28.03.2024

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12.08.00 Vom Armenhaus zum "keltischen Tiger"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. August 2000


Vom Armenhaus zum "keltischen Tiger"
Aufschwung Irlands durch deutsche EU-Zuschüsse
Von Stefan Gellner

Irland, so hat es den Anschein, scheint dank EU-Hilfen und einer geschickten Wirtschaftspolitik mehr und mehr zu einer Insel der Seligen zu werden. Letztes Beispiel: Die intensive Anwerbetätigkeit von Bediensteten der staatlichen Arbeitsverwaltung Irlands, die derzeit quer durch die ganze Welt reisen, um qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben. Irland benötige mindestens 100 000 Fachleute pro Jahr, so wird der staunenden Welt verkündigt. 60 000 sollen aus der EU, 40 000 Arbeitskräfte aus dem Rest der Welt kommen, um in Irland für eine bestimmte Zeit zu arbeiten. Gesucht werden vor allem Maurer, Krankenpfleger, Informationstechnologie-Spezialisten und Ingenieure. Die Entwicklung, die Irland seit einigen Jahren nimmt, wäre vor Jahren von kaum jemandem für möglich gehalten worden. Nach Jahrzehnten der Auswanderung kann Irland wieder eine Nettozuwanderung verzeichnen. Eine Erklärung für diese Wende sind, wie oben bereits angedeutet, die finanziellen Zuwendungen der EU, insbesondere Deutschlands, die in den vergangenen Jahren bis zu 15 Prozent des irischen Staatshaushaltes abdeckten. Kein Wunder, daß Irland zu den europafreundlichstes Ländern in der EU gehört. Drei Viertel der Iren halten die EU-Mitgliedschaft "für eine gute Sache". Dank der EU konnte Irland auch seine enge wirtschaftliche Abhängigkeit von Großbritannien durchbrechen. Gingen 1983 noch 53 Prozent der Exporte in das Vereinigte Königreich, sind es heute nur noch circa 30 Prozent. Die EU hat Irland den Zugang zu den führenden Märkten Europas geebnet, der eine Voraussetzung für die Wandlung Irlands vom "Armenhaus Europas" zum europäischen Musterland für Aufschwung und Konsolidierung gewesen ist. Dazu kommen lukrative Sonderbedingungen wie niedrige Steuern, ein ausgezeichnetes Geschäftsmilieu, ein anspruchsvolles Ausbildungssystem, ein hochmodernes Telekommunikationssystem sowie eine erstklassige Infrastruktur, die Irlands internationale Wettbewerbsfähigkeit spürbar verbessert haben. Insbesondere Investoren aus den USA nahmen diese Vorteile wahr und haben damit ihren Teil zum wirtschaftlichen Aufschwung Irlands beigetragen. Dieser Aufschwung ist so nachhaltig, daß Irland in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnte. Denn der anhaltende Aufschwung und der schwache Euro-Kurs drohen die Konjunktur zu überhitzen. Eine Lohn-Preis-Spirale mit verheerenden Konsequenzen droht. Meint: Löhne und Preise treiben sich gegenseitig nach oben. Das klassische Instrument, um eine überhitzte Wirtschaft zu dämpfen, ist bekanntlich eine Zinserhöhung. Dieses Instrument steht den Iren seit Beginn der Währungsunion nicht mehr zur Verfügung. Zum Verdruß der Iren senkte die Europäische Zentralbank in den letzten Monaten einige Male die Zinsen, statt sie zu erhöhen. Damit wurde die ohnehin exportstarke irische Wirtschaft noch weiter angeheizt. Irland ist damit ein beredtes Beispiel für die Schattenseiten der vergemeinschafteten Geldpolitik. Den Iren bleibt als Weg aus der Misere einzig die Erhöhung der direkten Steuern (Einkommenssteuer, Abgaben auf Immobilien). Den Druck, die Löhne zu erhöhen, versucht die irische Regierung, wie oben bereits angesprochen, durch Anwerbung von Arbeitskräften zu mildern. Diese Strategie wird allerdings nur aufgehen, wenn die Gewerkschaften entsprechend mitziehen.

Trotz des Geredes über die in Irland boomende Informations- und Hochtechnologie-Industrie, die Irland zu einer Art "keltischen Tiger" innerhalb der EU gemacht hat, sollte nicht vergessen werden, daß die Landwirtschaft immer noch Irlands wichtigster Wirtschaftszweig ist. Rund 70 Prozent der Gesamtfläche von 70 282 Quadratkilometern werden nach wie vor landwirtschaftlich genutzt. Angebaut werden vorrangig Kartoffeln sowie Futter-, Brauerei- und Brotgetreide. Nicht zuletzt deshalb wird Irland als "grüne Insel" bezeichnet, was sich auch in der irischen Nationalflagge niedergeschlagen hat, in der die Farbe grün für die Insel insgesamt steht. Im Vordergrund der irischen Landwirtschaft steht insbesondere die Rinder- und Schafhaltung, was bei der baumarmen üppigen Weidelandschaft, die das unverwechselbare Charakteristikum Irlands darstellt, nicht weiter verwundert. Von Bedeutung ist weiterhin auch die Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Whisky) sowie die Textilindustrie (Tweedherstellung), deren Erzeugnisse das Bild Irlands im Ausland entscheidend mitbestimmen.