26.04.2024

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23.12.00 Auf den Spuren bedeutender ostpreußischer Frauen und Männer in Mitteldeutschland

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. Dezember 2000


"Verzaubert von sonniger Schönheit"
Auf den Spuren bedeutender ostpreußischer Frauen und Männer in Mitteldeutschland
von SILKE OSMAN

Auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung von Mittel- und Westdeutschland sind viele reizvolle Gegenden in der ehemaligen DDR für manche Westdeutsche noch "terra incognita", also unbekanntes Land. Oft fehlte der Anreiz, auf Erkundungsfahrt zu gehen. Wie wär’s denn, einmal ostdeutschen Spuren in Mitteldeutschland nachzugehen?

Immer wieder hat es in den vergangenen Jahrhunderten Künstler, Gelehrte und Wissenschaftler aus Ostpreußen etwa gegeben, die es in diesen Teil Deutschlands zog, wo sie Höhen und Tiefen erlebten. Der Maler Alfred Partikel aus Goldap (1888–1945) kam 1925 nach Ahrenshoop, ein kleines Fischerdorf an der mecklenburgischen Küste, das Künstler und Schriftsteller seit langem gleichermaßen begeisterte. Direkt an der Ahrenshooper Düne richtete er für sich und seine Familie ein stattliches Haus ein, um dort in der Dorfstraße 32 ungestört arbeiten zu können. Bereits 1920/21 war Partikel auf das Fischland gelangt, vermutlich durch seinen Lehrer Ludwig Dettmann (1865–1944). Der Direktor der Königsberger Kunstakademie war schon vor 1900 in Ahrenshoop gewesen, um dort zu malen. Sein großes Bild "Fischerfriedhof in Ahrenshoop" ist heute im Besitz der Nationalgalerie Berlin.

"Entdeckt" hatte dieses idyllische Plätzchen der Maler Paul Müller-Kaempf (1861–1941). In seinen Erinnerungen (nachzulesen in dem kleinen Bändchen "Ahrenshoop – Eine Künstlerkolonie an der Ostsee", Verlag Atelier im Bauernhaus, Fischerhude) schreibt er: "Im Spätsommer 1889 hielt ich mich mit meinem Kollegen, dem Tiermaler Oskar Frenzel, in Wustrow auf dem Fischlande auf, um zu malen. Gelegentlich einer Wanderung am Hohen Ufer lag plötzlich, als wir die letzte Anhöhe erreicht hatten, zu unseren Füßen ein Dorf: Ahrenshoop. Wir hatten von seiner Existenz keine Ahnung und blickten überrascht und entzückt auf dieses Bild des Friedens und der Einsamkeit. Kein Mensch war zu sehen, die altersgrauen Rohrdächer, die grauen Weiden und grauen Dünen gaben dem ganzen Bilde einen Zug tiefsten Ernstes und vollkommener Unberührtheit: So sah Ahrenshoop damals aus ..." Das sollte sich bald ändern. Mit den Malern kamen schließlich auch die ersten Badegäste, von den Einheimischen argwöhnisch "als Spione" beäugt, da diese Fremden keine Malutensilien mit sich trugen.

Für Alfred Partikel ist Ahrenshoop und die unvergleichliche Landschaft immer wieder ein Quell des Schaffens. Dort entstanden viele seiner Bilder. Dort aber ist er wohl auch gestorben – von einer Wanderung in den Niehagener Wald am 20. Oktober 1945 kehrte er nicht mehr zurück. Vor seinem Haus in der Dorfstraße kündet ein gewaltiger Findling mit der Aufschrift "Dem Maler Alfred Partikel" von dem ostpreußischen Künstler.

Potsdam, im Süden Berlins gelegen, hat schon seit jeher die Touristen angezogen, die vor allem Schloß Sanssouci bewundern. Wesentlich jünger, aber nicht minder sehenswert ist ein anderes Bauwerk in Potsdam: der 1920/21 von dem aus Allenstein stammenden Architekten Erich Mendelsohn (1887–1953) erbaute sogenannte Einsteinturm, der die Karriere des jungen Baumeisters begründete. Das Observatorium und astrophysikalische Laboratorium auf dem Telegrafenberg in Potsdam gilt heute als eines der prägnantesten Gebäude der Moderne.

Keine sichtbaren Spuren hinterließen in Potsdam zwei Königsberger, die sich als Wissenschaftler einen Namen machten. Otto Wallach (1847–1931), Nobelpreisträger für Chemie (1910), ging in Potsdam zur Schule, und Erich v. Drygalski (1865–1949), der Geograph und "Forscher im ewigen Eis", der vor bald 100 Jahren die Antarktis erforschte, war in Potsdam Assistent am Geodätischen Institut. Dessen Direktor Helmert, der zugleich Präsident der Internationalen Erdvermessung war, regte den Ostpreußen zu seiner Doktorarbeit an, die Drygalski zu seinem späteren Spezialthema, der Erforschung des Südpols, führte.

30 Kilometer südlich von Potsdam liegt im Landkreis Teltow-Fläming das Dorf Blankensee mit dem gleichnamigen Schloß. Nach langen Restaurierungsarbeiten durch seinen neuen Eigentümer, die Brandenburgische Schlösser GmbH Potsdam, ist das Schloß am 17. Oktober 1998 wieder der Öffentlichkeit übergeben worden. In dem jetzt von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften als Tagungs- und Kongreßgebäude genutzten Herrenhaus ist auch ein Gedenkzimmer für den ehemaligen Besitzer, den Dichter und Dramatiker Hermann Sudermann (1857–1928), eingerichtet worden. Nach alten Fotografien hat die Geschäftsführerin der Hermann-Sudermann-Stiftung, Dr. Gisela Henze, das ehemalige Arbeitszimmer rekonstruiert. Aufgestellt wurden dort Möbel und andere Gegenstände, die nachweislich Sudermann gehört haben, allerdings geordnet nach heutigen ästhetischen Maßstäben. Weiter wird mit Fotos und Texten an Leben und Werk des Dichters aus Matziken, Kreis Heydekrug, erinnert.

Sudermann hatte Blankensee 1897 von seinem Freund Victor von Thümen zunächst gepachtet, 1902 endgültig erworben. "Hierher gehört mein Herz", schrieb er 1899, "hier bin ich wieder Mensch geworden und darf es sein! Hierher kommt keine der Zurücksetzungen und Kränkungen, wie sie mein Berliner Leben jetzt ausfüllen." Und ein Jahr später schwärmte er: "In der Halle und in meinem Arbeitszimmer wird schon geheizt. Überall Astern, Georginen und Sonnenblumen, aber hie und da auch noch eine Rose. Von Zeit zu Zeit guck’ ich zum Fenster hinaus, verträumt – verzaubert, von so viel sonniger Schönheit."

Der weitläufige Park (immerhin 4,5 Hektar groß) erinnerte Sudermann nicht zuletzt auch an seine Heimat im Memelland. Aus dem ursprünglich verwilderten Gelände und dem dringend sanierungsbedürftigen Herrenhaus schuf er nach eigenen Ideen ein wahres Kleinod. Er ließ die Nieplitz, die den Blankensee mit dem Grössinsee verbindet, um das Haus herum leiten, ließ Brücken und Pavillons errichten und brachte aus Italien Statuen von Göttern, Heiligen und Kaisern, um sie in seinem Park aufzustellen. Ein Marmorblock aus seiner Sammlung wird in der dortigen Dorfkirche übrigens als Taufstein genutzt. Der aus dem 12. Jahrhundert stammende Stein venezianischer Herkunft wurde ursprünglich als Brunneneinfassung verwendet. Nach dem Tod Sudermanns hielten sich bis 1945 gelegentlich auch dessen Stiefsohn, der Dramatiker Rolf Lauckner (1887–1954) aus Königsberg und dessen Ehefrau, die Malerin Elfriede Thum (Pseudonym Erich Thum, 1886–1952) in Schloß Blankensee auf.

Auch nach Leipzig, wo Pfingsten das glanzvolle Deutschlandtreffen der Ostpreußen stattfand (übrigens in der von dem Königsberger Volkwin Marg erbauten Neuen Messe), führten die Wege so mancher Ostpreußen. Der Königsberger E.T.A. Hoffmann (1776–1822) allerdings wird wenig glückvolle Erinnerungen mit Leipzig verbunden haben. 1813 war er von Bamberg nach Leipzig gegangen, um sich dort der Operntruppe Joseph Secondas als Musikdirektor anzuschließen. Zuvor war Hoffmann in Dresden gewesen, wo er mit seinem Jugendfreund Theodor Gottlieb v. Hippel (1775–1843) aus Gerdauen zusammentraf, der sich dort als Staatsrat im Gefolge Hardenbergs aufhielt. Als Napoleon in Dresden einmarschiert, geht Hoffmann nach Leipzig. Unterwegs allerdings verunglückt der Postwagen, und Hoffmanns Frau Mischa wird schwer verletzt. Der Ostpreuße nimmt schließlich seine Tätigkeit bei Seconda auf, geht aber während des Waffenstillstands im Juni 1813 wieder nach Dresden und erlebt dort im August die verheerende Schlacht bei Dresden. In dieser schwierigen Zeit und trotz aller Not der Bevölkerung dirigiert Hoffmann in der Stadt Opernvorstellungen, kehrt aber nach der Niederlage Napoleons nach Leipzig zurück. Dort überwirft er sich schließlich mit Seconda und gerät erneut in Not. In Leipzig beginnt er dann mit der Niederschrift der "Elixiere des Teufels", die später zu einem Bestseller werden, und beendet die Niederschrift seiner Oper "Undine", für die Karl Friedrich Schinkel das Bühnenbild entwirft.

In Leipzig lebte auch ein anderer Großer der deutschen Literatur: Johann Christoph Gottsched, 1700 in Juditten geboren. Er war 1724 nach Leipzig gekommen und wirkte dort zunächst als Privatlehrer; später hielt er als Professor Vorlesungen über Literatur und Poesie, die auch Goethe besuchte. Der Professor für Logik und Metaphysik war mehrfach Rektor der Leipziger Universität und gilt als der einflußreichste Sprachwissenschaftler des 18. Jahrhunderts. Bis zu seinem Tod 1766 lebte er im "Goldenen Bären", Universitätsstraße 11. Dort besuchte ihn auch Goethe, der diese Begegnung später im 7. Buch von "Dichtung und Wahrheit" mit wenig schmeichelhaften Zeilen schilderte.

Von Dresden und E.T.A. Hoffmann war bereits die Rede. Doch noch ein anderer Name aus Ostpreußen ist eng mit dieser Stadt verbunden, genauer gesagt mit Moritzburg bei Dresden. Dorthin verschlug es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs eine Frau, die mit ihrem graphischen und bildhauerischen Werk so viele Menschen noch heute erfreut, aber auch aufrüttelt: Käthe Kollwitz, geboren 1867 in Königsberg. Im April 1945 starb sie dort, fern ihrer Wirkungsstätte Berlin. Eine Gedächtnisstätte erinnert noch heute an die große Künstlerin.

Thüringen schließlich soll die Endstation dieser kleinen Rundreise auf den Spuren ostpreußischer Persönlichkeiten in Mitteldeutschland sein. In Sondershausen, unweit des Kyffhäusers, erhielt der spätere Komponist Walter Kollo (1878–1940) aus Neidenburg eine erste Ausbildung. In Jena besuchte der Theologe und Botaniker George Andreas Helwing (1666–1748) aus Angerburg die Universität, legte dort 1688 sein Magisterexamen ab und hielt Vorlesungen.

Die Krone Thüringens aber wird für die meisten Besucher die Klassikerstadt Weimar sein, von einigen Besuchern auch scherzhaft "Goethedorf" genannt. Selbstverständlich, daß auch dort Spuren ostpreußischer Persönlichkeiten zu finden sind.

Agnes Miegel (1879–964) war 15 Jahre alt, als sie 1894 nach Weimar ins Pensionat Koch geschickt wurde. Sie verlebte dort eine glückliche Zeit. "Ich bin", so erinnerte sie sich später, "noch heute dankbar, daß ich wie viele andere Ostpreußen nicht ins Ausland, in eine Schweizer Pension, sondern nach Weimar kam. Es war das Weimar Carl Alexanders, der die große, alte Tradition treu bewahrte. Und da ich in einer musikfrohen und theaterbegeisterten Verwandtschaft aufgewachsen war, erfüllte mich das Neue, das hier zu mir sprach, mit einer bis dahin unbekannten Begeisterung, aus der heraus ich damals meine ersten Verse schrieb ..."

In ihrer Weimar Zeit wird Agnes Miegel gewiß auch oft an einem Denkmal neben der Stadtkirche St. Peter und Paul vorbeigegangen sein, das 1850 für einen ostpreußischen Landsmann errichtet worden ist.

Man ehrte damit den Theologen und Schriftsteller Johann Gottfried Herder (1744–1803) aus Mohrungen, der schließlich 27 Jahre seines Lebens in Weimar verbrachte. Ein Museum im Kirms-Krackow-Haus erinnert an diesen großen Ostpreußen, der in Weimar begraben liegt und auf dessen Grabstein die Worte "Licht! Liebe! Leben!" eingemeißelt sind.