil II)
Von WOLFGANG STRAUSS

Hitler durchkreuzt mit seinem Angriff die Pläne für eine sowjetische Invasion in Europa." So lautet eine Zentralthese von Viktor Suworow, der durch sein Buch "Der Eisbrecher" weltberühmt wurde. In seinem neuesten Buch "Stalins verhinderter Erstschlag" (siehe OB, Folge 30, Seite 3) ergänzt Suworow seine brisante Behauptung mit einer Fülle neuer Belege.

Es geht um den historisch nachweisbaren kausalen Nexus zwischen dem 22. Juni 1941 und den militärischen Eroberungsplänen Stalins, ausgearbeitet und in Gang gesetzt lange vor dem 22. Juni.

Ohne die zum Angriff bereite Rote Armee kein "Barbarossa", ohne Stalins Invasionsabsicht kein Präventivschlag Hitlers – das ist die Quintessenz des jüngsten Forschungsergebnisses von Viktor Suworow, der im übrigen niemals abgestritten hat, ein Revisionist zu sein, was er sogar als seine Berufsehre betrachtet. Seiner Überzeugung nach ist der ganze Prozeß der Geschichtsschreibung eine einzige Revision. Nicht nur deshalb, weil neue Fakten und Dokumente ans Licht gelangen, sondern weil sogar vermeintlich unumstößliche Tatsachen neu bewertet, neu interpretiert werden müssen. Dazu gehört im vorliegenden Fall die Neuinterpretation von "Barbarossa".

"Stalins verhinderter Erstschlag" erscheint rechtzeitig vor dem 60. Jahrestag des sowjetisch-deutschen Krieges, der auch nach Ansicht von Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn ein Krieg Stalins gegen das eigene Volk gewesen ist. Solschenizyns Argumente: Grausamkeit und Menschenverachtung des Diktators im Kreml.

Hitlers Präventivschlag am 22. Juni zwang Stalin zur Flucht in eine Legende. Man sei auf sowjetischer Seite auf den Krieg nicht vorbereitet gewesen, außerdem hätte die Rote Armee nicht genügend Panzer gehabt. Mit einem Wort: die Faschisten überfielen einen Friedensstaat.

Die Wahrheit ist, und sie wird von Viktor Suworow aufgedeckt, daß die Rote Armee am 22. Juni 1941 siebenmal mehr Panzer hatte als die Wehrmacht an der Ostfront: 24 000 Tanks mit dem roten Stern, 3410 Kampfwagen mit dem Balkenkreuz. Suworow: "Diese Zahl läßt sich an Hand beliebiger Quellen nachprüfen. Die Akten des deutschen Oberkommandos befinden sich in der Stadt Podolsk bei Moskau". (Seite 117)

Inhaltlich identisch ist der Offensivplan vom 18. September 1940 – die Zielvorgaben lauten Königsberg, Warschau, Lublin, Krakau, Breslau – mit den berühmten "Erwägungen". Dabei handelte es sich um die Vorbereitungen zu einem Erstschlag gegen Deutschland einschließlich der von den Deutschen besetzten polnischen Gebiete im Juli 1941, generalstabsmäßig ausgearbeitet von Marschall Timoschenko und Armeegeneral Schukow, vorgelegt dem "Genossen Stalin" am 15. Mai, exakt viereinhalb Wochen vor dem ersten Schuß am Bug. Am 1. Mai 1941 umfaßte die offensive Entfaltung 178 sowjetische Großverbände an der Westgrenze, darunter 118 Schützendivisionen, 20 Kavalleriedivisionen, 40 mechanisierte Brigaden (Panzer). Auf deutscher Seite standen zu diesem Zeitpunkt 72 Divisionen.

Die Eroberungsziele der sowjetischen Angriffsstrategie laut Generalstabsplan vom 15. Mai 1941 hießen Warschau, Lublin, Krakau, Kattowitz, Olmütz, Bromberg, Danzig, Königsberg. Ein Vergleich mit dem Angriffsplan vom 18. September 1940 zeigt fast analoge Ziele, heißt es doch da zu den Grundlagen "unserer strategischen Aufstellung im Westen":

"Im Zuge der Truppenkonzentration durch einen Angriff in Richtung Insterburg, Allenstein, gemeinsam mit der Westfront die Kräfte der Deutschen in Ostpreußen zu binden." (Seite 319)

Voll im Gange war die Verlegung der sowjetischen Angriffstreitkräfte in die westlichen Militär-Grenzbezirke im Mai und Juni 1941, so daß sich die Elite des Moskauer Militärbezirks am 25. Juni komplett im westlichen Teil Weißrußlands befand. Es waren Dutzende von Korps und Armeen, aufgezählt vom Verfasser auf den Seiten 231 bis 234.

Hohe Befehlshaber der Roten Armee, viele der obersten Stäbe gerieten bereits in den ersten Tagen des Krieges in deutsche Gefangenschaft, weil sie nicht auf eine Verteidigung vorbereitet waren. Sie gerieten auch deshalb in Gefangenschaft, weil ihr Kartenmaterial das deutsche Gebiet zeigte, nicht aber das sowjetische. In Suworows Buch findet sich ein diesbezügliches Bild: Jakow Dschugaschwili, Stalins Sohn, als Kriegsgefangener bei einer deutschen Luftwaffeneinheit. Er sitzt und raucht eine Zigarette des Feindes, vor ihm steht ein Glas mit Rotwein. Ernst und nachdenklich das Gesicht des jungen Offiziers. Er befehligte die 5. Batterie des 14. Haubitzenregiments der 14. Panzerdivision des 7. mechanisierten Korps. Auf Befragen deutscher Offiziere, die ihn höflich, ja fast freundschaftlich behandelten, gab er zu: "Wir hatten Karten von Deutschland, aber keine Karten des sowjetischen Territoriums. Ohne Karten kann die Artillerie nicht schießen."

Suworow berichtet über das Schicksal von Jakow Dschugaschwili: "Er wollte nicht die militärische Laufbahn einschlagen, sondern den zutiefst friedlichen Beruf eines Ingenieurs ergreifen, und er verwirklichte seinen Wunsch auch. Aber er hatte einen herrschsüchtigen Vater, der darauf bestand, daß der junge Ingenieur Offizier und an der Akademie der Artillerie immatrikuliert wird. Der junge Ingenieur fügte sich dem Willen des Vaters, wurde Offizier und absolvierte die Akademie. Am 5. Mai 1941 fand im Kreml ein feierlicher Empfang zu Ehren der Absolventen der Militärakademien statt. Auf diesem Empfang hielt der Vater eine Rede, die 25 Jahre lang absolutes Staatsgeheimnis war. Doch der Sohn – Oberleutnant Jakow Jossowitsch Dschugaschwili – saß im Saal und hörte die Rede seines Vaters ....

Der Sohn kam danach in den Moskauer Militärbezirk, in das 7. mechanisierte Korps von Generalmajor W. I. Winogradow (14. und 18. Panzerdivision sowie die 1. Moskauer Proletarische Motorschützen-Division). Der Marschall der Sowjetunion A. I. Jeremenko empfing das Korps zu Beginn des Krieges in Belorußland. Der Marschall bestätigte: ,Das Korps wurde komplettiert.’"

Aber nicht die Vervollständigung ist das eigentlich Interessante am Fall 7. mechanisiertes Korps: diese Elite-Einheit befand sich lange vor "Barbarossa" auf dem Transport an die russisch-deutsche Grenze! Am 25. Juni 1941 lag das Korps in den Wäldern Weißrußlands. Es sei unmöglich, argumentiert Suworow, ein mechanisiertes Korps, das 1031 Panzer, 358 Geschütze und Minenwerfer, 255 Panzerautos, 352 Zugmaschinen, 5165 Lkw sowie 36 080 Soldaten, Unteroffiziere und Generäle umfaßt, innerhalb von drei Tagen vom Moskauer Militärbezirk in den Westlichen Besonderen Militärbezirk zu verlegen. Das sei sogar unter normalen Bedingungen unmöglich. Suworow weiter:

"Nicht nur das 7. mechanisierte Korps wurde heimlich an die Grenze verlegt .... Aus dem gleichen Moskauer Militärbezirk wurde auch das 21. mechanisierte Korps von Generalmajor D. D. Leljutschenko in den Westlichen Besonderen Militärbezirk verlegt – jenem General, den der General der 22. Armee (die gleichfalls heimlich aus dem Ural hierher verlegt worden war) um eine Karte gebeten hatte". (Gemeint ist eine Karte des weißrussischen Territoriums!)

Suworow schlußfolgert: "Das 7. mechanisierte Korps hatte seine Verladung also vor dem 22. Juni begonnen. Vor dem deutschen Angriff." (Seite 234)

In ihren offensiven Aufmarschgebieten in Weißrußland wurden zwischen dem 22. und 24. Juni 1941 eingekesselt und völlig aufgerieben die 22., 3., 4., 10. und 13. Sowjetarmee, darunter das 7. mechanisierte Korps und die Nachbareinheit, das 5. mechanisierte Korps, das heimlich aus dem Baikalgebiet nach Weißrußland verlegt worden war. Wie schon erwähnt, geriet Stalins Sohn Jakow in deutsche Gefangenschaft, wo er aussagte: "Die Karten ließen die Rote Armee im Stich, da der Krieg entgegen den Erwartungen weiter östlich von der Staatsgrenze entbrannte." Folgerichtig war man auf sowjetischer Seite von einem Krieg westlich der "Staatsgrenze" ausgegangen.

In den allerersten Kriegstagen hätten die deutschen Truppen sowjetische Angriffspläne erbeutet und sie mehrfach der ganzen Welt präsentiert, liest man auf Seite 231. Sowjetische Kommandeure hätten bei Verhören nach ihrer Gefangennahme "interessante" Aussagen gemacht. Aussagen, die Stalins Absicht zum Erstschlag – sprich Überfall – bestätigt hätten. "Darüber gibt es haufenweise Informationen", meint Suworow. "Es ist gar nicht nötig, zu den Protokollen der Verhöre zu greifen, denen jene Generäle unterzogen wurden, welche im Rahmen der Russischen Befreiungsarmee und anderer Formationen gegen den Kommunismus kämpfen wollten. Diejenigen, die Tod und Lager bevorzugten, sagten das gleiche."

Nämlich dies, kurz und bündig: Krieg gegen Deutschland, darum die Initiative ergreifen und die Wehrmacht im polnisch-ostdeutschen Raum zerschlagen. Angreifen, einkesseln, vernichten. "Ich empfehle die Protokolle der Verhöre zu lesen, denen der Kommandierende der 5. Armee, Generalmajor M.I. Potapow, der Kommandierende der 6. Armee, Generalleutnant N. I. Musytschenko, der Kommandierende der 12. Armee, Generalmajor P. G. Ponedelin, der Kommandierende der 19. Armee, Generalleutnant M. F. Lukin, und der Kommandierende der 32. Armee, Generalmajor S. W. Wischnewsky, unterzogen wurden. Das gleiche sagten gefangengenommene Korps-, Divisions-, Brigade-, Regiments- und Bataillonskommandeure, ihre Stellvertreter und Stabschefs." (S. 231)

Daß Stalin Deutschland 1941 überfallen wollte und zu diesem Zweck in den nordwestlichen, westlichen und südwestlichen Grenzregionen seines Imperiums eine millionenstarke Heeres- und Luftmacht konzentriert hatte, eine Angriffswalze mit den damals modernsten Panzertypen, sei heute eine Tatsache, so Suworow, die eigentlich keiner Rechtfertigung bedarf, sprächen doch die Fakten für sich selbst. "Ein einheitlicher sowjetischer Invasionsplan existierte und wurde in allgemeinen Zügen von der deutschen Aufklärung aufgedeckt", konstatiert Suworow. "Der deutsche Botschafter, Graf von der Schulenburg, legte diesen Plan am Vormittag des 22. Juni 1941 dem Genossen Molotow ziemlich genau dar und übergab ihm auch ein Aide-Mémoire. Dieser von der deutschen Aufklärung aufgedeckte Invasionsplan war eigentlich Grund und Anlaß des deutschen Angriffs, der eine Präventivmaßnahme zum Schutz vor einem unausbleiblichen und baldigen sowjetischen Angriff darstellt." (Seite 231)

Muß die Geschichte umgeschrieben werden? Nein. Sie ist bereits umgeschrieben, das heißt: korrigiert, neu definiert, revidiert. Von mutigen Historikern, wie Suworow, Solschenizyn, Nolte, Hoffmann.

Im Mai 1945 erstürmte Schukow mit seiner 1. Weißrussischen Front Berlin. Siebenundvierzig Jahre später, am 1. Mai 1992, lebte Schukow nicht mehr, existierte die Sowjetunion nicht mehr. An jenem ersten Mai-Feiertag nach dem Untergang des Bolschewismus und dem Abtritt der Sowjetarmee fand auf dem Roten Platz keine Militärparade statt. Die Siegermacht von 1945 war ab jetzt nur noch Museumsobjekt. Geblieben waren aber die Tapferkeit und die Opferbereitschaft der Frontsoldaten von damals, der Deutschen und Russen. In privaten Gedenkanzeigen auf den Seiten der "Frankfurter Allgemeinen" wird jener gedacht, die bei der Abwehr der Stalinschen Invasion ihr Leben gaben: "Gefallen für Deutschland." Wird der Tag kommen, da man in russischen Zeitungen des Opfertums, des Todesmutes der Freiwilligen Wlassows gedenken wird: "Gefallen für Rußland"?

(Fortsetzung folgt)