16.04.2024

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02.09.00 Prussia: Die Geschichte einer legendären Sammlung / Teil I

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. September 2000


Ein freundlicher Kastellan
Prussia: Die Geschichte einer legendären Sammlung / Teil I
Von Günter und Renate Brilla

Seit Jahresbeginn wurde in der deutschen und der russischen Presse immer wieder, zuletzt im August im "Königsberger Express", über das Auffinden von Schätzen des Königsberger Prussia-Museums berichtet. Es handelt sich dabei in der Hauptsache um archäologische "Funde von europäischem Rang" (Awenir Petrowitsch Owsjanow), die bis 1944 im Königsberger Schloß beheimatet waren. Unwillkürlich fällt einem Agnes Miegel ein "… daß Du, Königsberg, nicht sterblich bist."

In der Folge beschreiben wir die Ziele der alten und der neuen Prussia, danach berichten wir in großen Schritten über die Entwicklung beider Gesellschaften und die von ihnen bearbeiteten Sachgebiete. Was war einst und was ist die Prussia heute? Welcher Geist beseelte und beseelt sie? Die Prussia wurde 1844 im 300. Jubiläumsjahr der Universität in Königsberg gegründet; es sollte das 600jährige Jubiläum der Stadt Königsberg vorbereitet werden. Als Aufgabe des Vereins wurde festgelegt, daß er "sich mit Erforschung der Geschichte, mit Sammlung der Volkslieder und Sagen Preußens (gemeint ist Altpreußen, etwa das Siedlungsgebiet der Prußen – daher der Name "Preußen" –, die zwischen Weichsel und Memel wohnten, d. Verf.) mit Aufsuchung und Erhaltung der preußischen Altertümer und Kunstwerke jeder Art …" befassen sollte. Als Vorsitzender wurde Professor Ernst August Hagen gewählt, ein vielseitiger Kunsthistoriker. Im Anschluß an die Vorstandswahl und die Erledigung weiterer geschäftlicher Angelegenheiten "trug Hensche seine Abhandlung ,über die Siegel Königsbergs von der ältesten Zeit bis jetzt‘ vor, worauf von ihm und dem Regierungssekretär Ulmer einige Antiquitäten vorgelegt und von Maler Funk und von Geheimrat Voigt ein paar Sagen erzählt wurden. So verlief die erste Sitzung der Prussia, und wer unsere späteren Verhandlungen kennt, bemerkt sofort. daß der Charakter jener ersten seitdem gewahrt ist". Dieses Zitat von Professor Bezzenberger aus seiner Rede zum 50jährigen Jubiläum der Prussia haben wir deshalb ausgewählt, weil es bekundet, daß die Prussia bereits in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens einen Sitzungsstil gepflegt hat, wie wir ihn auch heute von der "neuen" Prussia kennen: ernsthaft, wissenschaftlich streng, vielseitig engagiert und doch oft humorvoll, für jeden etwas – auch die ostpreußische Lebensfreude soll nicht zu kurz kommen! Wichtig ist uns dabei das Einfangen der Atmosphäre der Prussia; Königsberg soll in uns lebendig werden.

Die alte und die neue Prussia waren und sind offen für alle Interessierten; bereits bei der ersten Sitzung war außer Akademikern ein bedeutender Anteil an Handwerkern, Kaufleuten und Lehrern anwesend. Aber auch bekannte Universitätsangehörige und Staatsbedienstete waren vertreten, so beispielsweise der spätere Reichstags- und Reichsgerichtspräsident Eduard von Simson und sogar noch einer von Kants Tischgenossen, der Geheime Oberregierungsrat und Universitätskurator Dr. Reusch.

Die aufgezeigte breite Interessenlage der Gesellschaft – die Begeisterungsfähigkeit und die Liebe zur Heimat – hat sich immer wieder bewährt. Aus den verschiedensten Notlagen kam die Prussia immer wieder heraus und läßt auch heute noch ein langsames, aber stetiges Wachstum erkennen. Diese Haltung soll mit einem Zitat Bezzenbergers, der unserer Meinung nach die von Dr. Bujack aufgebaute Prussia wie kein anderer geprägt hat, belegen: "…denn was liegt an uns, was an einer Gesellschaft, was an einem Namen! Sondern (schließen) mit dem Wunsche, daß der Geist, der uns erfüllt, der unsere Tätigkeit leitet, Gemeingut aller Ostpreußen werde, daß sie alle über den Lärm und Gegensätze des Tages hinweg sich mehr und mehr eins wissen in der Liebe zu unserer Provinz, in der Achtung vor ihrer Vergangenheit, in dem Streben, ihre Eigenart zu erkennen, und in dem Wunsche, hierdurch das Heimatgefühl immer mehr zu erwärmen und zu steigern."

Nach einem zunächst vielversprechenden Anfang entwickelte sich die Prussia etwa ab 1858 sehr wechselhaft. Erst unter dem Vorsitz des Gymnasialprofessors Dr. Georg Bujack begann ein allmählicher großartiger Aufstieg der Gesellschaft. Die Zahl der Mitglieder stieg von 30 im Jahr 1871 auf 300 im Jahre 1890. Ganz offensichtlich durch Bujacks Persönlichkeit mitgerissen, scheint es, als wäre ganz Ostpreußen von einer immer stärker werdenden Begeisterung für die Suche nach den Zeugnissen der Geschichte erfaßt worden. Die Folge war, daß eine große Zahl von raumgreifenden Fundsachen, beispielsweise Urnen aus der Vorzeit, aber auch aus allen Phasen der Geschichte, etwa Uniformen und Waffen aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon, immer wieder zu Platzmangel in den Archiven und Ausstellungsräumen führte. So erklären sich die vielen Umzüge des Museums, schließlich dessen Ausbreitung in einem großen Teil des Schlosses und letztendlich die 1924 erfolgte Aufteilung. Bei einem solchen Umzug halfen beispielsweise ein Infanterieregiment und die Feuerwehr; ganze Schulen wurden zum Transport Hunderter von Urnen eingesetzt.

Bujack nannte das Samland, den Kreis Memel und Masuren, also große Teile von Ostpreußen, "einen ununterbochenen vorgeschichtlichen Friedhof". Einen anschaulichen Eindruck von der Enge, aber auch von der Atmosphäre des Museums im bescheidenen "Königlichen Palais" vermittelt 1916 Dr. Paul Landau: "… um dann mühsam ein paar hohe steile Treppen hinaufzusteigen. Oben aber empfängt uns ein freundlicher Kastellan, der mit seinem Wissen manchen Professor beschämen könnte und uns einführt in eine Welt der seltensten, kostbaren und interessantesten Dinge. Dieser kundige Führer, der uns von Zimmer zu Zimmer geleitet und liebevoll auf die in ungeheuren Mengen aufgestapelten Schätze aufmerksam macht, ist so recht ein Symbol des einzigartigen Sammelgeistes, der dieses einzigartige Museum geschaffen."

Zurück zum Ausgang des 19. Jahrhunderts: Einen bemerkenswerten Höhepunkt ihrer Entwicklung hatte die Prussia bereits zur Zeit ihres 50jährigen Jubiläums 1894 erreicht, wie Professor Adalbert Bezzenberger, der damalige Vorsitzende der Prussia, in seinem Festvortrag aufzeigt. Die Arbeit der Gesellschaft und ganz besonders ihre archäologischen Sammlungen waren national und international anerkannt; 15 renommierte Gesellschaften und eine Vielzahl hervorragender Persönlichkeiten des In- und Auslandes hatten ihre Glückwünsche dargebracht. Weiterhin überzog ein Netz von Korrespondierenden und Ehrenmitgliedern ganz Europa von Stockholm, St. Petersburg und dem Baltikum bis Rom, von Paris bis Krakau und Warschau bis Odessa. Ein lebhafter Austausch der Veröffentlichungen fand statt mit rund hundert Gesellschaften und Bibliotheken.

Die Prussia beschäftigte sich jedoch nicht nur mit Archäologie. Aus den Sitzungsberichten und den verschiedenen zum Teil neugegründeten Abteilungen des Museums geht hervor, daß von Anfang an des Interesse an sehr vielen Bereichen der Kultur Ost- und Westpreußens erhalten blieb und gepflegt wurde. Von großer Bedeutung waren die volkskundliche und die historische Abteilung des Museums. So wurde beispielsweise der bäuerlichen Kultur große Aufmerksamkeit geschenkt, wie unsere Abbildungen (oben und Mitte) zeigen. Die Präparatoren und Restauratoren bauten nicht nur Modelle, sondern restaurierten zusammen mit einer beachtlichen Werkstatt Kirchenbilder, wertvolle alte Möbel und stellten archäologisches Anschauungsmaterial her. (Bild unten, Werkstatt.)

Die historische Abteilung verdiente in Ostpreußen besonderes Interesse. Am augenscheinlichsten war dies im Moskowitersaal, der einen kleinen musealen Wallfahrtsort darstellte (siehe Abbildung im Ostpreußenblatt Folge 1/2000). Neben dem berühmten Schlitten des Großen Kurfürsten gab es Erinnerungsstücke an die in Königsberg durch Freiherrn vom und zum Stein und General Yorck veranlaßte Volkserhebung gegen Napoleon – noch vor der Erklärung des Königs "An mein Volk" in Breslau.

Prof. Dr. Günter Brilla ist Präsident der Prussia-Gesellschaft in Duisburg.

(Fortsetzung folgt)