29.03.2024

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02.09.00 Ein neuer Roman von Gerlind Reinshagen

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. September 2000


Verwirrendes Spiel
Ein neuer Roman von Gerlind Reinshagen

Dort aber, wo Geschichten sterben, stirbt der Mensch", schreibt Gerlind Reinshagen in ihrem neuen Roman Göttergeschichte (Suhrkamp Verlag, Frankfurt/ Main. 218 Seiten, geb. mit farbigem Schutzumschlag, 36 DM). Die Königsbergerin, Jahrgang 1926, die für ihre Theaterstücke bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, Hörspiele und auch Kinderbücher schrieb, erzählt hier die Geschichte einer jungen Frau Mitte der sechziger Jahre in Berlin, die plötzlich von Stimmen heimgesucht wird. Diese Stimmen diskutieren, streiten miteinander, lachen, lachen sie aus. Ihre Mitmenschen halten sie für überarbeitet, schließlich für geisteskrank. Sie aber tröstet sich: "Es sind eben nur die Erinnerungen ... die erfahrenen wie die gelesenen auch ... Ein Weichsel-zopf ... nichts weiter. Eine kleine Verwirrung." Irgendwann einmal wird es still, die Geister sind verschwunden. Wut bricht aus bei der Frau, sie fühlt sich einsam, verlassen und ruft die Geister, die Götter zurück.

Sie sind schon lange nicht mehr namenlos, diese Stimmen. Marilyn Monroe, Che Guevara, Albert Einstein, Maxim Gorki, Dylan Thomas, Emily Bronte, Pablo Picasso, Giorgio Morandi – sie alle haben sich versammelt, um miteinander zu streiten oder zu philosophieren, ihre "Götter, die sie einst, in Bücher eingesperrt, vermutet hatte, deren Bilder, Lieder und Geschichten sie bewunderte". Als der "Kindergott, der Alte, droben" zerbarst, "breiteten wir die Arme aus, aufzufangen, was von ihm blieb: Es waren nur Trümmer und schwer zu fassen. Doch später auf den ausgeruhten Feldern keimte es schnell, aus der zerschmetterten Frucht wuchsen kleine Bilder, Ab- und Halbgötter, Luzifer auch; seither sind wir – schamlos – euch auf der Spur; seither betreiben wir Vielgötterei ..." Und diese Götter melden sich zu Wort, plötzlich, eindringlich, störend. – Ein verwirrendes Buch, das dennoch Spuren beim Leser hinterläßt. In einem "Gespräch" zwischen Virginia Woolf und Robert Walser über die Leser liest man folglich: "Sie verstehen uns ja nicht. Das heißt: Sie verstehen uns, doch niemals gänzlich, nie bis zum guten oder schlimmen Schluß ..." hm