18.04.2024

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02.09.00 Machtkampf in der Türkei

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. September 2000


Machtkampf in der Türkei
Säuberungs-Dekret zwischen Präsident und Regierung umstritten
Von Gregor M. Manousakis

Die Regierung Ecevit hat die Sommerferien abgewartet, um dem Staatspräsidenten und Präsidenten a. D. des Verfassungsgerichtes der Türkei, Ahmet Necdet Sezer, ein Dekret zur Unterschrift vorzulegen, mit dessen Hilfe sie Beamte aus dem Staatsdienst entlassen könnte. Der ehemalige oberste Richter des Landes aber schickte das Dekret mit dem Hinweis, es sei verfassungswidrig, zurück. Zur Begründung verwies er darauf, daß für das Vorhaben der Regierung ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz notwendig sei. Ministerpräsident Bülent Ecevit nahm einige Schönheitskorrekturen an dem zurückgewiesenen Dekret vor und schickte es erneut dem Staatspräsidenten. Sezer verweigerte abermals seine Unterschrift, obwohl er inzwischen unter massiven Druck geraten war. Die Regierung hatte nämlich verlauten lassen, "der Präsident hat, ohne es zu wollen, die Staatsfeinde ermuntert".

"Staatsfeinde" sind im Sprachgebrauch der Regierung die Islamisten und die Separatisten, das heißt die Kurden, die einen autonomen Status in der Türkei verlangen. Zusammengenommen machen sie etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes aus. Nach Schätzungen der türkischen Presse geht es daher um bis zu 60 000 Staatsbedienstete, die die Regierung Ecevit entlassen will, um den Bestand des kemalistischen Staates zu sichern. Ein ehemaliger Richter kann eine derartige Säuberung zumindest nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung des Parlaments absegnen. Ministerpräsident Ecevit fürchtet aber, daß ein solches Gesetz nicht die Zustimmung der Parlamentes erhalten wird, denn nicht nur die islamische Tugend-Partei (FP, 15,3 Prozent der Stimmen bei den Wahlen vom April 1999), sondern auch Teile der drei Parteien, die die Koalitionsregierung bilden, sind strikt dagegen. Indes bleibt Sezer unbeugsam. Daran änderte auch nichts die Tatsache, daß der Nationale Sicherheitsrat, in dem die Militärs die Mehrheit haben, sich auf die Seite der Regierung gestellt hat, indem er das von der Regierung vorgelegte Dekret als "dringend notwendig" bezeichnete. Damit ist die Regierung vor eine schwere Wahl gestellt: entweder verzichtet sie auf die beabsichtigte Säuberung und ermuntert so in der Tat die Widersacher des kemalistischen Staates oder aber sie bemüht sich mit dem Militär im Rücken um die Entlassung des Staatspräsidenten. Die Krise trifft die Türkei in einem sehr schwierigen Moment. Viele Türken wollen den Weg nach Europa konsequent gehen und billigen auch die Beitrittsauflagen der EU, einschließlich jener, die die Menschenrechte betreffen. Zu dieser mutmaßlichen Mehrheit gehört Sezer. Den EU-Beitritt der Türkei will auch das kemalistische Establishment, doch die Einheit des laizistischen und ethnozentrischen kemalistischen Staates gefährden will es nicht. Letztere setzt aber den Fortbestand der menschenrechtswidrigen Restriktionen voraus, die den EU-Auflagen nicht entsprechen. Die Presse ist geteilter Ansicht über die von der Regierung beabsichtigte Säuberung des Staatsapparats. Insbesondere progressive Zeitungen treten für Sezer ein.

Die Regierung Ecevit sieht sich jedoch noch aus einem anderen Grund in die Enge getrieben: Ein Teil der türkisch-zyprischen Presse lehnt ihre Zypernpolitik ab, bezeichnet die türkischen Streitkräfte auf der Insel als Besatzungsmacht und verlangt deren Abzug. Öl auf das Feuer war der Zusammenbruch von fünf türkischen Banken, der türkische Zyprer um ihre Ersparnisse gebracht hat. Ankara hat deshalb seinem Statthalter auf Zypern, Denktasch, die Erlaubnis erteilt, über den türkischen Teil der Insel den Ausnahmezustand zu verhängen.