18.04.2024

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© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. Oktober 2000


Die Deutschen in der polnischen Literatur:
Mehr als Kreuzritter-Klischees
Einseitige Wahrnehmung antideutscher Bücher / Von Renata Schumann

Die grenzüberschreitende Beliebtheit des Romans "Die schöne Frau Seidenmann" von Andrzej Szczypiorski bewies erneut, daß es auch in der Literatur von Bedeutung ist, das Richtige zur richtigen Zeit zu sagen. Schließlich war das Buch in deutscher Sprache 1988 erschienen, also kurz bevor die Mauern zwischen Ost und West fielen und der Kalte Krieg sein Ende fand.

Die eigentliche Rezeption erfolgte zur Zeit der Wiedervereinigung der Deutschen und der damit verbundenen Notwendigkeit einer Neuorientierung, des Nachdenkens über die eigene Identität, der Besinnung auf Geschichte – der alten, vor allem aber der neueren, speziell der NS-Zeit, die wie ein Alptraum auf dem Bewußtsein der Deutschen lastet.

Kein Wunder also, daß die Deutschen begierig in den ihnen von dem unlängst verstorbenen Polen dargebotenen Spiegel sahen und Szczypiorskis Roman als Therapeutikum aufnahmen. Das faszinierendste an dem leicht zugänglichen Werk ist die menschlich-relativierende Sicht der Deutschen inmitten des Grauens der Kriegszeit.

Neben die mörderische Gestalt des Gestapo-Hauptmanns Stuckler tritt der lebensrettende deutsche Unternehmer Müller, der die Jüdin Irma Gostomska-Seidenmann aus den Fängen der Geheimpolizei befreit. Darüber hinaus denkt Szczypiorski grundsätzlich über die Grausamkeit des Menschen nach.

Der Autor legt dem in Lodsch aufgewachsenen Sozialdemokraten Müller bei dessen entscheidender Begegnung mit Stuckler folgende Sätze in den Mund: "Die Polen sind nicht die schlechtesten. Unter uns gesagt sind manche von ihnen jetzt etwas enttäuscht. (...) es gab hier viele, die jahrzehntelang auf uns gezählt haben. Sie fühlten sich uns näher als den Moskowitern."

Und nach dem Husarenstreich der Befreiung sinniert Müller im Kaffeehaus vor der Geretteten über sein Volk: "Stuckler ist Deutscher, und die Deutschen sind gradlinig. (...) Die Deutschen sind flach wie ein Brett! Ohne Phantasie, ohne Heuchelei, ohne Unaufrichtigkeit. Man hat Stuckler befohlen, die Juden auszurotten, also tut er es. Falls man ihm befehlen sollte, die Juden zu mögen, wird er Ihnen, gnädige Frau, die Hand küssen und Sie mit dem besten französischen Kognak bewirten. Disziplin, Genauigkeit, Redlichkeit bei jeder Arbeit. Bei der verbrecherischen leider auch!"

Der Ton der Überlegungen mag irritieren, der Wahrheit nah sind sie allemal. Das gilt auch für Müllers Fazit: "Im nüchternen Ehrgeiz, im unermüdlichen Streben nach der Erstrangigkeit (...) steckt der deutsche Wahn. (...) Wenn die Geschichte den Deutschen einst die Pflicht zur Verstellung auferlegte, würden sie die vollkommensten Scheinheiligen unter der Sonne sein."

Andrzej Szczypiorski wäre kein Pole, wenn er den Erwägungen über die deutsche "Tyrannei der Perfektion" nicht ein Lob der "gesegneten Krankheit des Polentums" folgen ließe, das "gerade deshalb so schön ist", weil es "unvollkommen, unvollendet, ungewiß, suchend, unordentlich, launenhaft, ungebändigt ist, genau wie ein Verrückter, den ein Engel an der Hand führt".

Bezeichnenderweise bemerkte in Deutschland kaum jemand, daß die relativierende Art der Betrachtung der Kriegszeit in "Die schöne Frau Seidenmann" einer ausgeprägten Traditionslinie der polnischen Literatur folgt. Schon vor Szczypiorski hatte eine Reihe wichtiger Autoren, allen voran Jaroslaw Iwaszkiewicz und Andrzej Kusniewicz, dem Haß und der Kollektivschuld eine Absage erteilt.

Die Polen, die kaum befreit von der NS-Schreckensherrschaft unter die Vormundschaft des anderen – russischen – Erbfeindes gerieten, waren durch solche Erfahrungen, die in ihrer Geschichte immer wieder vorkamen, zum relativierenden Denken gewissermaßen vorherbestimmt.

Iwaszkiewicz und Kusniewicz zum Beispiel stammten aus den östlichen Regionen Polens, die zeitweise Teil der k. u. k.-Monarchie waren und heute der Ukraine angehören. Ihre Heimat ist nicht nur eine außerordentlich fruchtbare Kulturlandschaft, wo sich Polnisches und Ukrainisches mit Russischem mischte und wo auch viele Juden und Deutsche lebten. Es ist zugleich ein Land des Leidens, in dem Morden und Brennen, größere und kleinere Kriege eher die Regel als die Ausnahme bildeten.

Beide Schriftsteller zeichneten Menschengestalten gemischter ethnischer Herkunft, die in ein national motiviertes Kriegsgeschehen verwickelt die Absurdität ihrer Situation erlebten und erlitten. Der Krieg wird dabei auf sein pures Skelett entblößt: die dem Menschen angeborene Lust am Töten.

Selbst die bekanntesten Werke der polnischen Holocaust-Literatur sind weitgehend frei von ethnischen Schuldzuweisungen. Zofia Nalkowska, die Autorin der Auschwitzer Erzählungen "Medaillons", stellte diese unter das Motto: "Menschen haben Menschen dies angetan". Sie rekonstruierte die KZ-Erlebnisse von Frauen aufgrund von Erlebnisberichten und hob diese insbesondere auf die Ebene psychischer Verletzungen.

Persönlich lernte sie Auschwitz als Mitglied der Kommission für nationalsozialistische Verbrechen kennen, also zu einer Zeit, als dort andere Häftlinge einsaßen – deutsche Gefangene und polnische Oppositionelle Pritsche an Pritsche.

Auch Tadeusz Borowski, der unter dem NS-Regime in dem KZ einsaß, schildert die Lagerwirklichkeit auf ähnliche Weise. Sein Thema ist die Ansteckungskraft des Bösen und die Anfälligkeit des Menschen für das Böse. Die Opfer werden nicht als Helden dargestellt, sondern als auf einfachste Überlebensreflexe reduzierte Wesen.

All diese um tiefere Einsichten bemühten Werke erschienen dem deutschen Lesepublikum, das an das Axiom der Alleinschuld des eigenen Volkes gewöhnt war, eher befremdlich. Trotz zahlreicher guter Übersetzungen blieben sie weitgehend unbeachtet.

Ähnlich einseitig fällt die gesamte Wahrnehmung der häufig vorkommenden Gestalt des Deutschen in der polnischen Literatur aus. Im allgemeinen Bewußtsein sind fast ausschließlich die negativen Stereotypen verankert.

Schon Jan Dlugosz, erster wichtiger polnischer Literat und Chronist des 15. Jahrhunderts, hattte in seinem Bericht über die Schlacht bei Tannenberg die Ritter des Deutschen Ordens als grausam, hochmütig und gottlos bezeichnet. Die sogenannten "Kreuzritter" wurden mit der Zeit zur sattsam bekannten Symbolfigur der nationalen Bedrohung und des Kampfes gegen Fremdherrschaft. In neuerer Zeit bildeten sie eine Art Prototyp der Figur des SS-Mannes.

Adam Mickiewicz, der bedeutendste polnische Romantiker, stellte trotz seiner Prägung durch deutsche Professoren an der Universität Wilna und seine glühende Verehrung Goethes in dem Poem "Konrad Wallenrod" die Kreuzritter als tödliche Feinde des litauischen Volkes dar. Allerdings wollte er damit vor allem die Bedrohung Polens durch das Zarenreich veranschaulichen.

Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Werk Mickiewiczs dann auf sehr oberflächliche Weise als gegen die Deutschen gerichtet interpretiert.

Den nachhaltigsten Einfluß hatte jedoch der Jugendroman "Die Kreuzritter" (1890) des späteren Nobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz, in dem der Deutsche Orden als Ausbund des Bösen erscheint und den edlen Polen unermeßliches Leid zufügt. Das Buch war in der Zeit des Dranges nach einem eigenen Staat entstanden, wurde aber von der zeitgenössischen Kritik distanziert aufgenommen. Erst die Verfilmung nach 1945 und die Verordnung als Schulstoff ermöglichten den "Aufstieg" zum antideutschen Buch par excellence.

Neben all diesen Negativprojektionen zeichnete sich schon sehr früh die Gestalt des meist vorteilhaft dargestellten deutschen Kolonisten ab, des Neuansiedlers und Nachbarn. So gibt es bei Ignacy Krasicki, dem bedeutendsten Schriftsteller der polnischen Klassik, Bischof in Heilsberg und Gesandten am Hof Friedrichs d. Gr., in seinem Roman "Herr Truchseß" einen deutschen Müller, dessen Fleiß sich beispielhaft auf die polnische Umgebung auswirkt.

Fast zur gleichen Zeit wie Sienkiewiczs "Kreuzritter" stellte Boleslaw Prus in seinem vielgelesenen Roman "Die Puppe" (1889) die deutsche Kaufmannsfamilie Minzel in Warschau dar, deren Bürgertugenden wie Fleiß und Zuverlässigkeit als vorbildlich erscheinen. Auch dieses Werk wurde in der Nachkriegszeit verfilmt, jedoch unter Auslassung der Minzels.

Bei der Vergegenwärtigung des Deutschen-Bildes in der kommunistischen Ära fällt ein starkes Ungleichgewicht zwischen der hohen Literatur und den Massenmedien ins Auge. Letztere wurden besonders sorgfältig überwacht und verbreiteten zahlreiche negative Stereotypen. Die Gestalt des bösen Deutschen durchgeisterte sogar Kinder- und Jugendfilme.

Der Publizist Adam Krzeminski stellte zu Recht fest, daß der Haß gegen die Deutschen als Mörtel des stalinistischen Imperiums diente. Werke der hohen Literatur lieferten dabei manchen Stoff für den Medienkitsch. Allerdings gerieten die Darstellungen in Filmen, in der unübersehbaren Trivialliteratur und später im Fernsehen derart aufdringlich propagandistisch, daß sie beim Publikum nicht selten Widerwillen weckten und sich Kritiker gegen die Vorstellung vom ewig "bellenden Deutschen" wandten.

Die hohe Literatur selbst blieb trotz der roten Zensur eine jederzeit begehbare Brücke der Verständigung zwischen Deutschen und Polen. Eine Brücke, auf der es seit der 89er Wende weiter vorwärts ging.

Renata Schumann wuchs in Oberschlesien auf, promovierte 1979 in Breslau über "Das Bild der Deutschen in der polnischen Literatur" und siedelte 1983 in die Bundesrepublik aus. Als Schriftstellerin machte sie sich hier vor allem durch den Erzählband "Muttersprache – Oberschlesische Geschichten" (1993) und den Roman "Ein starkes Weib – Das Leben der Hedwig von Schlesien" (1996) einen Namen.