25.04.2024

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03.02.01 Schulalltag in Ostpreußen – Peter Perrey sucht Erlebnisberichte

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Februar 2001


Wipkes on Zatzkes uute School
Schulalltag in Ostpreußen – Peter Perrey sucht Erlebnisberichte

Vielfach ist das Erziehungswesen – und damit sind vor allem die Schulen gemeint – bereits in nüchternen Worten beschrieben, sind seine Veränderungen über die Jahrhunderte hinweg akribisch dargestellt worden. Aus solchen Berichten erfahren wir viel über die Strukturen, die der jugendlichen Bildung Richtung gaben, und über den großen Rahmen, auf den das Feld der Erziehung – in unserem Fall in Preußen – gespannt war. Über das, was Schulleben im Alltag ausgemacht hat, wie es der "Kunde erlebte", erfahren wir daraus aber nichts. Nur von wenigen volkstümlichen Reaktionen auf die trockenen Erlasse der preußischen Kultusbürokratie wissen wir vielleicht noch aus den Erzählungen unserer Vorfahren. Und vielfach können wir sie nicht richtig einordnen. Auch ich habe lange nicht gewußt, daß einer Redensart meines Großonkels Paul Laue, "Du kemmst uute Angst nicht ruut: Em Sommer bletzt et un em Winter motst enne School", ein Erlaß der preußischen Kultusverwaltung von 1872 zugrunde lag, der es den Volksschülern auf dem Lande ermöglichte, sich im Sommerhalbjahr vom Unterricht befreien zu lassen, damit sie bei der Hofarbeit helfen konnten.

Anders als Volksschüler auf dem Lande erlebten die Schüler der städtischen Gymnasien und Oberrealschulen ihr vormittägliches Dasein. Hier konzentrieren sich die mündlichen Überlieferungen auf die räumlichen Zustände, das Wesen der Lehrkräfte und die "Wipkes on Zatzkes" der zum großen Teil schon etwas älteren Schülerschaft. Die Erinnerung vergoldet manches, wenngleich die Sitten streng waren und die Methoden vielleicht oft als ungerecht empfunden wurden. Ein Beispiel aus der Hindenburg-Oberrealschule in Königsberg, die mein Vater Hans-Heinz Perrey (Schülername "Moppel") in der zweiten Hälfte der 20er und Anfang der 30er Jahre besuchte, soll das verdeutlichen.

Die Form der Anrede war zu jener Zeit in der Schule von großer Bedeutung. Schüler wurden regelmäßig nur mit dem Nachnamen angesprochen, Lehrer mit ihrem Dienstgrad. "Herr Studienrat" war also die gängigste Anrede. Ein an der Hindenburg-Oberrealschule tätiger ehemaliger Berufssoldat empfand den "Herrn Studienrat" jedoch als Zumutung, die er regelmäßig mit "’nem Mutzkopf" und den Worten quittierte: "Für dich bin ich Herr Major, verstanden?!" Worauf die Antwort "Jawohl, Herr Major" erwartet wurde.

Mein Klassenleiter auf der Oberstufe des Staatlichen Gymnasiums Kiel-Wellingsdorf war Dr. Ernst Haase, ein hervorragender und sehr gewitzter Mathematik- und Physiklehrer aus Königsberg, bei dem wir uns "keine Schwachheiten" erlauben konnten. Dr. Haase war mit meinem Vater gleichaltrig, hatte aber in Königsberg in der Burgschule sein Abitur abgelegt. Manchmal berichtete er der Klasse aus seiner ostpreußischen Schulzeit. Sein eigener Physiklehrer mußte wohl aus einem anderen Holz geschnitzt gewesen sein als er selbst. War es doch zum Gaudium der Schüler während des Unterrichts möglich, eine Murmel durch den Physikraum rollen zu lassen, was natürlich zur Unterrichtsunterbrechung führte. Wann immer ein Schüler beim wiederholenden Abfragen nicht weiter wußte, pflegte der Physiker nachzuhaken: Und dann? Wie ging’s dann weiter?" Worauf irgend jemand aus der Klasse trocken anmerkte: "Und dann kam die Murmel!"

An der Burgschule war es Brauch, den Lehrern in der Nacht zum 1. Mai vor dem Hause ein Ständchen zu bringen. Besagter Physiklehrer, so berichtete Dr. Haase, war dreimal "vergessen" worden, worüber er sich bei den Schülern beschwerte. Zum folgenden Termin sang man nun viermal "Der Mai ist gekommen" – jeweils im Abstand von einer halben Stunde, was dem Burgschul-Studienrat dann – schon wegen der Nachbarn – auch nicht recht war.

Viele aus der Erlebnisgeneration – unter ihnen auch alle hier Genannten – können zum ostpreußischen Schulleben nicht mehr befragt werden. Doch gibt es sicher eine ganze Reihe ein wenig jüngerer Ostpreußen, die noch Auskunft geben könnten. Der Verfasser, heute selbst Gymnasiallehrer (und vom Studium her auch Volkskundler), würde sich über schriftliche Darstellungen oder über mündliche Aufnahmen auf Kassette – jeweils mit Orts-, Zeit- und Namensangaben – sehr freuen, um das Schulleben Ostpreußens nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Freundliche Mitteilungen bitte an Peter Perrey, Virchowweg 22, 31535 Neustadt.