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06.01.01 Jugend in Mitteldeutschland: Eine Generation wird betrogen

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Januar 2001


Jugend in Mitteldeutschland:
Eine Generation wird betrogen
Der Rohrstock der "Politischen Korrektheit" verhindert eine offene Auseinandersetzung über drückende Probleme – Resignation und hilflose Aggressivität sind die Folge
von HEIKE-DOREEN EHLING

In vielen Bereichen der Gesellschaft steht "die Jugend" in Deutschland gegenwärtig auf dem Prüfstand. Und alle möglichen Verantwortungsträger in Politik, Bildung, Kultur und Wirtschaft werfen ihr die verschiedensten Unzulänglichkeiten vor: Unsere Jugend kann nicht rechnen, kaum schreiben (Gott sei Dank gibt es dafür die Rechtschreibreform, da ist das sowieso egal!), interessiert sich nicht für neue Technologien, ist nicht erfinderisch sondern faul, egozentrisch, fremdenfeindlich, (rechts)radikal.

"Die Jugend" braucht sich über diese Klage nicht zu grämen, es geht ihr nicht besser als allen anderen Generationen zuvor: "Die Jugend taugt nicht, denn sie liebt sich selber nur," meinte schon Plautus (um 250–184 v. Chr.).

Die Frage stellt sich dennoch: Ist etwas dran? Und wer kann etwas dafür?

Versuchen wir eine Analyse dieses komplexen Themas, beschränken wir uns auf den Einfluß von Schule und Staat beziehungsweise Politik, und beginnen wir mit dem Einfacheren, der Schule: Was macht die Schule aus unserer Jugend? Leistungsfähige und leistungsbereite Erwachsene?

Seit Jahren und (lange geheimgehalten) Jahrzehnten beweisen Gutachten, daß wir unserer Jugend und damit unserer Gesellschaft zum Beispiel mit Gesamtschulen keinen Gefallen tun. Die teuerste Schulform ist erwiesenermaßen auch die schlechteste, sowohl was die Wissensvermittlung als auch was die Vermittlung "sozialer Kompetenzen" (etwa Hilfsbereitschaft, gutes Betragen) angeht.

Dennoch wurden nach der Wende in Brandenburg mehrheitlich Gesamtschulen errichtet. 50 Prozent aller Schulen in Brandenburg sind Gesamtschulen, wenn man Statistiken glauben darf.

Neben dieser Fehlentwicklung "Gesamtschule" aber hat sich auch der Anspruch an Schule gewaltig verändert: Schule muß Spaß machen. Lernen wird nicht mehr mit Disziplin und Selbstdisziplin verbunden. Auswendiglernen gar gilt als große Schikane. Kennt unsere Jugend noch den Schweiß, der vor den Erfolg gesetzt ist? Vermitteln Lehrer, Eltern, Gesellschaft die Erkenntnis, daß schwer errungene Erfolge das unsagbar befriedigende Gefühl vermitteln, es dennoch geschafft zu haben? Wird berücksichtigt, daß Auswendiglernen nicht nur Lernen lehrt und Wissen vermittelt, sondern auch den Charakter, die Persönlichkeit prägt, Konzentration schult und Detailtreue?

Alle drei Fragen können getrost mit Nein beantwortet werden. Es gibt keinen Anspruch der Schule, dies zu vermitteln. Wo Lehrer es dennoch tun, machen sie es aus Gewohnheit oder Verantwortungsgefühl. Beides ist löblich, denn es ist der schwierigere Weg, zu unterrichten.

Unsere Jugend kennt ihren "inneren Schweinehund" kaum, sie wird selten mit ihm konfrontiert. Alles steht allen zu, es gibt fast immer einen Rechtsanspruch. Das ist die Grundmentalität, zu der wir unsere Jugend erziehen.

"Das Schlimmste für die Jugend ist, wenn man sie zum Leichtsinn erzieht; denn er ist es, der die Genußsucht erzeugt, aus der die Lasterhaftigkeit entsteht." (Demokrit, Fragmente)

Erstaunlich ist eigentlich, daß sich "die Jugend" im Durchschnitt immer noch ganz gut behauptet und inzwischen sogar eine Art Gegenbewegung eingesetzt zu haben scheint. Sie fordert mehr von sich und fördert sich dadurch selbst. Und sie verlangt Antworten auf Fragen, die ihre Zukunft betreffen. Eine Zukunft, die nach der Zukunft der älteren Generationen kommt. Die Fragen werden dabei auf ganz verschiedene Weise formuliert. Und unsere Gesellschaft verweigert in weiten Bereichen die Antwort.

Die Besorgnis, ob die Zukunft ausreichend Chancen und Möglichkeiten für unsere Menschen bereithält, ist berechtigt. Die Sorge, ob das Gemeinwesen in seiner heutigen Struktur den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist, ist nachvollziehbar.

Wie reagiert aber unsere Gesellschaft, wenn sie von der Jugend solche Fragen hört? Sie schreit: Tabu! Tabu! Tabu! Und sie ist entsetzt. Nehmen wir beispielsweise das Land Brandenburg. Brandenburg hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren ja bereits als ein "Hort des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit" entpuppt.

Ein Beispiel: Ein junger Allgemeinmediziner praktiziert auf dem Lande in der Nähe eines Asylbewerberheimes. Er hätte die medizinische Versorgung dort übernehmen können. Er tat und tut es nicht, obwohl auf dem Lande in Brandenburg mit einer Praxis nicht so viel zu verdienen ist. Er erzählt: "Da kommen also meine Patientinnen zu mir in die Praxis, alte Omas meistens, die ihr ganzes Leben in der LPG gearbeitet haben. Schwere Arbeit. Sie haben’s am Kreuz, in den Gelenken. Oft starke Schmerzen. Und ich habe ein Budget für Arzneimittel, das begrenzt ist. Es reicht nicht über’s Jahr und schon gar nicht für alle. Wenn ich aber ins Asylbewerberheim komme, gibt’s kein Budget. Die sind zwei Wochen hier und kriegen alles. Und alles wird bezahlt. Das kotzt mich an." Dabei sei er, so der Arzt, gar nicht dafür, daß die Asylbewerber schlechter behandelt werden, die Omas will er nur genau so gut behandeln können. Dennoch entfährt einem Teilnehmer des Gesprächs ganz unwillkürlich: "Du bist ja fremdenfeindlich!" Worauf alle ganz schockiert aussehen.

Ein anderes Beispiel: In einer kleinen ostbrandenburgischen Gemeinde lebt ein seit etwa neun Monaten arbeitsloser IT- (Informationstechnologie-)Spezialist und Erfinder. Ein beeindruckender Mann. Früher fuhr er an einigen Tagen im Monat nach Berlin, in seine Software-(Computerprogramm-)Schmiede, die restliche Zeit arbeitete er von zu Hause. Er wurde entlassen trotz aller Qualifikationen. Nun sucht er seit Monaten eine neue Stelle. Keine Chance, er ist zu alt, 48 Jahre. Und er ist gegen die Green-Card.

Noch ein Beispiel? Eine kleine Gemeinde im Brandenburgischen tat sich beim Landtagswahlergebnis 1999 mit 16,8 Prozent für die DVU besonders hervor. Alles Rechtsradikale und Ausländerfeinde! Oder?

Wer sich herabgelassen hat, mit den (vorwiegend) Jugendlichen, die aus ihrer Wahlentscheidung für die DVU im übrigen gar kein Geheimnis machten, zu sprechen, weiß es besser. Die Jugendlichen haben jede Menge Fragen: Warum kriegt einer, der eine Straftat begeht, einen Betreuer, eine Wohnung, eine Lehrstelle, einen Arbeitsplatz, und sie selber gehen so oft leer aus?

Warum ist Geld (und zwar jede Menge!) für Entwicklungshilfe da, aber nicht für unsere Gymnasien?

Warum pflastern Menschen, die kaum ein Wort deutsch sprechen, den Marktplatz der Stadt, der mit staatlichen Fördermitteln gebaut wird, und unsere Bauarbeiter sind arbeitslos?

Die Liste der Fragen ließe sich verlängern. Die Fragen sind berechtigt. Uns sie sind durchaus beantwortbar. Aber sie berühren Tabus. Dinge, über die zu sprechen und die zu hinterfragen die "political correctness" verbietet. Allein das Stellen dieser Fragen macht aus dem Fragenden einen Rechten, Rechtsradikalen, Rechtsextremisten – je nachdem, wie subtil unterschieden wird. Manche Politiker können zwischen diesen Begriffen schon gar keinen Unterschied mehr machen.

Schaut man sich um im Lande Deutschland, findet man, daß besonders in den "neuen Bundesländern" die Menschen – nicht nur die Jugendlichen – anfällig sind für diese Art "Rechtsextremismus der Fragen". Denn dies war unsere erst vor zehn Jahren errungene Freiheit: Fragen stellen zu dürfen und alles zu sagen, was man denkt. Neben dem Reisen und der D-Mark der große Unterschied zur DDR. Diesen Unterschied gibt es nicht mehr. Wieder ist es nicht opportun, Fragen zu stellen, zu zweifeln, wenn es um die von oben bestimmten Tabus geht. Und es werden immer mehr Tabus.

Und das ganz besonders Perfide daran ist, daß bereits die Frage den Fragenden zum Rechten, zum Ausländerfeind und Feind der Gesellschaft stempelt. Nicht die Antwort.

Wer diese Fragen stellen will und sie nur noch in einer Ecke der Gesellschaft offen loswird – der stellt sich in diese Ecke. Oder er denkt sich in diese Ecke. Bei den oben genannten Fragen ist es die rechte Ecke, in der sich der Fragende befindet.

Die Jugend vor allem will Antworten. Sie will Antworten auf die Fragen nach ihrer Perspektive. Und sie wird sie so oder so finden. Aber es wäre besser, wenn sie das Gefühl hätte, schon in unserer Gesellschaft alles fragen und hinterfragen zu können. Das erleichtert die Identifikation mit den Antworten, die unser Gemeinwesen ihnen geben kann, ungemein.

Verweigern wir weiter nicht nur die Antworten, sondern sogar das Recht, die Fragen zu stellen, wird die Identifikation unserer Jugend mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung eben auch weiter rapide abnehmen. Wir werden das als Phänomene der Fremdenfeindlichkeit, der wachsenden Aggressivität, der Selbstsucht wahrnehmen. Und wir werden die Jugend weiter schelten.

Dabei sind wir es, denen das nötige Selbstbewußtsein fehlt, auch mit unbequemen Fragen leben zu können und uns um Antworten auch mal zu streiten. Dabei der Leidtragende zu sein, hat unsere Jugend nicht verdient.