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23.12.00 Interview: Thüringens JU-Chef Witzleben über linke Frageverbote und die Krise der Union

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. Dezember 2000


Interview: Thüringens JU-Chef Witzleben über linke Frageverbote und die Krise der Union
"Die CDU wirkt beinahe desorientiert"

Georg von Witzleben, 23 Jahre jung, Leutnant der Reserve und Student der Geschichte, Politik und Psychologie, ist Vorsitzender der Jungen Union (JU) Thüringen. Der Großneffe des nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Widerstandskämpfers Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben lebte zunächst in Westberlin. 1993 kam er mit seinem Zwillingsbruder Konstantin nach Nordthüringen, in das Stammland der Familie. In Roßleben hatte eine Familienstiftung seit dem 16. Jahrhundert eine Klosterschule unterhalten, die sie seit 1990 wieder betreibt. Georg von Witzleben trat mit 16 Jahren in die Junge Union und in die CDU ein, wurde 1997 stellvertretender Landesvorsitzender und 1999 Landesvorsitzender der Jungen Union Thüringen. Er wohnt seit 1996 in Weimar. Das folgende Gespräch führte Peter D. Krause.

War es für Sie selbstverständlich, mit 15 Jahren in die sogenannten "Neuen Bundesländer" zu gehen?

In Berlin sind wir mit der Mauer aufgewachsen und haben uns nie als "Wessis" gefühlt. Ich bin familiengeschichtlich und konservativ erzogen worden. Seit 1987 war ich regelmäßig in Thüringen. Den 10. November 1989 habe ich ebenso wie den 3. Oktober 1990 am Brandenburger Tor erlebt. In das Heimatland der Familie zurückzukehren, die Möglichkeit, die Stiftung mit aufzubauen und die Vereinigung Deutschlands im kleinen zu erleben, das war für mich eine Herausforderung.

Seit wann sind Sie politisch aktiv?

An der Einheit Deutschlands festzuhalten, das war auf einem Westberliner Gymnasium in den achtziger Jahren etwas Einsames, beinahe Anstößiges. Ich habe mich früh an politischen Streit gewöhnt. Als die Einheit kam, die politisch gestaltet werden mußte, war es für mich selbstverständlich, nicht abseits zu stehen.

Wie sieht Ihre Bilanz der Einheit aus?

Das ist nicht einfach mit "positiv" oder "negativ" zu beschreiben. Es wurde sehr viel erreicht, und wir müssen auf die großartigen Erfolge auch immer wieder deutlich verweisen. Wir sollten aber auch kritisch Bilanz ziehen. 1990 wurde nicht klar gesagt, was auf die Deutschen zukommt, daß es nicht einfach wird. Die Erwartungen waren bei einigen zu hoch. Enttäuschung ist die Folge. Persönlich hatte ich übrigens nicht ein einziges Mal Probleme in Thüringen. Mein Ziel war von Anfang, der Einheit des Vaterlandes zu dienen. Auf dem Internat in Roßleben waren schon 1993 Schüler aus ganz Deutschland, und da gab es keine Ost-West-Spaltung, sondern eine deutsche Stimmung.

Die Junge Union ist die mitgliederstärkste politische Jugendorganisation. Welche Bedeutung hat sie?

Unter der Vorsitzenden Hildegard Müller hat die JU Deutschlands innerhalb der Union an Einfluß gewonnen. Wie groß allerdings die reale Macht ist, ist schwer einzuschätzen. Das wird sich erst bei Meinungsverschiedenheiten zeigen. In Thüringen nutzt die JU, deren Mitglieder zu 75 Prozent nicht in der CDU sind, allerdings die zahlreichen Möglichkeiten, auf bestimmte Themen Einfluß zu nehmen, ohne sich der CDU anzupassen. Wir verstehen uns vor allem als kritischer Anreger, bringen Themen und Schwung in die CDU und wollen ihr Mut zu Kampagnen machen.

Warum gehen junge Leute in die JU?

Aus sehr unterschiedlichen Gründen. Einige suchen bloß Anschluß und Spaß, manche wollen Kontakte knüpfen und glauben, wenn sie dem Ministerpräsidenten einmal im Monat die Hand schütteln, dann klappt das mit der Karriere. Und andere wollen politisch handeln, um die Gestaltung der Zukunft nicht dem politischen Gegner zu überlassen.

Es gibt nicht wenige Politiker in der CDU, von denen man nicht weiß, wofür sie eigentlich stehen. Beginnt in der JU das Verbiegen?

Es gibt in der JU – wie in allen anderen politischen Jugendorganisationen kaum anders – nicht wenige, die schnell nach oben wollen und sich entsprechend anpassen. Die sind gezwungen, sich den Stimmungen unterzuordnen und sich also inhaltlich möglichst nicht grundsätzlich festzulegen. Es gibt allerdings viele andere, denen es um die Sache geht. Das ist auch eine Frage der persönlichen Unabhängigkeit und der Souveränität. Die Berufspolitikerkarriere: erst JU und Studium, dann 40 Jahre Bundestag, Alterspräsidentschaft und womöglich im Amt sterben ... das ist zumindest nicht mein Ziel.

Viel Zeit und Kraft fordern Machtgewinn und Machterhalt innerhalb der eigenen Partei. Muß ein junger Politiker es nicht jedem recht machen – und ist er, wenn er das einige Jahre durch hat, ohne politischen Charakter?

Es ist ein großer Fehler, politische Karrieren zu planen. Die Gefahr, immer nur nach Mehrheiten innerhalb und außerhalb der Partei zu schauen und am Ende ohne eigene Meinung dazustehen, ist dann groß. Die Entscheidung muß jeder für sich treffen: Stehe ich für meine Überzeugungen ein, auch auf die Gefahr, einmal nicht dabeizusein – oder passe ich mich an. Allerdings war das wohl nie anders. Es mag sein, daß heute besonders viel Farblosigkeit das Bild der Politik prägt. Das läßt sich nur durch mehr Unabhängigkeit der politischen Akteure ändern.

Parteienkritiker meinen, die politische Klasse sei abhängig, sei gefangen in einem Netz von Begünstigungen. Lobbyismus zerstöre den Staat. Hat unser Parteiensystem Zukunft?

In unser parlamentarisches System habe ich Vertrauen, auch wenn Politiker über Veränderungen entscheiden müssen, die sie selbst betreffen. Unser System freilich setzt, um diese Strukturschwäche auszugleichen, auf eine traditionelle Auffassung von Politik als Dienst. Wenn die politische Ethik der Nachkriegszeit ausgehöhlt ist, und dafür gibt es ja nach 30 Jahren Meinungsführerschaft der 68er Anzeichen, dann funktioniert das System nicht mehr. Und dann muß es vom Volk verändert werden. Prinzipiell stehe ich zwar plebiszitären Elementen skeptisch gegenüber, aber wenn die politischen Eliten versagen, dann muß das Volk sprechen. Eliten müssen weitsichtig führen, sonst sind sie überflüssig.

Führt unsere Mediendemokratie nicht dazu, daß derjenige Politiker am weitesten kommt, der die wenigsten Fehler macht – und also keine festen Positionen bezieht?

Wenn es Politiker, die klar Position beziehen und nicht bei jedem Widerstand sofort umfallen, nicht mehr geben sollte, dann ist mir bange um die Union.

Muß die CDU reformiert werden? Und durch wen: die Basis?

Eine Reform von unten ist in einer so großen Partei wie der CDU schwierig, aber möglich. Wenn über Jahre die Mitarbeit beschnitten worden ist, dann ist allerdings klar, daß nicht mehr viel kommt. Von oben ginge eine Reform wahrscheinlich besser, zumindest schneller. Wobei Reform keineswegs heißen muß, sich inhaltlich noch weiter von seinen Wurzeln zu entfernen, sein Gesicht nach und nach zu verlieren.

Die Gesellschaft verändert sich schnell, gewachsene Institutionen wie Elternhaus, Schule, Kirche, Armee verlieren ihre Kraft. Ist grundsätzliche Positionierung im Kampf um die "Mitte" überhaupt noch möglich?

Wir sind gezwungen zu einer Gratwanderung zwischen dem, was die Zeit fordert, und dem Festhalten an Grundüberzeugungen. Wir dürfen nicht anachronistisch werden – aber dem Zeitgeist gehorsam hinterherzulaufen kann auch nicht unser Weg sein. Das wäre das Ende der Politik.

Wird die CDU auf dem Grat bleiben?

Es ist nicht leicht, einzuschätzen, wie sich die Union entwickeln wird. Aber wenn sie den Weg Schröders wählt und damit die gut verkäufliche Prinzipienlosigkeit, dann wäre das über kurz oder lang ihr Aus. Sie würde entbehrlich werden. Wir benötigen sicher eine bessere Darstellung, ein Top-Management, aber wir brauchen vor allem eine klare Linie. Wir müssen etwa entschiedener Widerstand leisten gegen die politische Methode, mit Schlagworten die Auflösung der Gesellschaft voranzutreiben.

Nach jeder Krise wird in der CDU eine Diskussion über Grundwerte gefordert – und dann nicht geführt. Bedeuten Grundwerte heute noch etwas?

Pragmatismus ist in der Politik wichtig, aber ohne Grundwerte wären wir nichts. Die Linke hat doch all ihre Werte aufgegeben – und betreibt nun die Zerstörung des Gemeinwesens in Form der political correctness. Die CDU braucht dringend eine Grundwertediskussion. 1998 ist die Debatte nicht geführt worden. Die Krise vor einem Jahr war nicht nur eine der dunklen Spenden oder des Führungsstils. Doch die Verständigung über aktuelle und überholte Fundamente christlich-demokratischer Politik ist auch unter Frau Merkel noch nicht erfolgt. Deshalb wirkt die CDU insgesamt so unsicher, beinahe desorientiert.

Alle wollen sich an Problemen orientieren und nicht mehr an Grundsätzen. Wie steht es um das Prinzipielle in der CDU?

Politik ist schwierig geworden. Die Globalisierung ist ein Faktum, daß nationale Entscheidungen eingrenzt. Aber es gibt Kernbereiche, die bleiben politisch – und die Meinung, wie die gestaltet werden sollten, müssen wir offensiv vortragen. Wir benötigen Mut, wieder staatspolitische Vorgaben zu machen. Und prinzipielle Unterschiede zum politischen Gegner gibt es doch genügend. An Fragen wie der doppelten Staatsbürgerschaft oder der Identität werden die sichtbar – und ließen sich grundsätzlich diskutieren. Es stehen sich andere Gesellschaftsmodelle gegenüber. Und insofern der politische Gegner das Ideal der Gleichheit ins Abstruse treibt, ist er links. Wir haben in Thüringen 1999 einen Wahlkampf gegen eine mögliche rot-rote Koalition geführt – und die absolute Mehrheit gewonnen. Abstrakte Gesellschaftsmodelle, die Auflösung aller überkommenen Bindungen, die Absage an Geschichte und Tradition, das ist uns fremd. Und wir müssen die absehbaren Folgen linker Politik in aller Schärfe zeigen.

Das Ringen um die Meinungsführerschaft ist also nicht aufgegeben?

Gegenwärtig dreht sich die CDU noch um sich selbst. Aber die SPD ist doch inhaltlich noch viel schwächer als wir, von den Grünen nicht zu reden. Gerade bei grundsätzlichen Fragen ist die Chance sehr groß, die öffentliche Meinung zu beherrschen. Dann muß uns die veröffentlichte Meinung auch nicht so sehr viel kümmern.

Das klingt optimistisch. Spricht da die "Generation Golf": pragmatisch, karrierebewußt ...

Die Generation Golf soll ja hedonistisch sein ... Ich weiß nicht, aber optimistisch sind wir auf alle Fälle. Ich meine, der Wille, Leistung zu bringen, ist wieder größer geworden. Die Jugend ist, wenn man das so allgemein sagen kann, nicht mehr so weinerlich. Auch die Einsicht in die Notwendigkeit von Bindungen nimmt zu. Bindungen sind das Fundament einer Gesellschaft. Es gibt sicher keinen durchgreifenden Mentalitätswandel, aber die Ideen von 1968 sind eher out.

Sie haben einen klaren Begriff von Politik?

Ich neige zum politischen Realismus. Wir wissen, daß wir die Konsequenzen heutiger Entscheidungen tragen müssen. Ich male mir aus, wie Deutschland in 25 Jahren aussieht, wenn es so weitergeht. Wir haben Ziele, aber keine Utopie. Politik hängt mit Interessenkonflikten zusammen, auch solchen, die nicht im Konsens zu lösen sind. Eine politische Denkweise herrscht mittlerweile, die sich zwar auf Vernünftigkeit und Toleranz bezieht, aber nicht willens zeigt, Phänomene anzuerkennen oder offen zu diskutieren, die ihre Grundlagen in Zweifel zieht.

Sie halten nicht viel von politischen Tabus?

Wir haben es seit drei Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland mit der Verschiebung von zentralen politischen Begriffen zu tun. Begriffe wie Zivilgesellschaft unterstellen einen gesellschaftlichen Konsens über Fragen, über die nie diskutiert worden ist. Auch an die "multikulturelle Gesellschaft" hätten wir uns beinahe wie an eine Selbstverständlichkeit gewöhnt. Ich halte nichts von Frageverboten und krankhafter Reizbarkeit bei bestimmten Begriffen.

Können Sie das genauer erklären?

Wir dürfen etwa der Frage, was deutsch sei, nicht verschämt ausweichen. Viele wirken verkrampft, wenn sie die Vokabel Vaterland verwenden. Die Mehrheit der Deutschen aber liebt unser Vaterland. Warum sollte sich die CDU mit einer Linken gegen die Bürger verbünden? Unser Gemeinwesen kann auf Begriffe wie Volk und Nation nicht verzichten. Es geht um Identität. Die ist nicht abstrakt, nicht beliebig austauschbar. Sie hängt mit Geschichte und Herkommen zusammen. Unsere Gesellschaft bedarf der Vaterlandsliebe, des Patriotismus. Wenn jeder nur sich selbst liebt, ist er auch nicht bereit, sich für die Gesellschaft zu engagieren.

Wie steht es um ihre persönliche Identität?

Thüringen ist meine Heimat, Deutschland mein Vaterland, Europa meine Zukunft. Ich habe meinen Eid als Soldat auf Deutschland geleistet – und nicht auf ein abstraktes Gebilde. Das Universale bietet keine Heimat. Wir brauchen ein Europa der Nationalstaaten. Es gibt keine andere Form der politischen Gemeinschaft, die das Bedürfnis nach Vertrautheit und Identifikation so befriedigt wie die Nation.

Nun gibt es eine historische Schuldmetaphysik, die auch jüngere Deutsche einbezieht und vor der Nation warnt.

Wir tragen Verantwortung dafür, daß sich die im Namen der Deutschen von Deutschen begangenen Verbrechen nicht wiederholen. Unsere Generation trägt aber keine Schuld, und wir sollten nicht mit gesenktem Kopf durch die Welt gehen.