20.04.2024

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30.09.00 Investitionen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt rückläufig

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. September 2000


Wirtschaft:
Luftschloß namens "New Economy"
Investitionen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt rückläufig

Daß in Deutschland gerne unkritisch nachgebetet wird, was in den USA gerade Mode ist, scheint keine sonderlich neue Erkenntnis. Zur Zeit wird den Deutschen von morgens bis abends eingeredet, daß der Grund für den seit längerem anhaltenden Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft vor allem auf die Internet-Wirtschaft, genannt "New Economy", zurückzuführen sei. Die deutsche Wirtschaft müsse deshalb zusehen, daß sie im Hinblick auf die "New Economy" nachziehe.

In der Tat muß der heutige Zeitgenosse das Gefühl haben, in einer ökonomischen Wendezeit zu leben. Begriffe wie "E-Business" oder "E-Commerce" sind derzeit in aller Munde. IT-Angestellte (IT=Informationstechnologie) oder -Unternehmer, auch "Yetties" genannt, reden auch gerne von der "neuen E-conomy". Als "Yetties" werden die jungen, unternehmerisch und technisch orientierten Internet-Eliten bezeichnet. Im Gegensatz zu den "Yuppies" der 80er Jahre legen die "Yetties" kaum Wert auf Anzug und Krawatte. Mehr sein als scheinen heißt (sehr preußisch) die Devise der neuen Internetunternehmer. Diese sind idealerweise zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, flexibel und arbeiten bei Bedarf auch nachts oder am Wochenende. Derzeit sind rund 1,8 Millionen Deutsche im IT-Bereich beschäftigt. Das sind nach Angaben des Bundesverbandes Informations- und Kommunikationssysteme etwa fünf Prozent aller Beschäftigten in Deutschland.

Der IT-Bereich verlangt vollen Einsatz. Acht-Stunden-Tag oder 40-Stunden-Woche haben hier keine Gültigkeit. Dafür werden Einstiegsgehälter von oft über 100 000 Mark bezahlt. Kritische Stimmen sehen aber ein mögliches Ende des Booms, wenn der Börsenrausch erst einmal vorbei ist.

Andreas Boes, Soziologe an der Technischen Universität Darmstadt, sieht noch andere Grenzen: Abzuwarten bleibe, so Boes, "wie lange die Menschen das Dilemma zwischen Beruf und dem absoluten Verzicht auf ein soziales Leben und Familie noch aushalten". In der Tat: In der IT-Branche sind Partnerschaften per E-Mail oder Telefon keine Seltenheit. Dazu kommen Einsamkeitsgefühle am Wochenende. Oft bleibt nicht einmal Zeit für ein Mittagessen. Hier schafft ein sogenannter "Goody-Man" Abhilfe, der für IT-Angestellte Gemüse, Süßigkeiten, Obst u. a. m. zusammenkauft. Und wenn der Rücken vom langen Sitzen am Computer verspannt ist, kommt hier und da auch schon einmal eine Masseurin, um Mitarbeiter wieder "fit zu machen".

Wer der Überzeugung sein sollte, daß sich im Zuge der angeblichen Zweiteilung der Wirtschaft in eine "neue" und eine "alte Wirtschaft" der Technologieeinsatz der deutschen Wirtschaft erheblich erhöht haben müßte, sieht sich allerdings getäuscht. Bei Zugrundelegung der wirtschaftlichen Basisdaten muß festgestellt werden, daß sich die deutsche Wirtschaft Ende der 90er Jahre im Hinblick auf ihren Technologieeinsatz in der schwächsten Periode seit dem Zweiten Weltkrieg befand. Seit den 60er Jahren sind die Investitionen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt rückläufig. Daran hat auch die "New Economy" bisher nichts ändern können. Gerade die Höhe der Investitionen zeigen an, inwieweit neue Technologien zum Einsatz kommen.

Es ist also eine medial genährte Illusion, daß wir derzeit in einer Zeit technologischer Quantensprünge leben. Diese Illusion liegt bereits in der Bezeichnung "New Economy" begründet. Nie zuvor in der Wirtschaftsgeschichte wurde die Einführung einer neuen Technologie, sei es nun die Dampfmaschine, das Radio, das Fernsehen oder seien es die Satelliten gewesen, als Beginn einer "neuen Ökonomie" oder gar als "neues Paradigma" gefeiert. Warum dies ausgerechnet für das Entstehen der Internet-Wirtschaft gelten soll, bleibt völlig unklar. Diese Feststellung gilt auch für die USA. Deren Wirtschaftsdaten für die 90er Jahre belegen, daß die "New Economy" auf die Wertschöpfung des Landes einen eher geringen Effekt gezeitigt hat. Skepsis ist deshalb gegenüber den mittel- bis langfristigen Erfolgsaussichten der Internet-Wirtschaft angebracht.

Nichtsdestoweniger bezeichnete Wirtschaftsminister Müller im Rahmen der Vorstellung des "Wirtschaftsberichtes 2000" die "New Economy" als eine der wichtigsten Konjunkturstützen der nächsten Jahre. Ob diese Prognose zutrifft, wird, wie oben bereits erwähnt, von dem Investitionsverhalten deutscher Firmen abhängen. Viele setzen ihr Kapital inzwischen lieber bei Spekulationsgeschäften an den internationalen Finanzmärkten ein, die höhere Gewinne als das operative Geschäft versprechen. Deutsche Unternehmer sind bei umfangreichen Investitionsentscheidungen aber noch aus einem anderen Grund zurückhaltend: Da sich das Unternehmensumfeld aufgrund von Globalsierung und technologischem Wandel immer schneller verändert, verlangen Investitionen sehr komplexe Analysen. Ob die "New Economy" vor diesem Hintergrund die Erwartungen einlösen kann, die mit ihr verbunden werden, wird die Zukunft zeigen müssen. Stefan Gellner