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28.10.00 "National sein ist Ehrensache!"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28. Oktober 2000


Kurt Schumacher:
"National sein ist Ehrensache!"
In diesen Tagen jährte sich der 105. Geburtstag eines großen Sozialdemokraten

In diesen Tagen jährte sich der Geburtstag von Kurt Schumacher, dem ersten Vorsitzenden der Nachkriegs-SPD. Wenn man sich mit der Person und der Politik Schumachers beschäftigt, dann wird man mit Erschrecken feststellen, wie grundlegend sich die SPD in der historisch minimalen Zeitspanne von nicht einmal zwei Generationen verändert hat. Dieser Kurt Schumacher, der bedingungslose Feind eines jeden Totalitarismus, gleichgültig, ob von rechts oder von links, dieser leidenschaftliche Verteidiger der deutschen Nation, dieser Preuße, der auch nach einem verlorenen Krieg Rückgrat gegenüber den Siegern bewies und der nicht zuletzt darum mit fast 100 Prozent der Stimmen von den Parteitagsdelegierten zum Vorsitzenden der SPD gewählt worden ist – dieser selbstlose politische Kämpfer soll einmal der Vorgänger von Schröder und Lafontaine gewesen sein?

Kurt Schumacher war Grenzlanddeutscher. Er wurde am 13. Oktober 1895 in Culm, einer preußischen Kleinstadt in Westpreußen, geboren. Er erlebte den Volkstumskampf und er erfuhr nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, wie die Provinz trotz deutscher Mehrheit von den Siegern Polen zugeschlagen wurde.

Kurz bevor Kurt Schumacher das Abitur ablegen sollte, brach der Erste Weltkrieg aus. Begeistert meldete er sich als Offiziersanwärter beim Feldartillerie-Regiment Thorn, wechselte aber bald als gemeiner Kriegsfreiwilliger zum Infanterie-Regiment 21, um noch rechtzeitig an die Front zu kommen.

Schon am 2. Dezember 1914 wurde er bei Lodz am rechten Arm und am rechten Oberschenkel schwer verwundet. 26 Stunden blieb er auf dem Gefechtsfeld liegen, bevor er gefunden wurde. Der rechte Arm mußte amputiert werden. 1915 wurde er als dienstuntauglich aus dem Heer entlassen, nachdem ihm das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen worden war.

In Halle, Leipzig und Berlin widmete er sich dem Studium der Rechtswissenschaft und der Nationalökonomie und bestand 1919 das 1. juristische Staatsexamen.

Die Eltern, die in dem nun zwangsweise polnisch gewordenen Culm nicht für Polen optieren wollten, mußten 1920 unter Zurücklassung ihres Besitzes die Heimat verlassen und siedelten ins kleiner gewordene Reich über.

Die Familie war es nicht, die Kurt Schumacher zum Sozialdemokraten werden ließ. Der Vater war wohlhabender Unternehmer und politisch bei den Liberalen engagiert. Es gibt auch kein Zeugnis dafür, daß ihn das Kriegserlebnis ins linke politische Lager gedrängt hätte.

Erst, als er bereits dienstuntauglich geschrieben war, bekannte er sich zur sozial-patriotischen Richtung der SPD und wurde Parteimitglied, 1918 auch Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates. Schumacher trat damals wie auch später für die Parlamentarisierung des Reiches ein und für die Abschaffung des Großbesitzes, sei es in Industrie, sei es im Handel oder der Landwirtschaft, weil er diesen Kreisen eine nicht berechtigte Vorherrschaft in der Politik zuschrieb, eine Vorherrschaft, die sie zum überwiegenden Nutzen ihres Standes mißbrauchten. Sein Sozialismus war nie marxistisch, auch wenn er das Vokabular des Marxismus verwendete. Der Marxismus war ihm nur eine Methode zur Analyse, nicht aber eine Lehre, die dogmatisch zu befolgen war. Für ihn war es damals bereits eine Selbstverständlichkeit, daß Sozialismus die nationale Unabhängigkeit eines Landes voraussetzt.

Wie der Gründer der Sozialdemokratie, Ferdinand Lasalle, so bejahte auch Schumacher den Staat als Einheit der Individuen in einem sittlichen Ganzen. Er folgte also nicht Marxens Idee, daß am Ende des Sozialismus die Auflösung des Staates zu stehen habe.

Die Revolution als Mittel der Entwicklung lehnte er ab. Nach seiner Ansicht müßten die Sozialdemokraten den Staat mit friedlichen Mitteln langfristig erobern. Produktionsgesellschaften oder -genossenschaften, die er an Stelle des Großbesitzes anstrebte, seien staatlich zu finanzieren. Und kein Sozialismus ohne Demokratie – so sein Credo, das er jahrzehntelang wiederholte.

Bald wurde er Redakteur der in Stuttgart erscheinenden sozialdemokratischen Tageszeitung "Schwäbische Tagwacht". Er ließ darüber die Zeit verstreichen, um seine Promotion, die er längst abgeliefert hatte und die mit dem Prädikat "summa cum laude" benotet worden war, mit einigen gewünschten Korrekturen zu versehen. Nach einer Reihe von Jahren holte er sie nach und konnte dann mit Fug und Recht den Doktortitel führen. 1924 wurde er in den württembergischen Landtag gewählt, 1930 in den Reichstag.

Durch seine außerordentlich scharfen Diskussionsbeiträge verdiente er sich in Stuttgart den Namen der "preußischen Revolverschnauze". Intensiv beschäftigte er sich mit Fragen der Verteidigung; statt einer Berufsarmee, die die Versailler Siegermächte dem deutschen Reich aufgezwungen hatten, bevorzugte er ein Volksheer mit allgemeiner Wehrpflicht, nicht zuletzt, weil eine solche Armee ins Volk und in die Demokratie eingebunden gewesen wäre.

Vehement plädierte er gegen die Einbindung Deutschlands in den Block der Westmächte ebenso wie auch gegen die Anlehnung an die Sowjetunion. Stets stand er für ein souveränes Deutsches Reich, ein Begriff, den er auch nach 1945 ohne jede Befangenheit verwendete.

In scharfen Gegensatz geriet er zu den Nationalsozialisten, deren Partei immer stärker wurde. Bekannt ist sein Zusammenstoß mit dem nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Dr. Joseph Goebbels. Der hatte in einer erregten Debatte die SPD beschuldigt, sie sei die "Partei der Deserteure" im Ersten Weltkrieg gewesen. Daraufhin brach im Reichstag ein gewaltiger Tumult los – damals galt es noch als schimpflich, im Krieg aus der deutschen Armee desertiert zu sein –, und der schwerkriegsbeschädigte, mit dem EK ausgezeichnete Abgeordnete Dr. Schumacher schleuderte Goebbels, der wegen seines durch einen Unfall verkrüppelten Fußes nicht hatte Soldat werden können, entgegen, die NSDAP-Abgeordneten würden auf einem "Niveau moralischer und intellektueller Verlumpung und Verlausung" kämpfen. Er beendete seinen Beitrag mit dem Satz: "Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen."

Seine Polemik kannte kaum Grenzen, so wenn er den Nationalsozialisten androhte: "Eines Tages werden wir die ganze Naziführerbande in die Irrenhäuser einsperren." Ebenso fanatisch und häufig auch zügellos bekämpfte Schumacher die Kommunisten, für ihn "rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten". Die Kommunistische Partei war für Schumacher "ein stehendes Heer der Sowjetunion auf deutschem Boden". Er war bald sowohl bei der NSDAP als auch bei der KPD einer der bestgehaßten Parlamentarier.

Nachdem im Januar 1933 die NSDAP als stärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt worden war, wurde im Juni Kurt Schumacher in Schutzhaft genommen, zunächst in einem Gefängnis, dann in einem wilden KZ und schließlich im KZ Dachau festgehalten. Obwohl seine Eltern und Schwestern samt Familien keineswegs seine politische Meinung teilten – sie traten für den Nationalsozialismus ein –, halfen sie dem eingesperrten Sohn, Bruder und Schwager, indem sie Lebensmittel und Kleidung schickten.

Schumacher war in der Bibliothek des KZ Dachau beschäftigt, in der zu seinem Erstaunen auch eine große Zahl von Büchern stand, die im Dritten Reich nicht verboten, aber auch nicht in den Buchhandlungen zu finden waren, wie Werke von Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Karl Kraus.

Seit Beginn des Zweiten Weltkrieges verfolgten viele Häftlinge – so auch Schumacher – anhand von Wandkarten den Frontverlauf und steckten den Vormarsch der deutschen Truppen mit Fähnchen ab. Daß Schumacher die deutschen Siege mit Begeisterung begrüßt haben soll, bezeichnet sein Biograph Peter Merseburger als kommunistische Propaganda. Tatsächlich aber registrierte Kurt Schumacher die ersten Niederlagen der Sowjetarmee in den Jahren 1941 und 1942 mit Triumph und Genugtuung. Er wie Mithäftlinge drückten ihren Respekt aus über die Leistungen der deutschen Soldaten – wie es damals nahezu alle Deutschen taten.

Schumacher wurde krank. Er litt unter Magengeschwüren und einer Darmkrankheit, so daß er diät ernährt werden mußte. Im März 1943 wurde er aus der Haft entlassen nach Hannover zu seiner Schwester, die ihn aufzupäppeln sich bemühte, bis sie ausgebombt wurde. Schumacher arbeitete im Büro einer Lagerverwaltung, wurde nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 noch einmal für vier Wochen festgenommen, dann freigelassen und erlebte den Einmarsch der Alliierten in Hannover.

Sofort begann er trotz seines schlechten Gesundheitszustandes, die SPD wieder zu organisieren. Sein Ziel: Deutschland soll als geschlossenes Ganzes auch in der Niederlage erhalten werden, wie er formulierte. Die Nation war für ihn Solidaritätsgemeinschaft. Schumacher: "National sein ist Ehrensache!" An seine alten Ideen knüpfte er an und kämpfte wiederum gegen Großbesitz, der kein politischer Machtfaktor sein dürfe. Die reine Demokratie war für ihn die politische Idee der Arbeiterklasse. Mit großen Leidenschaft wandte er sich gegen die Behauptung, das deutsche Volk trüge eine Kollektivschuld. Für ihn war die Schuld nur individuell zu verstehen. Er sah auch deutlich, daß das Versailler-Diktat-System die Lage von 1933 mit verursacht hatte. Alle Deutschen unter 30 Jahren, so forderte er, sollten von der Entnazifizierung ausgenommen werden. Von ihm ist kein Wort der heute so beliebten wie wohlfeilen Reuebekenntnisse bekannt. Selbstbewußt forderte er von den Siegermächten deutsche politische Gleichberechtigung. Nie trat er auf internationalem Parkett als Bittsteller auf. Er forderte die Beendigung der Demontagen, so als er 1947 als erster deutscher Politiker die USA besuchte, um an einem Kongreß des Dachverbandes der Gewerkschaften, der American Federation of Labour, teilzunehmen. Leidenschaftlich wies er auf den Widersinn hin, einerseits im sich anbahnenden Gegensatz zum Bolschewismus die Deutschen als Verbündete gewinnen zu wollen, andererseits ihnen aber nur Lebensmittelzuteilungen von 1000 Kalorien pro Tag zuzubilligen.

1948 mußte ihm ein Bein oberhalb des Knies amputiert werden, ein Schicksal, zu dem er durch sein Kettenrauchen beigetragen hatte. Annemarie Renger war ihm eine treue Gefährtin, die selbstlos dem so schwer Behinderten ermöglichte, noch vier Jahre lang aktive Politik zu treiben, so daß er in Westdeutschland der große Gegenspieler des christdemokratischen Bundeskanzlers Adenauer wurde. Scharf lehnte er dessen Pläne ab, die Bundesrepublik in die anglo-amerikanische Welt der Sieger einzubinden. Das war für ihn die Zementierung der deutschen Teilung, deren Überwindung an der Spitze seiner politischen Bemühungen stand. Viele damalige Äußerungen und Aktivitäten Schumachers hätten ihm heute den Vorwurf der Rechtsradikalität eingetragen, so als er sich 1950 dagegen wandte, daß die von den Amerikanern in Landsberg wegen angeblicher oder wirklicher Kriegsverbrechen zum Tode verurteilten Deutschen hingerichtet wurden – vergeblich. Er verwendete sich für den Generalfeldmarschall Kesselring, der von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt worden war und um dessen Begnadigung Schumacher – mit Erfolg – bat. Schützend stellte er sich vor die Soldaten der Waffen-SS, die er streng unterschied von den KZ-Wachmannschaften. Früh traf sich Schumacher mit ehemaligen hohen HJ-Führern, um deren Motive kennenzulernen und um sie für die Sozialdemokratische Partei zu gewinnen.

Als die Alliierten das Ruhrgebiet internationalisieren wollten und dabei auf ein gewisses Verständnis des ohnehin separatistisch liebäugelnden Adenauer stießen, erklärte Schumacher, die SPD werde der Internationalisierung nur dann zustimmen, wenn darin die Industriereviere aller Staaten eingeschlossen würden.

In der Diskussion um das Ruhrstatut, eine von den Siegern eingerichtete Institution zur Kontrolle der gesamten deutschen Wirtschaft, kam es zu einem der explosivsten Tage im damals noch jungen Bundestag. Die SPD lehnte es ab, einen deutschen Vertreter in das Generalsekretariat zu entsenden. Adenauer beschuldigte sie daraufhin, dann seien sie schuld daran, wenn die Demontage der deutschen Fabrikanlagen fortgesetzt werde. Ein Tumult brach los. Ein oppositioneller Abgeordneter rief: "Sind Sie noch ein Deutscher?" Ein anderer: "Sprechen Sie hier als deutscher Kanzler?" "Und dann" – so ein Chronist – "fiel das Wort mitten in die einen Moment lang abflachende Erregung, das Wort von Kurt Schumacher, leidenschaftlich, zischend, voller Verachtung: ,Der Bundeskanzler der Alliierten!‘" Ein Sturm brach los. Abgeordnete gingen aufeinander los, schrieen sich an, Fäuste wurden geschüttelt, Schlägereien drohten. Die Sitzung mußte unterbrochen werden. Das alles geschah am 25. November 1949 morgens um drei Uhr. Schumacher wurde für 20 Sitzungstage von den Beratungen ausgeschlossen, aber sein Wort wirkte erhellend und nachhaltig gleichsam als sein Vermächtnis bis heute fort.

Als – von der Sowjetischen Besatzungszone ausgehend – die SPD mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei verschmolzen werden sollte, wandte er sich mit aller Kraft dagegen. Stets focht er für deutsche Gleichberechtigung und lehnte alle Maßnahmen der Sieger ab, die die Deutschen benachteiligten. Er wollte, daß die deutsche Frage gelöst werde und daß erst dann über ein Europa freier gleichberechtigter Völker zu verhandeln sei. Für ihn stand die Nation als politisches Ziel an erster Stelle.

Am 20. August 1952 verweigert der so schwer geschädigte Körper dem leidenschaftlichen Politiker den Dienst. Er stirbt und wird nach Hannover übergeführt. Hunderttausende, und nicht nur Anhänger der SPD, säumten den letzten Weg des großen sozialen und nationalen Volksführers. Hans-Joachim v. Leesen

"Ich erkläre: Die deutsche Sozialdemokratie hat 1945 als erster Faktor Deutschland und der Welt erklärt: Die Oder-Neiße-Linie ist unanehmbar als Grenze. Ich erkläre weiter: Keine deutsche Regierung und keine deutsche Partei kann bestehen, die die Oder-Neiße-Linie anerkennen will. Wir lehnen es ab, uns in die Politik des Nationalverrats und des Verrats an Menschheitsideen … verstricken zu lassen."

Kurt Schumacher am 1. März 1951 in Berlin

Kurt Schumacher, der am 13. Oktober 1895 im westpreußischen Culm geboren wurde gehörte zu den wenigen maßgeblichen Politikern der Nachkriegszeit, die das Reich erhalten wollten.