26.04.2024

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17.03.01 Siegmar Faust über das Leben des Leipziger Malers Dietrich Gnüchtel (Teil II)

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. März 2001


Die Farben verblaßten hinter Gittern
Siegmar Faust über das Leben des Leipziger Malers Dietrich Gnüchtel (Teil II)

Obwohl sich 1977 der bekannte Kunsthistoriker Professor Max Kober, der sich ebenfalls als inoffizieller Stasi-Mitarbeiter betätigte, dafür aussprach, ihn trotz seiner abstrakten Gestaltungsweise als Kandidaten des Künstlerverbandes aufzunehmen, wurde ihm selbst noch 1986 in einem Ablehnungsbescheid vorgeworfen, daß sich seine Arbeiten, "die sich ästhetisch anspruchsvoll darstellen", nur "schwerlich mit dem Verbandstatut in Einklang bringen" ließen, das bekanntlich ein Bekenntnis "zur Methode des sozialistischen Realismus" einschloß. Ein Jahr darauf hieß es plötzlich: "Obwohl die vorgelegten Blätter keine gegenstandsbezogenen Arbeiten waren, ließen sie eine intensive Beschäftigung mit dem künstlerischen Gegenstand erkennen. Die Arbeiten wirken folgerichtig und ernsthaft, enthalten erfrischende Anregungen. Spannungen und Kontraste sind so eingesetzt, daß ein Ganzes entsteht, das in sich folgerichtig und reich erscheint."

So konnte er endlich im Juli 1987 mitteilen: "Ich bin froh, nach ca. 15-jährigem Bemühen Kandidat des Berufsverbandes geworden zu sein. Es geht mir darum, daß ich meine Arbeiten der breiten Öffentlichkeit z. B. durch Ausstellungen zeigen kann und gelegentlich Bilder verkaufen darf. Dazu bin ich aber nur legitimiert, wenn ich als anerkannter Maler + Grafiker dem VBK angehöre. Ich habe lange Jahre ohne diese Legitimierung gearbeitet und Du kannst Dir ja unschwer vorstellen, daß ich es leid bin, ohne die minimale Anerkennung meiner Arbeit leben zu müssen ..."

Sein Ringen um die volle Mitgliedschaft ging dann nach 17jährigem Kampf zu Ende, doch da war die DDR selber mit sich am Ende. Er hingegen war längst zu einer Leipziger Lokalgröße herangereift; besonders unter Angehörigen westlicher Botschaften wurde er geschätzt. Bildverkäufe brachten damals, noch vor der Währungsunion, fünfstellige DM-Erträge ein. Der Bonus, der vorübergehend einigen ungehorsamen Malern der DDR eingeräumt worden war, brauchte sich allerdings schnell auf. Der Kunstalltag samt Galleristen, Markt und dem Mediengebaren im vereinten Deutschland, so mußten viele Künstler erkennen, ist auf andere Art hart und launisch. Doch erst vor dem Hintergrund der Zustände im Sozialismus lassen sich die künstlerischen Lebensleistungen solcher schöpferischer Menschen, die nicht zu den Staatskünstlern der zweiten Diktatur in Deutschland gehörten, einordnen und würdigen.

Als ich nach langer Abwesenheit von Leipzig erste Fotos von einigen seiner Gemälde in die Hände bekam, war ich zunächst erschüttert. 1971, kurz vor meiner ersten Inhaftierung, schwelgten wir noch in seinem Farbenrausch. Er hatte die Wiener "Phantastischen Realisten" entdeckt und war besonders von Wolfgang Hutters Arbeiten begeistert, die in Form eines von der Buchmesse  geschmuggelten Kunstbandes in seine Hände gelangt waren. Jahre später war in seinem Schaffen nichts mehr von dieser Farbekstase zu entdecken. Der zerstörte Freundeskreis, die Beschäftigung mit Yoga, eine notwendig gewordene Psychotherapie, der Gärtnerjob und der rasant fortschreitende Verfall seiner Heimatstadt spiegelten sich nun in düsteren, erd- und schmutzigfarbenen Bildern und Grafiken sowie in Collagen wider, die buchstäblich aus erbärmlichen Fundstücken zusammengesetzt schienen. Immer wieder bat er in Briefen um Belege und Neuigkeiten aus der westlichen Kunstszene, suchte also geistige Nahrung, um die Notzucht durch die ihn umgebende Wirklichkeit und sein Außenseiterdasein besser ertragen zu können. Allmählich hellte sich seine Palette in den neunziger Jahren etwas auf, obwohl er aus finanzieller Not in Herrgottsfrühe die Mühe eines Zeitungsausträgers auf sich nehmen mußte. Das diesjährige Einjahresstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Else-Heiliger-Fonds wurde nicht nur dem Jugendfreund, sondern vor allem einem würdigen Meister der meditativen Malerei zuerkannt, der es verdient hat, über Sachsen hinaus bekannt gemacht zu werden.

Dietrich Gnüchtel zu seiner künstlerischen Aufgabe: "Ich möchte versuchen, die Einheit zwischen biologischer und sozialer Existenz anschaulich zu machen und auf Teilzusammenhänge  innerhalb der Komplexität menschlichen Lebens hinweisen, die in unserer schnellebigen Zeit vergessen und unbeachtet scheinen. Die kulturelle Entwicklung war ohne die enge Verbundenheit von Mensch und Natur nie möglich und wird auch nie möglich sein." Schluß