29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.09.00 Antriebe

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. September 2000


Antriebe
von Peter Fischer

Während wenige Tage vor dem 3. Oktober die nachdenklicheren Deutschen in sich gehen und bei allen noch immer völlig ungelösten Problemen doch ein starkes Gefühl der Genugtuung gegenüber jenen Kräften empfinden, die uns nicht einmal die Vereinigung mit Mitteldeutschland zugestehen wollten, schlagen sich die selbsternannten Ritter der "Einheit", Schäuble und Kohl, mit inbrünstigem Haß ihre politischen Ohrfeigen lautstark mitten ins Gesicht. Während Schäuble ausgerechnet bei der Illustrierten "Stern" andockt, unter der Regie des Ex-NS-Propagandisten Henri Nannen dicke Breitseiten aus hinlänglich einsichtigen Gründen gegen die CDU abfeuern mußte, will Kohl erst nach Ablauf der Einheitsfeierlichkeiten tätig werden. Steht der Kampf dieser Parteimatadore symbolträchtig für die noch keineswegs abgeschlossene Einheit der Deutschen, oder stiftet sie nur ein scharf konturiertes Bild für unbarmherzig geführte Kämpfe, wer wie in den Annalen deutscher Geschichte auftauchen möchte?

Dem Historiker Kohl, der noch vor Abschluß des Examens an der Parteiarbeit Gefallen fand und deswegen auf ergänzende Zuarbeit angewiesen war, scheint dennoch an einer glänzenden Selbstdarstellung gelegen zu sein. Freilich scheint er darüber den Honecker-Besuch in Bonn vergessen zu haben, wie auch seinen ersten Besuch als Kanzler in Dresden, wo er sich erst durch ihn begleitende Fachleute angesichts der überschäumenden Einheitsforderung der Sachsen auf die Weichenstellung festlegen ließ. Gleichwohl bemüht er nun im Herbst 2000 in der "Welt am Sonntag" das "christliche Abendland" und die europäische Tradition.

Dabei besaß Kohl wie andere Bonner Politiker auch längst Kenntnis über die Bankrotterklärung des Politbüros der SED von 1974, die nur mit einer grundgesetzlich gebotenen aktiven westdeutschen Vereinigungspolitik beantwortet werden konnte. Doch bekanntlich gab es statt dessen immer umfangreichere Zahlungen an das bankrotte SED-Regime, die schließlich in den Milliardenkredit des Franz Strauß einmündeten, der dem Vernehmen nach sogar noch dafür die Vermittlungssumme einheimsen durfte. Wenn heute schon über die Verlegung des Feiertages auf den 17. Juni oder auf den 9. November nachgedacht wird, so folgt dies dem Unmut weiter Teile unseres Volkes, das mitunter vielleicht nicht im Detail die vielfältig kaschierten Winkelzüge und propagandistischen Volten der Parteien nachvollziehen kann, aber doch ein sicheres Gespür für Wahrheit besitzt.

Wolfgang Schäuble, der wie Kohl im Sumpf von Parteispenden landete und deshalb besser geschwiegen hätte, bringt nun ein gegen den Ex-Kanzler scharf munitioniertes Buch "Mitten im Leben" in Stellung. Der vielfältig deutbare Titel entstammt einem alten Kirchenlied und lautet vollständig "Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen". Er charakterisiert neben dieser mahnenden Lebensweisheit seit den Deutschen Befreiungskriegen die sprichwörtlich gewordene unsichere und unzuverlässige Haltung Frankreichs gegenüber Deutschland. Ob Schäuble damit besonders den frankophilen Kohl treffen wollte oder ob es eine Anspielung auf sein seelisch schwer überstandenes Attentat sein soll, muß abgewartet werden. Gemunkelt wird immerhin längst, daß jenseits der Parteien seit längerem Washington weit vor Paris rangiert.

Kohl dürfte sich weniger auf Schäubles Buchargumente einlassen, sondern neue Schlachtfelder wählen, die einen Schwaben in Nöte bringen: die SBZ-Enteignungen von 1945 bis 1949. Hier folgte Schäuble willig einer Empfehlung des SED-Genossen Modrow, der – ganz Klassenkämpfer – meinte, die drohende Krise politisch nutzen zu können. Während Schäuble und Finanzminister Waigel vermeinten, die Kosten der Einheit nicht nur aus den Einkünften der beschlagnahmten Ländereien begleichen zu können, sondern auch die Hoffnung hegten, eine ganze Führungsschicht mattsetzen zu können.

Denn abgesehen vom Verfassungsbruch in der Eigentumsfrage krankt Mitteldeutschland bis heute daran, daß ihm der gehobene Mittelstand fehlt. Der aber rekrutierte sich bekanntlich teilweise aus der vormaligen preußischen Führungsschicht. In ihrer Ablehnung dieser Schicht waren sich Kohl und Schäuble aufgrund ihres politischen Selbstverständnisses einig – damals!

Jetzt aber will Kohl sich offenbar selbst überwinden, was für den kundigen Psychologen sicher vielfältigste Aufschlüsse über die Ursachen seelischer Antriebe gibt, dem Chronisten aber Hoffnung, daß sich der noch ausstehenden Einheit auf Dauer keiner widersetzen kann, gleichgültig aus welchen Gründen letztlich die dazu hintreibenden Impulse erfolgen.