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19.08.00 Moskau nötigt EU Antworten ab

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. August 2000


Moskau nötigt EU Antworten ab
Hoher außenpolitischer Beamter zu stiller Visite in Brüssel

Wie erst jetzt mit einiger Verspätung durchgesickert ist, hielt sich in der vergangenen Woche der hohe russische außenpolitische Beamte I. Ivanov in Brüssel auf. Wie aus einer gut informierten Quelle verlautet, setzte Ivanov die EU unter Druck, klar die Interessen der Union in bezug auf ihre Beziehungen zu Rußland zu bestimmen. Konkret ging es um Fragen, die sich als logische Konsequenz der Erweiterungspläne bzw. der schon angelaufenen Beitrittserklärungen einiger mittel- und osteuropäischer Staaten zur Europäischen Union ergeben.

Ivanovs Gesprächspartner sollen eingeräumt haben, daß Konsultationen mit Rußland "in der Natur der Sache selbst" begründet liegen. Die konkreten Probleme, die sich infolge der Erweiterung ergeben werden, sind auch in Brüssel bekannt – nur habe es die Kommission versäumt, einen entsprechenden Konsultationsmechanismus einzurichten.

Ivanov soll seinen Gesprächspartnern schriftlich festgelegte Schätzungen und Gutachten vorgelegt haben, aus denen hervorgeht, daß zahlreiche russische Unternehmen infolge der EU-Osterweiterung ihre traditionellen Exportmärkte verlieren werden.

Ein weiteres Thema, das der russische Diplomat anschnitt, war die Zukunft der Region Königsberg. Bekanntlich sind Polen und Litauen, beide Nachbarn der Exklave, auch EU-Beitrittskandidaten. Mit Polen sind die entsprechenden Verhandlungen sogar schon so weit gediehen, daß der effektive Beitritt Polens irgendwann zwischen 2003 und 2005 vollzogen werden soll.

Rußland soll sich – so unser Brüsseler Informant – für die Gewährung einer Sonderbehandlung der Region Königsberg nach der Erweiterung der Union einsetzen. Dazu gehöre in erster Reihe eine völlige Freizügigkeit in Sachen Reisen, d. h. visafreier Verkehr russischer Bürger über EU-Gebiet, zwischen dem russischen Kernland und der Exklave. Eine nicht ganz unfragwürdige Forderung, angesichts der internen Krisenfanfälligkeit in Rußland einerseits und der Ausländerproblematik in den EU-Ländern andererseits.

Weiter müsse die Region zusätzliche EU-Entwicklungsmittel bekommen, damit "kein allzu dramatisches Wirtschaftsgefälle", "kein sozial-wirtschaftlicher Graben" zwischen der Exklave und ihren Nachbarn entstehe. Offenbar herrscht in Moskau die wenig realistische Vorstellung, daß mit dem Beitritt des einen oder anderen Landes zur EU dort über Nacht ein Zustand des allgemeinen Wohlstandes ausbricht. In Brüssel hat man nicht selten von einer "strategischen Partnerschaft" mit Rußland gefaselt, aber es gibt eben kein klar formuliertes diesbezügliches Konzept. Ivanov konnte daher die Kommission sozusagen mühelos "theoretisch überrumpeln". Das Versäumnis gehe auf die Kappe von Außenkommissar Chris Patten, heißt es.

Bis zur Stunde profitiert Rußland nur in einem ganz geringen Maße von dem TACIS-Programm der EU, in dessen Rahmen den ehemaligen Sowjetrepubliken finanziell geholfen wird. Es gibt einen etwas schwungvolleren Plan, die sogenannte "Politik der nördlichen Dimension", in die die nordwestliche Region Rußlands mit einbezogen werden soll. Dies scheint die bisher wichtigste Initiative der EU in Richtung Rußland zu sein, nur kümmert sich die gegenwärtige Präsidentschaft – lies Frankreich – wenig darum. Dies gehe nicht zuletzt auf den gegenwärtigen Stand der französisch-russischen Beziehungen zurück, die eine für alle sichtbare Talsohle erreicht haben. Und das Quai d‘Orsay ist wahrscheinlich nicht die sachliche Instanz, die sich über die augenblicklichen Interessen Frankreichs zugunsten der europäischen Kriterien hinwegsetzen würde. So weit ist das europäische Bewußtsein in Paris bekantlich nicht gediehen.

Erst nach dem 1. Januar, wenn Schweden die EU-Präsidentschaft übernommen haben wird, wird die "Nordische Dimension" – ein Projekt das übrigens von Finnland gemeinsam mit Schweden eingebracht wurde und zukünftig als eine der regionalen Initiativen behandelt werden soll, vergleichbar etwa mit den Förderungsprogrammen zugunsten der Mittelmeeranrainer – als handfeste Aufgabe in Angriff genommen werden. Dazu gehören Fragen wie etwa die nukleare Sicherheit (gemeint sind die ungeheuren Zustände mit dem Atommüll der Nördlichen Flotte Rußlands, die zu jeder Stunde zu einer regionalen Katastrophe führen können), der regionale Naturschutz im allgemeinen, die grenzüberschreitende, internationale Kriminalität, u. a. der grenzüberschreitende Schmuggel und eben – die Zukunft Königsbergs.

Bisher herrschte in Brüssel ein gewisses Mißtrauen, eine gewisse Zurückhaltung in bezug auf die Beziehungen zu Rußland, nicht zuletzt wegen der fragwürdigen Zustände, die im russischen Bankensystem, Außenhandel, Investitionsschutz usw. herrschen. Die EU-Kommission hat nicht einmal einen schüchternen Versuch eingeleitet, um zu sehen, wie weit Moskau gesonnen wäre, die Beziehungen zur EU auszubauen.

Nun hat die schwedische Regierung schon jetzt angekündigt, einen alten Gedanken neu zu aktivieren, nämlich Königsberg zu einer russischen "Pilotregion" zu gestalten, die einen Sonderstatus genießen könnte, eventuell sogar innerhalb der EU.

Allerdings wird in Brüssel in diesem Zusammenhang sofort auf die noch immer nicht gelösten Fragen der kollektiven Sicherheit hingewiesen. (Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die Initiative des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Christians, Anfang der 90er Jahre, die dann von dem damaligen Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher mit Hinweis auf polnische Vorbehalte und Ängste torpediert wurde).

In Brüssel wird weiter auf die Tatsache hingewiesen, daß Finnland und Schweden mit der "Nordischen Dimension"-Initiative zwar einen wichtigen Schritt getan haben, der weitreichende positive Konsequenzen in den Beziehungen zu Rußland zeitigen könnte, bisher aber keine Silbe über die zutiefst besorgniserregende Lage in Belarus verloren haben, das zwischen den zukünftigen EU-Mitgliedern und Rußland liege. Gleichzeitig bleibe es völlig unklar, wie Rußland gegenüber der EU reagieren werde, wenn die drei baltischen Staaten in die Nato aufgenommen würden, was sich trotz aller Proteste Moskaus heute schon als unvermeidbar abzeichnet. Ivan Denes