26.04.2024

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09.09.00 Einrede

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. September 2000


Einrede
von Peter Fischer

Die Erfahrung lehrt, daß niemand leidenschaftlicher sein Tun zu legitimieren trachtet, als der, der in seinen tieferen seelischen Schichten die größten Zweifel an eben diesem Tun verspürt. Als auf dem Höhepunkt stalinistischer Machtausübung die klassenfeindlichen Übeltäter in die vermeintliche Öffentlichkeit der Gerichtssäle geführt und ihre "Verbrechen" reumütig und unter Tränen gestanden, bekam anschließend die Meute der zitierten "parteilichen" und "klassentreuen" Journalisten grünes Licht, um die "Konterrevolutionäre" in den publizistischen Rufmord zu treiben. Seltsam genug, daß niemand Raum für Differenzierungen fand, die selbst die marxistische Doktrin mit ihrer "Milieutheorie" gewährte. Und auch, daß anderntags keiner wenigstens halblaut Zweifel an den so laut unter dem Motto der Rechtmäßigkeit geführten Verurteilungen äußerte.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, die Urteile gegen die drei jugendlichen Verbrecher, die einen Afrikaner in Dessau ermordet hatten, waren notwendig, um mit Nachdruck gegen jegliche Art von krimineller Energie vorzugehen, die eventuell vermeint, auch nur ansatzweise über Menschenleben wie in einem beliebigen US-Kriminalfilm verfügen zu können. Dennoch bleibt für den wacheren Zeitgenossen ein denkwürdig ungutes Gefühl zurück, wie immer wieder beiläufig in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Kaufladen um die Ecke zu erfahren ist.

Dabei gibt es nirgendwo Sympa-
thie für jene jungen Leute, die
sich mit ihren kurzen Haaren und ihrem klobigen "Ledernacken"-Gehabe demonstrativ aus dem gewohnten mitteleuropäischen Milieu herausheben und einer offenkundigen Kraftmeierei frönen, die keinerlei Hoffnung auf eine irgendwie geartete geistig-politische Ausrichtung erkennen läßt. Was aber ganz offensichtlich die Stimme des Volkes erkennen läßt, ist, daß der unverhohlene Ordnungsruf, der derzeit in den Medien gegen jene Täter erhoben wird, nun auch strikt gegenüber anderen Kriminellen gelten solle. Da ist der Kaufmann aus dem Edeka-Laden, der darüber klagt, daß Jugendliche zumeist ungestraft Dinge entwenden. Da ist der Hausbesitzer, der Beschwerde führt, daß Farbsprüher seine frisch gestrichenen Hauswände besprühen, ohne daß entsprechend ermittelt wird, und da ist schließlich der politisch aufmerksame Bürger, der sich darüber empört, daß noch der augenfälligste finanzielle Unterschleif eines Politikers bagatellisiert und nicht geahndet wird.

Ist es nicht so, daß jede spektakuläre Mordtat, die in der Regenbogenpresse mit ausgeprägtem Sinn für Grusel und Geschäft breit ausgewalzt wird, eine gleichsam intellektuelle Kommentierung in der "gehobenen Illustriertenwelt" erfährt. Der Mordbube gerät dann alsbald zu einem eher bedauernswerten Opfer sozialer Umstände, die gewöhnlich unspezifisch "die" Gesellschaft zu verantworten hat. Warum, und dies ist die entscheidende Frage in dieser seit nunmehr Wochen nicht nur das Sommerloch, sondern auch allmählich den Rechtsstaat überdeckenden Kampagne, wird bei diesen Tätern von Dessau nicht auch nach dem Milieu geforscht? Warum gilt hier nur brutale, nackte Gewalt, wo sonst übergroße oder gänzlich fehlende Mutterbindung, Vaterlosigkeit oder gefühlsarmer Ehemann mildernd als entlastendes Argument angeführt wird.

Es kann doch keine Zweifel darüber geben, daß die demonstrative Kranzniederlegung des Bundeskanzlers am Grab des ermordeten Afrikaners in Dessau eine Geste ist, die, wie billig, nunmehr auch für jedes anderen Opfer einer Mordtat verlangt werden könnte. Die Einrede Kanzler Schröders, "ohne den Richtern zu nahe treten zu wollen", hätten sie ein angemessenes Strafurteil gefällt, tritt ausschließlich und schwerwiegend dem Rechtsstaat und seinen unabhängigen Richtern zu nahe. Wenn schon solidarische Akte, die sich bei Kanzlers Einrede allemal indirekt auf die Gerichte auswirken, dann doch auch bei der Strafverfolgung der SED-Spitzel, der Mauermörder, der dubiosen Strippenzieher hinter den innerdeutschen Kulissen vom Range eines Schalck-Golodkowski, bei den Parteispendenaffä- ren …

Und es fiel noch etwas unangenehm auf: ein evangelischer Pastor der Landeskirche von Anhalt, der sich offenbar im Soge der Gut- und Schlechtmenschenschablonerie vollständig auf der besseren Seite dieser Welt zu befinden vermeinte, gab ausdrücklich seine Genugtuung zu diesem Urteil vor laufender Kamera kund. Nicht, daß er im Sinne eines Freispruches plädieren sollte, sondern daß er kein Wort des Seelentrostes auch für die jugendlichen Täter fand, ist ein Symptom für den geistlich vollkommen verfahrenen Zustand unserer protestantischen Kirchen. Denn das Besondere, das Herausgehobene dieser Botschaft, gilt allemal den Sündern. Davon abgesehen: Die Sympathisanten, die tätigen Urheber, die das verworfene weltliche Räderwerk erst in Gang gesetzt haben, haben gewiß ihren Lohn schon längst dahin ...