16.04.2024

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19.08.00 Ansichten und Einsichten von Ernst Wiechert

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. August 2000


Über allem die Liebe
Ansichten und Einsichten von Ernst Wiechert

Weil ich als Kind die Wälder schweigen und wachsen sah, konnte ich immer ein stilles Lächeln für das aufgeregte Treiben haben, mit dem die Menschen ihre vergänglichen Häuser bauten. Es war, als trüge ich andere Gesetze und Maßstäbe in mir, größere und strengere. Ich konnte nie mehr ganz aus dem Kreis der Natur herausfallen, und immer hielt ein letztes Band mich noch am Willen der Schöpfung fest, wenn auch rings um mich die Menschen schon längst vergessen hatten, daß auch sie Geschöpfe und nicht Schöpfer waren und an ihren babylonischen Türmen bauten, als sei es ihnen und nur ihnen allein vorbehalten, die Achse der Welt in sich zu tragen ...

Dieses ist wohl das tiefste Glück und die reinste Frucht meiner Lebensmühe gewesen: daß ich so vielen in der Schwere ihres Schicksals und allen Prüfungen ihres Weges habe helfen können. Auf ihren Krankenlagern und in der schrecklichen Einsamkeit ihrer Schlachtfelder oder ihrer Kerker, ihren Ehen und ihren Anfechtungen, oder eben nur in der grenzenlosen Verlassenheit ihres Seins. Die erschöpft und ohne Freude oder Hoffnung von ihrem Tagewerk heimkehrten - wenn sie ein Heim besaßen - und dann eine Seite aus dem "Einfachen Leben" oder den "Jerominkindern" aufschlugen und sich den bleibenden Trost daraus gewannen. Nicht Hoffnungslosigkeit oder Resignation, sondern eben Trost. Den Trost der "kleinen Leute", aber er ist mehr als die großen Worte der "heldischen" Bücher. Die Welt, aus der er stammt, ist unter den Händen des Dichters eine entschleierte Welt geworden, der Illusionen und der Enttäuschungen entkleidet, und manche sagen, daß es eine entgötterte Welt geworden sei. Aber wenn auch die Götter verschwunden sein mögen, so ist doch das Göttliche in ihr geblieben: die Treue, das Tagwerk, die Güte, die Reinheit, und über allem die Liebe. Eine stille Tapferkeit ist in ihr, eine unerschütterliche Gläubigkeit, das was mich durch die bitteren Jahre gehen und sie bestehen ließ, und das ist es auch, was diese Armen und Bedrängten fühlen und was sie mir ihr Herz geben läßt. Nicht ihren Beifall, ihre Bewunderung und alles Ähnliche, was flüchtig und vergänglich ist, sondern eben ihr Herz.

Die Literaten nennen es die "Tränen der Ladenmädchen", aber selbst wenn es nur diese wären, so ist noch lange nicht gesagt, daß die Tränen der Ladenmädchen geringer seien als die der Verwöhnten, die Ruhm oder Millionen besitzen. Wer unter den Tränen und dem Segen der armen Leute aus seiner Kinderwelt aufgebrochen ist, um in den Städten die Klugheit der Welt zu erlernen, hat eine stille und tiefe Erinnerung an diese Tränen bewahrt, und er möchte wie in dem Märchen vom armen und vom reichen Bruder lieber gleich dem zu Grabe getragen werden, der die Herzen der Menschen hat leuchten lassen, als gleich dem, der ihre Augen hat leuchten lassen ...

Ich hatte es bitter genug erfahren, daß es keinen Lohn einbringt, seine Stimme für Wahrheit und Recht zu erheben, daß es in den meisten Fällen Kerker und Verfolgung einbringt. Aber daß man in jedem Falle ein gutes Gewissen gewinnt, und daß ein gutes Gewissen besser ist, selbst in einem schlechten Kerker ...

*

Die Verlage Ullstein und Langen Müller haben ein Großteil der Werke Ernst Wiecherts verlegt. Die Deutsche Post gibt aus Anlaß des 50. Todestages eine Briefmarke von Ernst Wiechert (Wert 1,10 DM) heraus.

Der Fährmann
Von ERNST WIECHERT

O du verwandelte Erde,
wer hat dies alles vermocht?
Ist es nur, weil der Bote
an deine Tür gepocht?
Am dunkelnden Ufer wartet
der Fährmann in seinem Boot,
über Ruder und Händen
liegt ihm das Abendrot.
Weißt du, wohin der Nachen,
wohin die Reise geht?
Glaube, daß hinter dem Walde
der schweigende Engel steht.
Sieh, wie die Sterne säumen
seiner silbernen Flügel Rand ...
halte die Hand des Fährmann,
vielleicht ist sie Gottes Hand.