19.04.2024

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12.08.00 Volksentscheid über Amtszeit des Präsidenten

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. August 2000


Frankreich: Bruch mit der Tradition
Volksentscheid über Amtszeit des Präsidenten

Am 24. September gehen die Franzosen zu den Urnen, um in einem Volksentscheid die Verkürzung der Amtszeit des Staatspräsidenten zu beschließen. Das Ergebnis der Wahl gilt an der Seine nämlich als absolut sicher, denn sowohl der Neogaullist Chirac als auch sein sozialistischer Premier befürworten diese Verfassungsänderung.

Seit dem 20. November 1873, das heißt seit dem Anfang der Dritten Republik, kurz nach dem Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs, war es die Regel, daß das französische Staatsoberhaupt für eine siebenjährige Amtszeit amtierte, ob durch die Volksvertretung oder – wie seit 1958 – direkt gewählt. In seinem Wahlprogramm von 1995 hatte Jospin die Verkürzung der Amtszeit auf fünf Jahre vorgeschlagen, während sein Gegenspieler Chirac streng auf die Beibehaltung des "Septennats" beharrte. Seit dem Ausscheiden de Gaulles, des Gründers der Fünften Republik, war die Debatte immer offen. Die Linken, deren Stärke eher auf den Rechten des Parlaments denn auf denen des Staatsoberhauptes beruht, haben vor, die Befugnisse des Präsidenten zu kürzen. Das Ganze war etwas vergessen, als Altstaatspräsident Giscard D’Estaing, der immer einen großen Einfluß auf die Zentristen besaß, die Frage wieder lancierte. Chirac, dem das Stimmverhalten dieser Partei bei der Präsidentschaftswahl 2002 keineswegs egal sein kann, mußte so den Vorschlag Giscards gutheißen und erklärte widerwillig Anfang Juli in einer Fernsehansprache, daß das französische Volk im Herbst sein Votum abgeben werde. Die einzige offene Frage, die sich gegenwärtig stellt, ist die Höhe der Beteiligung an dieser Volksabstimmung, die derzeit die Franzosen völlig gleichgültig läßt.

Bei der Verfassungsänderung geht es immerhin um die Rolle des Staatsoberhauptes in Paris. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Wille der Sozialisten, die nie den plebiszitären Charakter der Fünften Republik akzeptiert haben, zu den Institutionen der Vierten Republik allmählich zurückzukehren. Außerdem ist die Wahl bedeutungsvoll im Rahmen des europäischen Aufbaus, weil Chirac und seine Weggefährten, wie Ex-Premier Alain Juppé oder Jacques Toubon, für die Wahl eines europäischen Präsidenten wären, der vom EU-Rat gewählt würde, und dessen Machtbefugnisse mit denjenigen des französischen Staatsoberhauptes schwer kompatibel wären. Die Volksabstimmung des 24. September bedeutet in dieser Hinsicht, daß Frankreich sich immer mehr europäisiert und seine fast monarchistische Staatsgewalt hinter sich lassen wird oder sollte.

Die einzige Frage, die den Franzosen gestellt sein wird, ist diejenige der Dauer der Amtszeit des Staatschefs. In einem Rundfunkinterview mit dem staatlichen Sender "France Inter" hat allerdings der Erste Sekretär der sozialistischen Partei, Francois Hollande, der das volle Vertrauen Jospins genießt, schon erklärt, daß diese Verfassungsänderung nur die erste einer Reihe von Revisionen der Verfassung der Fünften Republik, die bürgernäher werden müßte, bedeute. Wenn man sich daran erinnert, daß de Gaulle nach dem Scheitern einer Reform des Senats die Macht verließ, kann man bezweifeln, die Franzosen wären reformfreudig genug, um den Reformeifer der Sozialisten derzeit zu teilen, der eigentlich gegenwärtig nur als Wahlpropaganda angesehen werden kann. Die Franzosen, die sich nach den Meinungsumfragen gut mit der Kohabitation abfinden, könnten im Gegenzug in den nächsten die Eigentümlichkeit in Europa eigentümliche Macht des französischen Staatschefs nicht preisgeben wollen.

In der ganzen Angelegenheit wirkt Chirac als der Zauberlehrling. Er erfand die Kohabitation unter Mitterand, scheiterte 1988 als Präsidentschaftskandidat und muß seit der mißlungenen Auflösung der Nationalversammlung mit der Linken zusammenleben. Durch die geplante Verfassungsänderung wird er, da zu bezweifeln ist, daß seine Anhänger wieder die Mehrheit der Abgeordneten stellen können, ein Präsident auf Abruf sein, wenn es ihm gelingt, wiedergewählt zu werden. Chirac, der gerne darauf pocht, daß sich die französische Gesellschaft der Welt öffnet, wird herlich, wenn er die politische Bühne nicht frühzeitig verläßt, seine Befugnisse außenpolitisch beschnitten sehen.

Pierre Campguilhem