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16.12.00 Der Flop von Nizza

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. Dezember 2000


Der Flop von Nizza
von Hans-Jürgen Mahlitz

Der Gipfel von Nizza werde "in die Geschichte als ein großer eingehen". Der dies so vollmundig verkündete, wird mit Sicherheit nicht als ein Großer in die Geschichte eingehen: Jacques Chirac, Präsident der Französischen Republik und ein halbes Jahr lang auch des Europäischen Rates.

Die französische Präsidentschaft "glänzte" nicht nur auf diesem Treffen von Nizza durch Stümpereien; statt Pariser Elegance erlebte man Monsieur le Président als Elefant im Porzellanladen. Wenn Chirac unbedingt in die Geschichte eingehen will, dann bitte sehr: als mit Abstand schwächster Präsident der Fünften Republik.

Und Jörg Haider im fernen Kärnten darf sich wieder einmal bestätigt sehen: Was er sich in den letzten zwei Jahren so alles über den Pariser "Westentaschen-Napoleon" hatte einfallen lassen, war zwar von den diplomatischen Gepflogenheiten weit entfernt, kam der Wahrheit aber ziemlich nahe.

Daß der Gipfel von Nizza ein Flop war, trotz aller krampfhaften Bemühungen, das Beinahe-Scheitern mit gequälten Erfolgsmeldungen zu verkleistern, lag natürlich nicht nur am schwachen Auftreten der Gastgeber. Die deutsche Delegation trug mit ihren Ungeschicklichkeiten ebenfalls ihren Teil dazu bei. Erst machten Kanzler Schröder und sein Mitläufer Fischer mit lautstark vorgetragenen Forderungen nach mehr deutschem Einfluß in den EG-Gremien auf sich aufmerksam. Dann wurde allzuschnell klein beigegeben: 82 Millionen Deutsche gleich 59 Millionen Franzosen, das also ist die neue europäische Mathematik!

Ob die heute 14 und demnächst vielleicht 26 Partner uns Deutsche und unsere Politiker da wohl noch ernst nehmen? Ein Deutschland, das selbstbewußt, aber nicht überheblich für seine Interessen eintritt, statt sich in vorauseilender Unterwürfigkeit zu üben, dürfte ihnen lieber sein.

Schröder beschönigte das Einknicken hinterher mit der Feststellung, für ihn sei "das wirkliche strategische Ziel – die Einigung Europas – das Wichtigste". Seinem joggenden Außenminister fielen dazu nur noch Episoden aus dem Leben eines Marathonläufers ein – wie tröstlich, daß der Mann, der unser Land auf dem internationalen Parkett repräsentiert, wenigstens davon etwas zu verstehen scheint.

Schröder weiter: "Die Tatsache, daß wir nun aufnahmefähig sind für neue Mitglieder, ist ein historisches Datum."

Es scheint sich hier eher um einen historischen Fehler zu handeln. Denn aus welchem Grunde sind "wir nun aufnahmefähig"? Nur, weil "wir" nach viertägigem Ringen festlegen konnten, wer künftig wie viele Stimmen im Ministerrat hat und wer wie viele Kommissare stellt? Wenn die Maus, die der "kreißende Berg" namens Nizza-Gipfel da gebar, schon alles sein soll, was man für ein vereintes Europa braucht, dann muß man sich schon fragen, warum wir darauf eigentlich so lange warten mußten. Nein, fit für die Osterweiterung ist die EU nach diesem Gipfel genauso wenig wie zuvor. Nach der "Reform", die allenfalls ein Reförmchen ist, sind die Abstimmungs- und Beschlußmechanismen der europäischen Gremien fast noch undurchschaubarer und unhandlicher. Was wirklich wichtig ist, unterliegt größtenteils weiterhin dem Einstimmigkeitsprinzip. Wo das Mehrheitsprinzip zur Anwendung kommt, muß erst in einem komplizierten Rechenverfahren geklärt werden, was nun gerade Mehrheit oder Minderheit ist.

Haben sich die Gipfelteilnehmer nach viertägigem erfolg-losen Verhandlungsmarathon etwa wieder einmal an "Big Brother" angelehnt, wie Europa es ja so gerne tut, wenn es selbst nicht mehr weiter weiß? Motto: Von Amerika lernen heißt wählen lernen! Vermutlich werden wir nach künftigen EU-Gipfeln dann auch ein paar Wochen warten müssen, bis der Europäische Gerichtshof (oder, in diesem Falle, das Appelationsgericht des Departements Alpes Maritimes?) entscheidet, was der Rat mit welcher Mehrheit beschlossen hat und was nicht.

Wenn das die Eintrittskarte in ein auf 27 oder gar noch mehr Staaten erweitertes Europa sein soll, dann verzichten wir besser auf die Erweiterung. Zumal der Nizza-Gipfel einer Frage konsequent und geschickt ausgewichen ist: Wer soll das bezahlen? Der – ansonsten ungefragte – Bundesbürger glaubt, die Antwort zu kennen.