20.04.2024

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04.11.00 Chance oder Sprengstoff?

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. November 2000


EU-Osterweiterung (Teil III):
Chance oder Sprengstoff?
Zuwandererwelle nach Deutschland: Kritiker fürchten um den sozialen Frieden
Von RUDOLF DORNER

Der politische Nutzen der EU-Osterweiterung läßt sich naturgemäß nicht beziffern. Der wirtschaftliche Nutzen hingegen ist aus den für die Finanzierung aufzuwendenden Transferzahlungen und den Wohlfahrtsgewinnen aus der Integration der Beitrittsländer in die Gemeinschaft – wenn auch mit Vorbehalten – zahlenmäßig ermittelbar. Untersuchungen gelangen zu positiven Ergebnissen auf beiden Seiten. Während die Wohlfahrtsgewinne der EU mit 0,1 bis 0,2 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) relativ bescheiden sind, fallen die der mittelosteuropäischen ("MOE"-) Länder mit fünf bis sieben Prozent ihres BIP wesentlich höher aus. Es handelt sich somit – geographisch gesehen – um einen Wohlfahrtstransfer von Nordwest nach Ost.

Allerdings werden die Wohlfahrtsgewinne sowohl in den 15 EU-Ländern als auch in den MOE-Ländern, in den einzelnen Regionen und letztlich auch in einzelnen Unternehmen in unterschiedlicher Höhe anfallen. Ländermäßig gesehen werden die EU-Staaten mit intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zu den Ostländern, allen voran das exportstarke und geographisch günstig gelegene Deutschland, profitieren. Der Profit aus der Osterweiterung wird in erster Linie bei einigen Industrie- und Handelsunternehmen sowie bei Bauwirtschaft und Versicherungen anfallen.

Wohlfahrtsverluste entstehen aber unzweifelhaft für die Mehrheit der deutschen Steuerzahler, deren Zwangsbeiträge zum EU-Haushalt nunmehr nicht nur in die südlichen, sondern auch noch in die östlichen Armutsregionen fließen werden. Da der Großteil der Transferleistungen für konsumtive und nicht für investive Zwecke verwendet werden dürfte, wird der deutsche Steuerzahler mit jahrzehntelanger Dauersubvention ihm ziemlich fernstehender, ihm erfahrungsgemäß nicht immer wohlgesonnener oder dankbarer Unterstützungsempfänger rechnen müssen.

Wird die Osterweiterung der EU für Deutschland zu einem Faß ohne Boden? Kritiker befürchten dies seit langem. Eine viel größere Gefahr als das finanzielle Risiko stellt aber die zu erwartende Zuwanderung von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen von Osteuropäern nach Deutschland dar, die mancherorts geradezu als physische Be-drohung emp-funden wird. Die durch die unvermeidlichen Strukturbereinigungen im Bergbau und der Schwerindustrie freigesetzten polnischen Arbeitskräfte – Schätzungen belaufen sich auf 300 000 – sowie die im Zuge der Agrarreform ebenfalls arbeitslos werdenden Kleinbauern und Landarbeiter werden mit den derzeit rund 2,5 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen (Experten sprechen von zusätzlich über einer Million nicht gemeldeter Arbeitsloser) eine "Reservearmee" (Karl Marx) bilden. Sie stehen – wenn auch nicht in voller Stärke – zum Aufbruch in die westlichen Industrie- und Wohlfahrtsstaaten bereit. Hauptziel wird sowohl aus geographischen als auch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen Deutschland sein. Diese Wanderungsbewegung hängt als Menetekel über dem deutschen Arbeitsmarkt, der infolge seiner Arbeitslosenquote von rund zehn Prozent ohnehin als überbelastet zu betrachten ist. Schätzungen des Zuwandererpotentials nach Deutschland aus der ersten Gruppe der Beitrittsländer reichen von 25 000 bis 400 000 jährlich, wenn auch mit später fallender Tendenz.

Nimmt man noch den unausbleiblichen Familiennachzug der Ostarbeiter bei gleichzeitig anhaltendem Massenzustrom von Asylbewerbern, Flüchtlingen aller Kategorien und aus aller Herren Länder hinzu, so droht nicht nur Massenarbeitslosigkeit, Lohndumping und Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme, sondern auch ein gesellschaftlicher Konflikt. EU und Bundesregierung reden daher das Zuwandererpotential klein und versuchen, die von Existenz- und Überfremdungsängsten geplagten Deutschen mit dem Hinweis auf die begrenzte Mobilität von Arbeitslosen, möglichen Schutzklauseln wie Einführung von Übergangsfristen etc. zu beruhigen.

Indes: Deutschland wird mit seinem hohen Einkommensniveau, großzügigen Sozialsystem und seiner verordneten Fremdenfreundlichkeit stets die größten Wanderungsströme anziehen. Die Löhne liegen in Osteuropa bei einem Zehntel bis einem Fünftel der westdeutschen Löhne oder bei einem Viertel bis zur Hälfte der deutschen Sozialhilfe. Kein Zweifel, daß die Leistungen des deutschen Sozialstaates in Form von Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld, Sozialwohnung, ergänzender Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und anderen Wohltaten sowie die Nutzung der gut ausgebauten öffentlichen Infrastruktur (Verkehrswege, Schulen, Krankenhäuser etc.) von den Zuwanderern bereitwillig und erschöpfend in Anspruch genommen werden.

Diese Leistungen gehen zwangsläufig zu Lasten der deutschen Bevölkerung, die darüber hinaus noch mit höheren öffentlichen Abgaben doppelt belastet werden wird. Dem deutschen Sozialstaat droht dann der Ruin, und Deutschland wird über kurz oder lang von einem Wohlstandsland zu einem multikulturellen Problemfeld werden. Es wird nicht nur Akzeptanzprobleme geben, sondern es wird sozialer Sprengstoff angehäuft, der zu Unruhen führen kann und in anderen Regionen Europas und der Welt sogar Bürgerkriege auslöste. Sind sich die Befürworter der Osterweiterung und verantwortlichen Politiker dieser Gefahr bewußt? Und können sie ermessen, was es für die Heimatvertriebenen bedeutet, für Länder, die 15 Millionen Deutsche aus ihrer angestammten Heimat vertrieben und entschädigungslos enteignet haben, nochmals zahlen zu müssen? Wie will die deutsche Bundesregierung vom deutschen Volk europäische Solidarität in Milliardenhöhe einfordern, wenn sie deutsche Rechte nicht geltend macht und noch nicht einmal bereit ist, für die heimatvertriebenen Landsleute ein Denkmal in der Bundeshauptstadt zuzulassen? (Schluß)

Berichtigung:

In Teil I dieser Reihe (Folge 42) hat sich eine mißverständliche Angabe zum polnischen Bruttosozialprodukt eingeschlichen. Richtig heißt es, Polen erreicht bloß 40 Prozent des EU-Schnitts pro Kopf der Bevölkerung, die Tschechische Republik hingegen 62 Prozent und Ungarn 50 Prozent des EU-Mittelwerts. d. Red.