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23.09.00 Das historische Kalenderblatt: 26. September 1971

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. September 2000


Das historische Kalenderblatt: 26. September 1971
Deutschland rückt enger zusammen
Mit dem Intercity konnte die Bundesbahn an Vorkriegserfolge anknüpfen
Von Philipp Hötensleben

Mit der Herausgabe des Winterfahrplans beginnt am 26. September 1971 für die Deutsche Bundesbahn eine neue Epoche. Erstmals setzt sie die brandneuen Intercity-Züge – kurz "IC" genannt – ein. Auch für die Hunderttausenden von Bahnreisenden beginnt damit eine neue Zeitrechnung. In den zurückliegenden 20 Jahren hat sich das Flugzeug zum Verkehrsmittel der Zukunft entwickelt und die Eisenbahn zurückgedrängt. Das Fliegen wird, anders als das Bahnfahren, immer attraktiver. Reisen mit der Bahn sind häufig beschwerlich. Das Streckennetz ist veraltet, die Waggons unbequem, viele Züge fahren mit Verspätung. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen die Bahn die deutschen Großstädte in Rekordzeit mit den für ihre Zeit modernsten Fahrzeugen verbunden hat. Es gelingt ihr lange nicht, an diese Vorkriegserfolge anzuknüpfen. Das Flugzeug dagegen bietet Komfort und Service und gewährleistet kurze Reisezeiten, die vor allem für Geschäftskunden attraktiv sind. Dem schwerfälligen Beamtenapparat der Deutschen Bundesbahn fehlt es lange an der erforderlichen Innovativkraft, um dem Flugverkehr Paroli bieten zu können.

Mit der Einführung des Intercity zeigt sich die Bundesbahn zum ersten Mal als ein ernsthafter Konkurrent für den innerdeutschen Flugverkehr, den die Lufthansa durchführt. Auf zunächst vier Strecken fahren die Intercity-Züge 33 deutsche Städte an. Durch den Zweistundentakt bietet sich damit insbesondere auf Kurzstrecken eine vergleichbare und vor allem kostengünstige Alternative zum Fliegen. Für die Deutsche Bundesbahn ist der IC auch ein Technologiesprung. Das neue Bahnzeitalter erfordert eine völlige Neukonzipierung, die die Planer und Ingenieure der Bahn vor neue Herausforderungen stellt. Hierzu zählen leistungsstärkere Lokomotiven, die eine Spitzengeschwindigkeit von 160 Stundenkilometer erreichen können, und neue, für hohe Geschwindigkeiten ausgelegte ae-rodynamische Eisenbahnwaggons. Ganz zu schweigen von der notwendigen Sicherheitstechnik durch das Erfordernis einer verbesserten Signaltechnik und der Verstärkung des Gleisbettes. Eine Fahrt mit dem Intercity ist zu Beginn noch ein vergleichsweise teures Vergnügen, denn zunächst gibt es nur eine Klasse. Die Zielgruppe, die von dem Angebot angesprochen und angelockt werden soll, ist das große Heer der Geschäftsleute. Nach den Vorstellungen der Bundesbahn sollen dabei neu geformte, bequeme Sitze praktisch jede gewünschte Sitzposition ermöglichen. Als Alternative zu den altbekannten, sechs Personen Platz bietenden Abteilen sollen daneben neue Großraumwaggons das Reisen noch komfortabler und angenehmer machen.

Der neue Intercity-Zug erfreut sich schon bald regen Zuspruchs, und das Streckenangebot wird deshalb zügig ausgebaut. Auch für die "Normalreisenden" wird der Intercity durch Einführung einer zusätzlichen Zweiten Klasse finanziell erschwinglich. Der Intercity entwickelt sich damit schon bald zu einem Massenverkehrsmittel. Viele Städte sind jetzt, begünstigt durch den Zweistundentakt, schnell und relativ bequem zu erreichen. Deutschland rückt damit im wahrsten Sinne des Wortes enger zusammen.

Die Bundesbahn kann einen Erfolg dringend gebrauchen, hat ihr Ansehen in der Öffentlichkeit doch gerade im Jahre 1971 besonders gelitten. Denn drei schwere Zugkatastrophen machen das Jahr zu einem wahrlich rabenschwarzen in der deutschen Eisenbahngeschichte.

Am 9. Februar 1971 entgleist der Transeuropa-Expreß "Bavaria" auf der Fahrt von München nach Zürich in der Nähe des Bahnhofs von Aitrang im Allgäu und stürzt um. Zu allem Unglück kracht kurz darauf ein Schienenbus in die Trümmer des TEE. Die Zugkatastrophe kostet 59 Menschen das Leben. Dabei gilt der Transeuropa-Expreß bis dahin allgemein als ein Aushängeschild für deutsche Technik und Zuverlässigkeit. Im Juli desselben Jahres kommt es zu zwei weiteren schweren Zugunglücken. Zunächst springt am 21. Juli 1971 der "Schweiz-Expreß" kurz vor der Einfahrt in den badischen Bahnhof von Rheinweiler aus den Schienen, stürzt die Böschung hinunter und zerstört ein Wohnhaus. Bei dem Unglück sterben 23 Menschen, und 120 Reisende erleiden zum Teil schwere Verletzungen. Der Unfall ist auf stark überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen. Eine Woche später führt eine fehlerhafte Weiche zur Entgleisung des "Alpen-Expreß" nahe Bad Hersfeld, wobei 20 Personen verletzt werden. Diese rätselhafte Unglücksserie des Jahres 1971 führt den Verantwortlichen deutlich vor Augen, daß trotz aller Sicherheitsvorkehrungen nicht alle Unwägbarkeiten und Zufälle ausgeschlossen werden können. Ein gewisses Restrisiko bleibt zwangsläufig bestehen. Immer höhere Geschwindigkeiten, bedingt durch den zunehmenden Konkurrenz- und Zeitdruck, dürfen jedoch keinesfalls zu Lasten der Sicherheit gehen. Der Intercity erweist sich aber als äußerst sicheres Verkehrsmittel, dessen Wartung, dem Grundsatz der Deutschen Bundesbahn entsprechend, große Bedeutung zukommt. Traurige Erfahrungen aus jüngster Zeit zeigen jedoch, daß offenbar bei dem mittlerweile zur Deutschen Bahn umgewandelten Unternehmen, das sich selbst als "Unternehmen Zukunft" anpreist, nicht immer nach dieser Maxime gehandelt wird. Dies wird deutlich bei der bislang schwersten Eisenbahnkatastrophe Deutschlands, dem Unglück von Eschede, bei der das modernste Flaggschiff der Bahn, der Hochgeschwindigkeitszug ICE, entgleist und mit 200 Stundenkilometern gegen eine Betonbrücke fährt. Das 101 Menschenleben fordernde tragische Zugunglück ist allem Anschein nach auf pure Schlamperei und Kosteneinsparung bei der Bahn zurückzuführen. Die Privatisierung der Bahn, die einen gnadenlosen Personalabbau und Rationalisierungen nach sich gezogen hat, fordert ihren Preis. Ein gebrochener Radreifen ist offenbar Auslöser der Katastrophe gewesen. Dies nährt in der Bevölkerung berechtigte Zweifel an der technischen Beherrschbarkeit der bei Geschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern auf die Züge wirkenden gewaltigen Kräfte. Auch das allerneueste Paradepferd der deutschen Bahn, der ICE der dritten Generation, ist mittlerweile wegen seiner Seitenwindanfälligkeit ins Gerede gekommen.

Ungeachtet der jüngsten Turbulenzen der Deutschen Bahn verrichtet der Intercity fast dreißig Jahre nach seiner Einführung noch immer bis heute zuverlässig seinen Dienst. Das Erfolgsmodell wird wohl auf lange Zeit auch weiterhin ein wichtiger Bestandteil des verkehrspolitischen Konzepts der Bahn bleiben.