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24.03.01 Was die "Gründerväter" wirklich wollten: Wohlstand für alle, aber keine Wohlstandsdiktatur

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. März 2001


Was die "Gründerväter" wirklich wollten: Wohlstand für alle, aber keine Wohlstandsdiktatur:
Das Credo der sozial Marktwirtschaft
Arnd Klein-Zirbes stellt neue Bücher zu einem alten Thema vor

Alexander Rüstow, einer der geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft, hat einmal festgestellt, zum Studium der Ökonomie von Karl Marx benötige man höchstens zehn Minuten, zum Studium der Sozialen Marktwirtschaft jedoch zehn Semester. Dies paßt mit dem Anspruch unserer Zeit, alles im mediengerechten Dreiminutentakt erklären zu wollen, nicht zusammen. Da Politiker und Medien scheinbar alles in kurzer Zeit darstellen können, verbreitet sich zunehmend in unserer Gesellschaft das Grundgefühl, auch auf komplexe Fragen und Probleme gebe es kurze und einfache Antworten und Lösungen. "Soziale Marktwirtschaft" ist ein Schlagwort geworden, das nahezu alle politischen Parteien im Munde führen.

Nach Ansicht vieler ist darunter ein Wirtschaftssystem zu verstehen, in dem der Staat so viel an wohlfahrtsstaatlicher Umverteilung gewährleistet, wie es vertretbar erscheint. Demnach ist der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" ein genialer Einfall des politischen Marketing. Marktwirtschaft wird schließlich vom Preis geprägt, mit Solidarität hat das nichts zu tun. Aber Marktwirtschaft kann sozialen Zwecken dienen. Die Frage, was sozial ist, bleibt jedoch offen: Meint es das "Ausputzen" von Marktversagen, etwa im Bereich des Umweltschutzes? Oder meint es – wie Lorenz von Steins im Zusammenhang mit dem sozialen Königtum formuliert hat –, daß der Staat einen Ausgleich zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen schaffen muß, um den Staatsverband für diese weiter nützlich erscheinen zu lassen? Oder ist damit gemeint, der Staat soll wie ein Generalversicherer für alle Unwägbarkeiten einstehen, dem Bürger quasi eine kommode Wohlstandsdiktatur sein?

Wer sich ernsthaft mit der Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft beschäftigen will, dem sei zur Lektüre an kalten Winterabenden Band 5 der Alfred Weber Gesamtausgabe (Metropolis-Verlag, Marburg 2000) empfohlen. Alfred Weber und sein älterer Bruder Max Weber setzten sich vor dem Ersten Weltkrieg im "Verein für Socialpolitik" nachdrücklich für soziale Reformen und die Emanzipation der deutschen Arbeiterklasse ein. Im November 1918 wurde Alfred Weber Mitbegründer und erster Vorsitzender der liberalen Deutschen Demokratischen Partei, trat aber bereits Ende Dezember von allen seinen Ämtern zurück. Im Zweiten Weltkrieg stand er durch seine Schüler Carlo Mierendorff und Theo Haubach in Kontakt mit dem "Kreisauer Kreis" der Widerstandsbewegung. Nach 1945 trieb es ihn wieder in die Politik, diesmal zu den Sozialdemokraten. Alfred Weber lehnte Adenauers Politik der Westintegration scharf ab und verfocht in enger Zusammenarbeit mit Erich Ollenhauer und Fritz Erler eine neutralistische Position: Deutschland sollte wiedervereinigt werden, aber aus den entstehenden Militärblöcken ausgeklammert bleiben.

Schriften wie die "Examensfragen an Hitler" belegen Webers mutigen Geist. Er widerlegt die auch heute noch zu findende These, die Nationalsozialisten hätten ein schlüssiges Wirtschaftskonzept entwickelt. Die Behauptung, Hitler habe eine Art Vulgär-Keynesianismus verfolgt, erscheint im Nachgang zur Lektüre Webers geradezu grotesk.

Schließlich sind es nicht zuletzt die dokumentierten Auseinandersetzungen mit Werner Sombart ("Wandlungen des Kapitalismus"), die diesen Band lesenswert machen. Apropos Sombart: Auch in diesem Zusammenhang hat sich der Metropolis-Verlag verdient gemacht und den Sammelband "Werner Sombart (1863–1941) – Klassiker der Sozialwissenschaften – Eine kritische Bestandsaufnahme" auf den Markt gebracht. Um den Ausnahmewissenschaftler Sombart, der zunächst ein glühender Anhänger marxistischer Theorien war und der sich später im weltanschaulichen Dschungel des Nationalsozialismus verfing, kam es Anfang der neunziger Jahre zu einem Mikro-Historikerstreit. Wolfgang Drechsler geht explizit auf den Streit ein. Er konstatiert, der Sombart-Streit habe ebenso wie die Goldhagen-Debatte, die Diskussion um das Schwarzbuch des Kommunismus und die Walser-Debatte oder die Auseinandersetzung um Peter Sloterdijks Elmau-Vortrag "indikative Qualitäten hinsichtlich der deutschen Befindlichkeit". Sombarts Soziologie sei nach dem Zweiten Weltkrieg im Gegensatz etwa zur Bedeutung von Martin Heideggers oder Carl Schmitts Denken für deren Gebiete erstaunlicherweise nicht mehr attraktiv gewesen. Eine Erklärung für den schwierigen Umgang der Wissenschaft mit Sombart sei, "daß zumindest in Deutschland Auschwitz die Linse ist, durch die alles Deutsche vor und nach dieser Zeit gesehen wird". Unstrittig bleibt: Sombarts opus magnus, "Der moderne Kapitalismus" (1927 fertiggestellt), ist der fundamentale Versuch, "die Entwicklung des Kapitalismus als historisches Phänomen mit bestimmten politischen, kulturellen und ökonomischen Eigenschaften zu erfassen" (Helge Peukert).

Sombart hat entscheidend zum Entstehen der Sozialen Marktwirtschaft beigetragen. Diese stellt sich heute wie ein Kunstwerk dar, das von alten Meistern erschaffen wurde und heute Raum läßt für viele Interpretationen – auch für die von Dilettanten und selbsternannten "Experten". Die Botschaft der Gründungsväter war es zweifelsohne, einen Staat zu schaffen, der auf einer menschenwürdigen Ordnung beruht und gegen organisierte Interessengruppen immunisiert, also stark ist. Sozial kann in diesem Sinne nur heißen, daß der Staat allen Hilfe zur Selbsthilfe gewährt "und niemand zum Empfänger von wohlfahrtsstaatlicher Fremdhilfe degradiert wird" (Heinz Grossekettler).

Freilich hat nicht jeder Zeit und Muße, sich ausgiebig mit den Klassikern der Sozialen Marktwirtschaft zu beschäftigen. Wer die aktuelle Bedeutung dieses Wirtschaftskonzepts dennoch verstehen will, dem sei das im Carl Ueberreuther Verlag (Frankfurt a.M./Wien 2000) erschienene Buch "So funktioniert die Wirtschaft – Klassische Fragen und neue Antworten" empfohlen. Der Autor Werner Vontobel schreibt so prägnant, daß selbst Juristen dieses Buch begreifen sollten. Er geht politisch relevante Fragen direkt an und liefert konkrete Antworten. Dabei deckt er viele interessante Zusammenhänge auf, die verborgen bleiben, wenn man Wirtschaftspolitik nur über Tageszeitungen, Radio und Fernsehen verfolgt. Am Beispiel der Diskussion um die Rentenpolitik, in der im übrigen konsequent der zu erwartende Produktivitätsfortschritt ignoriert wird, verdeutlicht Vontobel, "daß soziale Veränderungen immer sehr unterschiedlich dargestellt werden können. Hier unzumutbare Beitragserhöhung, dort Verteilung von Überfluß. Allerdings ist die Darstellung nicht ohne Einfluß auf den Gang der Dinge."

Wer sich mit der Zukunft der Wirtschaft und "new economy" beschäftigen will, kann auf das ebenfalls im Ueberreuther Verlag herausgegebene Buch von Klaus Balzer "Die McKinsey Methode – Die 10 Erfolgsgeheimnisse der gefragtesten Unternehmensberatung der Welt" zurückgreifen. Hier wird der Wandel der Wirtschaft in Zeiten der Globalisierung plakativ beschrieben und die Rezepte der bestbezahlten Berater der Welt erklärt. Allerdings ist das Buch so voller Lob für die Beratergesellschaft, daß es wie eine Auftragsarbeit daherkommt. Ein McKinsey-Berater hat aber glaubhaft versichert, dies sei keineswegs der Fall.