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17.02.01 Einsame Spitze: Rekordarbeitslosigkeit im südlichen Ostpreußen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. Februar 2001


Die Schonfrist ist zu Ende
Einsame Spitze: Rekordarbeitslosigkeit im südlichen Ostpreußen

Polen hat einen leichten Anflug von Schnupfen und schon bekommt Ostpreußen Lungenentzündung, so stöhnt man in der Allensteiner Region. An Hiobsbotschaften über steigende Arbeitslosigkeit ist man gewöhnt, aber jetzt gab es noch eins drauf, denn man weiß schon, daß es noch schlimmer kommen wird. Auch in Zukunft wird weiterhin jede Statistikverkündung einen neuen historischen Rekord bringen.

Das Jahr 2000 war ein schwarzes Jahr, denn schon jeder vierte im südlichen Ostpreußen sucht Arbeit, bestätigen die jüngsten Zahlen vom Landesarbeitsamt (KUP) und dem Statistischen Hauptamt (GUS). Überhaupt: noch nie waren so viele Menschen in der Region ohne Arbeit, in manchen Kreisen stieg die Arbeitslosigkeit binnen eines Jahres um elf Prozent und erreichte für Ermland und Masuren die Rekordzahl von 24,5 Prozent. Zunehmend trifft es die masurische Jugend, jeder dritte Schulabsolvent findet keinen Job, und dieses Problem wird in einigen Monaten, wenn ein neuer Jahrgang von Schulabgängern auf den Arbeitsmarkt drängt, noch größer.

Damit ist die Wojewodschaft landesweit an der Spitze, die zweite Position belegt mit weitem Abstand das westliche Hinterpommern, das eine Arbeitslosenquote von 20,5 Prozent hat und mehr als fünf Prozent über dem Landesmittel.

Auf 15 Prozent ist die Arbeitslosenquote landesweit gestiegen, nachdem sie vor einem Jahr bei 13,1 Prozent gelegen hatte. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen im Lande beträgt 2,7 Millionen, das sind gut 350 000 mehr als im Dezember des Vorjahres.

Zwar hat man insgesamt immer noch ein Wirtschaftswachstum von gut vier Prozent, muß nun aber selbst die Erfahrung machen, die für die Länder der Europäischen Union schon Alltag ist: es gibt seit den 80er Jahren kein Industrieland mit real wachsender Beschäftigung, auch östlich der Oder hat man es in dieser Hinsicht nicht besser.

Eine dreißigprozentige Überbeschäftigung mußte abgebaut werden, und die in den Privatisierungsverträgen garantierten mehrjährigen Schonfristen enden jetzt, weitere Freistellungen sind zu erwarten. Zusätzlich wird ein demographisches Hoch den Arbeitsmarkt weiter belasten, 1,5 Millionen junge Arbeitskräfte werden in den nächsten fünf Jahren aus den Schulen auf den Arbeitsmarkt drängen, so viel wie nirgends sonst in Europa. Patentlösungen hat auch hier niemand. Bisher wurden öffentliche Gelder hauptsächlich in die soziale Abfederung gesteckt, überdies ist die nicht eben riesige Summe für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen um 500 Millionen auf 1,4 Milliarden Zloty abgespeckt worden.

Der Wirtschaftsboom des Landes konzentriert sich auf Zentralpolen, die Wojewodschaften Masowien, Podlasien und Großpolen haben alle eine unterdurchschnittliche Arbeitslosenzahl. Am besten gestellt sind die boomenden Städte wie Warschau, das mit 3,34 Prozent Arbeitslosen faktisch Vollbeschäftigung hat. Nirgends jedoch ist es flächendeckend so extrem wie in Ostpreußen, wo die Arbeitslosigkeit eineinhalbmal höher ist als im Landesdurchschnitt, mit Ausnahme der Stadt Allenstein, die nur 9,7 Prozent Arbeitslose zählt.

Die Gründe? Hier in Ostpreußen gehörte etwa die Hälfte des Bodens den landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaften PGR, die individuelle Landwirtschaft besteht überwiegend aus Minihöfen von um die sieben Hektar Größe, die man eher der Selbstversorgung zurechnen muß, obwohl immer noch mehr als jeder vierte angibt, sein Einkommen aus der Landwirtschaft zu beziehen. Es gibt kaum Industrie, und große Entlassungswellen in der Region fanden nicht statt, denn es gibt kaum größere Betriebe, die Tausende entlassen könnten. Wenn allerdings Firmen wie der koreanische Autohersteller Daewoo und damit auch die Zulieferbetriebe um Elbing und Lyck ins Wanken geraten, hat das ein großes Beunruhigungspotential. Auch liegt der Bildungsstand der Bevölkerung weit unter dem Landesdurchschnitt, vor allem berufliche Qualifikationen fehlen, mögliche Investoren finden nicht genügend gut ausgebildete Mitarbeiter. Entsprechend sieht auch die Struktur der Arbeitslosigkeit aus, 48 Prozent stellt die Landbevölkerung, 6,2 Prozent sind Schulabgänger, und nur jeder fünfte hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, der Rest lebt von Sozialhilfe.

Besonders schlimm steht es um die Kreise Braunsberg mit 30,9 Prozent und Bartenstein mit 32,9 Prozent Arbeitslosen. In Bartenstein erwartet die Leiterin des Kreisarbeitsamtes, Bozena Olszewska-Switaj, obendrein noch Entlassungen bei den Energiebetrieben und im Sog davon auch bei weiteren kleineren Firmen. Die Leiterin des Braunsberger Kreisarbeitsamtes, Ewa Bartucka, bemängelt, daß im Jahre 2000 dreimal weniger Arbeitslose als im Vorjahr von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen profitieren konnten. Beide Amtsvorsteherinnen klagen über einen Zustand, der im südlichen Ostpreußen allgegenwärtig ist: die chronische Knappheit in den Kassen der Arbeitsämter in der Region, die mittlerweile einen Schuldenberg von 43 Millionen Zloty angehäuft haben.

Die Kreisarbeitsämter werden von der polnischen Sozialversicherung ZUS an den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrieben. Da die meisten Dienststellen Beiträge nicht mehr abführen können, blockiert die ZUS deren Konten, sobald dort Geld vom Landesarbeitsamt eingegangen ist. Um zahlungsfähig zu bleiben, mußten Landräte Kredite für ihre Arbeitsämter aufnehmen, die nun bald zurückgezahlt werden müssen, in Lyck wurde gar die Einrichtung verpfändet, um die Beihilfen für die über 10 000 Arbeitslosen zahlen zu können.

Ein bedenklicher Kreislauf beginnt, denn eingespart werden können die Mittel fast nur bei den Arbeitsförderungsmaßnahmen, die ohnehin immer seltener von Warschau finanziert werden – 25 000 solcher geförderter Arbeitsplätze stehen auf der Kippe. Die Probleme des Gebietes sind nicht neu, es mangelt in Warschau an einer Konzentration der Mittel auf derart strukturschwache Gebiete. Einer gibt dem anderen dafür die Schuld: Präsident Kwasniewski schiebt alles auf die Versäumnisse der AWS-Regierung, der Wojwode Zbigniew Babalski (AWS) betont, er habe keine eigenen Instrumente und beschuldigt den Marschall Andrzej Rynski, kaum geeignete Maßnahmen ergriffen zu haben. Rynski wiederum erinnert an die Mittelbeschneidung der Warschauer Regierung, die keine aktive Arbeitsmarktpolitik mehr zulasse.

Was kann getan werden? Niemand hat das goldene Patentrezept in der Schublade, nur ein abgestimmter, langfristiger Maßnahmenkatalog kann helfen. Dazu, da ist man sich einig, sollte unbedingt eine Reform des Abgabenwesens mit einem Abbau bürokratischer Hemmnisse, die ersatzlose Streichung des Wustes von Vorschriften für Kleinunternehmer und die Schaffung eines günstigen Investitionsklimas gehören, wie es auch der Osteroder Landrat Jan Antochowski fordert, in dessen Gebiet es auch fast 30 Prozent Arbeitslose gibt.

Außerdem wäre es sinnvoll, eine Senkung der Mindestlöhne für Berufsanfänger einzuführen, denn Untersuchungen ergaben, daß eine Lohnsenkung von zehn Prozent eine Senkung der Arbeitslosenzahlen in der Altersgruppe zwischen 18 und 24 um sechs Prozent bringen könnte. Ferner sollten Zeitverträge möglich sein und Überstunden erschwert werden, vor allem aber muß ein Beschäftigungsprogramm her. Wichtig wäre auch eine Reform der Schullehrpläne, damit die Jugend den Anforderungen des Berufslebens besser genügt. Besonders für Masuren ist die Errichtung eines Weiterbildungsprogramms in der Erwachsenenbildung von Bedeutung, damit der Qualifikationsstandard gehoben wird. Letztlich beheben kann die strukturellen Probleme der Region auf Dauer aber nur ein funktionierender Finanzausgleich zwischen den Wojewodschaften in der Art des deutschen Länderfinanzausgleiches.

Passiert weiterhin wie bisher nichts, droht die Region – jetzt schon die ärmste Wojewodschaft im ganzen Land – vollends zum Armenhaus zu werden. BJ