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02.12.00 Chronik einer "Männerfeindschaft"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. Dezember 2000


Gedanken zur Zeit:
Chronik einer "Männerfeindschaft"
Warum Kohl Schäuble nicht mehr mag / Von Wilfried Böhm

"Kohl klagt an", "Kohl spricht von öffentlicher Hinrichtung", "Kohl rechnet ab" – des Exkanzlers "Tagebuch" ist der jüngste Höhepunkt im Hinterhofstreit der ehemals Mächtigen in der Union, die sich zur Freude ihrer politischen Gegner in peinlicher Würdelosigkeit der Selbstzerstörung widmen. Nur ganze zehn Prozent der Deutschen meinen, daß dieses Elaborat "der CDU helfe". Die meisten wenden sich mehr oder weniger fassungslos ab. Sie wollen und können kaum glauben, was ihnen bei den Offenbarungen der Charaktere führender Politiker beim Blick in die Schlangengrube von Haß, Intrigen und Gezänk angeboten wird. Bestürzend ist dabei, daß Erringen, Ausüben und Bewahren von persönlicher Macht offensichtlich den absoluten Vorrang vor politisch begründeten Auseinandersetzungen gehabt haben, wie sie in der Politik legitim wären.

Wer bisher vom Vorrang des Politischen vor dem Persönlichen ausgegangen war, stellte eine Entfremdung der "Freunde" Kohl und Schäuble fest, als Schäuble am 18. Juni 1997 mit seiner "Berliner Rede" ein nachdrückliches Bekenntnis zum demokratischen Nationalstaat als Grundlage der Europapolitik ablegte. Damit mußte er bei Kohl, dessen "Euromanie" hinreichend bekannt war und ist, in Ungnade fallen und kam als "Kronprinz" für diesen nicht in Frage, jedenfalls unter der Voraussetzung, daß Schäuble diese Rede ernst gemeint hat und mit ihr nicht nur verbale Nebelkerzen verschießen wollte.

Zehn Tage bevor Kohl im Bundestag einmal mehr seinen Herzenswunsch beschwor: "Der Euro kommt pünktlich zum 1. Januar 1999", hatte Schäuble in seiner vor der "Deutschen Gesellschaft für Auswärige Politik" gehaltenen Rede zwar keinen Zweifel daran gelassen, daß für ihn "die Vollendung des Binnenmarktes durch die Einführung einer stabilen Gemeinschaftswährung der richtige Weg" für Europa sei, aber zugleich deutlich gemacht, für ihn heiße beim politischen Projekt Europa das Bekenntnis zum Ziel der europäischen Intergration nicht, "daß wir nicht immer wieder kritisch prüfen müssen, ob der eingeschlagene Weg auch in eine gute Zukunft führt". Die doppelte Verneinung war ein deutliches: Bis hierhin und nicht weiter.

Schäuble stand unter dem Eindruck einer internen Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, nach der die Meinung "Deutschland muß seine nationalen Interessen international stärker durchsetzen" bei der Basis der CDU in der "alten" Bundesrepublik mit 77 Prozent und zwischen Rhön und Rügen mit 65 Prozent Zustimmung gefunden hatte. Darum formulierte Schäuble: "Die beste Außenpolitik ist die, die unseren Interessen dient", und beklagte zugleich: "Eine Bestandsaufnahme, wo Deutschlands Interessen und Ziele in der Welt nach dem Kalten Krieg liegen, hat es in der Tat nicht gegeben." Der für diesen Mißstand verantwortliche Bundeskanzler Kohl wird das ebenso ungern vernommen haben wie Schäubles Feststellung: "Ein Europa, das seine Bürger aus den Augen verliert, kann jedenfalls nicht das Europa der Zukunft sein. Institutionen sind kein Selbstzweck". Bei der Europäischen Union muß der Schreck über soviel Unbotmäßigkeit im Land des größten Nettozahlers riesengroß gewesen sein.

Nachdrücklich wies Schäuble überdies die Mutmaßung zurück, die deutsche Politik ziele auf die Abschaffung des Nationalstaats: "Die Nationalstaaten sind historisch betrachtet das Europäische an Europa. Sie werden auf absehbare Zeit die bestimmende staatliche Organistationsform bleiben. Die Staaten vermitteln den Menschen Zugehörigkeit und Identität, ohne die friedliches Zusammenleben auf Dauer nicht gelingt." Aus der Osterweiterung zog Schäuble den Schluß: "Vereinigte Staaten von Europa wird es, soweit wir von hier sehen können, nicht geben, die Europäische Union wird eine multinationale Gemeinschaft bleiben."

Zu Recht meinte Schäuble, in Deutschland würde mitunter so getan, als "hätten wir keine Interessen". Das stimme unsere Nachbarn mißtrauisch, die alle alte, historisch gewachsene Nationalstaaten seien. Ein bißchen mehr Selbstvertrauen schade nicht. Schäuble beklagte auch, bei internationalen Organisationen seien Deutsche "zahlenmäßig unterrepräsentiert". Hinzu komme, daß es unter denjenigen, die in Straßburg oder Brüssel seien, "etliche gibt, die gerne schnell vergessen, woher sie kommen".

Bei Kohl hatte sich Schäuble durch europäische Unbotmäßigkeit und bei jenen, die an der "Überwindung des Nationalstaates" werkeln, durch seine klare Kursbeschreibung "um Kopf und Kragen" geredet. Die CDU sollte daran erkennen, daß die Überwindung der Ära Kohl nicht nur eine Angelegenheit der Überwindung einer personellen Alleinherrschaft ist, sondern mehr noch eine an den politischen Überzeugungen ihrer Parteibasis orientierte Grundsatzentscheidung zur Wahrung der deutschen Interessen in Europa.