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14.04.01 Wie unser Sozialsystem vor dem Zusammenbruch bewahrt werden kann

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. April 2001


Rentenreform:
Alt und Jung – Konsens statt Konflikt
Wie unser Sozialsystem vor dem Zusammenbruch bewahrt werden kann
von R. G. Kerschhofer

Demographie und Mathematik beweisen, daß das heutige Pensionssystem auf Dauer unfinanzierbar ist. Trotzdem wagt man kaum, sich zu mehr als bloß kosmetischen Korrekturen aufzuraffen: Denn kürzt man die Renten, verliert man die Wahlen, erhöht man die Beiträge, ebenso, und setzt man das Antrittsalter hinauf, dann erst recht. (Da ist man obendrein noch an Jugend- und Altersarbeitslosigkeit schuld!)

Die Gefälligkeitsdemokratie redet zwar ständig von "Werten", hat aber längst kein Wertesystem mehr und vermag daher nur in Kategorien der Umverteilung zu denken – quantitativ und kurzsichtig. Erforderlich sind jedoch nachhaltige Lösungen, und diese wiederum erfordern eine nach-haltige Interessengemeinschaft, nicht bloß eine "Bevölkerung" mit zufälligen Einzelinteressen. Einer nachhaltigen Sanierung hat deshalb ein Prozeß der Bewußtseinsbildung voranzugehen: Der breiten Öffentlichkeit müssen wieder jene elementaren Zusammenhänge in Erinnerung gerufen werden, die der "Sozialstaat" vergessen ließ oder gar zu kappen vermochte.

Daß wir ein Pensionssystem brauchen, scheint unumstritten, – aber ist es das wirklich? Schon wird in der Wohlstandsgesellschaft über Euthanasie nicht mehr nur diskutiert: Es gibt sie bereits – teils offiziell, teils unter medizinischen "Indikationen". Und demselben Geist entspringt das in Amerika bekannte "Granny dum-ping", das Aussetzen der überflüssigen Oma irgendwo am Straßenrand. Nur vordergründig geht es also um die monatlichen Rentenzahlungen: In Wahrheit geht es um Altersversorgung, und Aus-gangspunkt der Überlegungen muß daher die Frage sein, wie und unter welchen Voraussetzungen diese früher funktionierte.

Nun, bei allen höheren Lebewe-sen ist (selbstlose) Brutpflege instinktmäßig angelegt – andern-falls würde die Art aussterben. Genetische Grundlagen für eine "Dankbarkeit" der Jungen oder gar für eine Versorgung der Alten scheint es aber nicht zu geben. Daß solches bei der Spezies Mensch trotzdem vorkommt, hängt mit einer anderen gene-tisch angelegten Fähigkeit zu-sammen, der Sprache: Sie ermöglicht Beziehungen, die über "Fellpflege" weit hinausgehen, und sie ist ein von der Situation unabhängiges Mittel zur Weiter-gabe von Wissen. Etwas verein-facht: Der alte Jäger und die alte Sammlerin sind für die Sippe auch dann noch wertvoll, wenn sie selber nicht mehr jagen und sammeln können! Und das gilt sogar für Kinderlose.

Es zeigt sich hier, daß Gottesglaube und Evolutionslehre keine Gegensätze sind, denn wohlver-standene religiöse Gebote und wohlverstandene Naturgesetze führen in letzter Konsequenz zu den gleichen sozialen, physiolo-gischen und psychohygienischen Konsequenzen. Zugleich wird deutlich, worauf Altersversor-gung wirklich beruht: Es muß eine solidarische Beziehung zwischen den Generationen geben – und es muß eine nächste Generation geben! Gruppenzusammenhalt und Nachwuchs, das waren und sind die unabdingbaren Voraussetzungen!

Wie sieht es diesbezüglich mit den heute propagierten "Lösun-gen" aus? Betrachten wir etwa die Forderungen nach "Eigenvorsorge" beziehungsweise nach Umstellung der Rentenversicherung vom "Umlageverfahren" auf das "Kapital-Deckungsverfahren". (Was ebenfalls Eigenvorsorge ist, nämlich auf kollektiver Basis statt auf individueller.) Beide entspre-chen dem altbewährten "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not" – und beide müssen unweigerlich versagen, wenn die genannten Voraussetzungen fehlen: Selbst die dicksten Sparkonten und Rücklagen verlieren an Wert und sind im Extremfall wertlos, wenn niemand die überlebenswichtigen Waren und Dienstleistungen bereitstellt. Wo kein Jungbauer den Hof übernimmt, bleibt im Altenteil der Teller leer!

Das führt gleich zum Themen-kreis "Zuwanderung", einem idealen Biotop für Widersprüchlichkeiten aller Art: Ständig wird betont, wie moralisch die Aufnahme von möglichst vielen mittellosen Fremden sei, und zugleich heißt es, daß wir die Zuwanderer brauchen, damit sie unsere Pensionen finanzieren! Gewiß, auch der zweiten These kann man Moral überstülpen und eine Pflicht zur Dankbarkeit einmahnen. Doch stimmt es überhaupt, daß "die Ausländer" mehr einzahlen, als sie herauskriegen?

Sicher gibt es welche, die Sozi-alversicherung bezahlen und vor Erreichen einer Anwartschaft in ihre Heimat zurückkehren. Es scheint jedoch niemanden zu stö-ren, daß von solch "verlorenen" Anwartschaften auch eine zwei-te, viel größere Gruppe betroffen ist: Frauen, die nach dem Kinderkriegen nicht in den Beruf zurück-kehren! Sofern aber eine Anwartschaft entsteht, wird sie – außer bei Frühverstorbenen ohne Unterhaltsverpflichtung – als Alters- oder Hinterbliebenenrente eingelöst. Und solange das System zuschußbedürftig ist, kriegen alle Versicherten mehr heraus, als sie einzahlen – unabhängig von Herkunft und Paß.

Aber wie wäre das in einem Sy-stem, das nicht von offenen oder verschleierten Zuschüssen ab-hängig ist? Könnte Zuwanderung dann die Pensionen sichern? Es sind hier zwei Gruppen zu unter-scheiden: Einmal jene, die aus eng verwandten Kulturkreisen kom-men und problemlos integrierbar sind. Deren "Reproduktionsrate" ist allerdings noch niedriger als unsere, und die von ihnen erwor-benen Anwartschaften müßten daher durch eine exponentiell wachsende Zuwanderung abge-deckt werden! Ein echtes Pyramidenspiel!

Die andere Gruppe stammt aus Kulturen, in denen nach wie vor jeder weiß, daß die eigene Altersversorgung nur durch Sippenzusammenhalt und Nachwuchs gewährleistet ist. Mit solchen Zuwanderern läßt sich das Sy-stem aber erst recht nicht sanie-ren: Denn sollten tatsächlich so viele kommen, daß die Alterspy-ramide wieder paßt, werden sie früher oder später unsere Gesetze ihrer Parallelkultur anpassen, nicht umgekehrt! Warum sollten sie, die genügend eigene Kinder haben und sich um die eigenen Alten kümmern, auch noch jene "Fremden" durchfüttern, die sich von Roßtäuschern zur Minderheit im eigenen Lande machen ließen? Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Die Aus-länder-Argumente sind schlicht-weg falsch, denn wo Gruppenzu-sammenhalt oder Nachwuchs fehlen, gibt es auf Dauer keine Altersversorgung. Punktum.

Als christlich-konservative Po-litiker den Grundstein für das legten, was später zum "Sozialstaat" entartete, wollten sie die gesellschaftszerstörenden Auswirkungen des Manchester-Liberalismus bekämpfen: "Sozialversicherung" sollte die Härten des Einzelschick-sals mildern, ohne die Einzelverantwortung aufzuheben. Die (bescheidene) Altersversorgung im Umlageverfahren schien durch einen erweiterten Gruppenzusammenhalt ("Volk") und durch reichlich vorhandenen Nachwuchs gesichert. Aber genau diese Grundlagen wurden seit 1918 durch Schockerlebnisse und Umerziehung unterminiert: Ungezügeltes Anspruchsdenken ließ die Sozialversicherung zum defizitären Selbstbedienungsladen werden.

Nicht zuletzt liegt das auch dar-an, daß jede Versicherung eine fatale Nebenwirkung hat: Sie korrumpiert! Der Versicherte wird verleitet, sich auf Kosten der (anonymen!) Solidargemeinschaft zu bereichern und die Risiko- beziehungsweise Schadensbegrenzung zu vernachlässigen. Das macht die Versicherung zwangsläufig im-mer teurer, bis sich die "Besseren" entschließen, das Risiko selber zu tragen, weil das für sie billiger ist. Sobald aber die "guten Risiken" aussteigen, wird die Versicherung insgesamt zu teuer, und das System bricht zusammen. Um diesen als "Antiselektion" bekannten Teufelskreis zu vermeiden, hat die Privatversicherung zwei bewußtseinsbildende Maßnahmen erfunden, eine möglichst risikoadäquate Prämienbemessung (zum Beispiel das "Bonus/Malus-System") und eine Schadensbeteiligung ("Selbstbehalt"). Beide bewirken, daß der Versicherte sich selber schadet, wenn er gegen die Interessen der Solidargemeinschaft handelt.

Ohne vergleichbare Maßnahmen wird auch die Sozialversiche-rung nicht zu halten sein: Die unzureichende Geburtenrate ist der empirische Beweis für Antiselektion! Da man bei der Pflichtversicherung nicht einmal aussteigen kann, wird man geradezu angespornt, sich ebenfalls unsozial zu verhalten, und dieser Effekt untergräbt dann, wie oben dargelegt, sogar die Eigenvorsorge. Unabhängig von direkten Maßnahmen zur Geburtenförderung, die quasi als "Kostenersatz" konzipiert sind, muß es sich für die Alten lohnen, Kinder gezeugt, geboren und zu verantwortungsbewußten Staatsbürgern erzogen zu haben. Nur dann wird bei den Zeugungs- und Gebärfähigen wieder jenes Verhalten einkehren, das den Fortbestand der Gemeinschaft und die Altersversorgung sichert!

Wie läßt sich das in die Praxis umsetzen? Die Rentenhöhe muß durch zwei Komponenten be-stimmt sein: Die Basisrente ist – wie bisher – aus dem zu errech-nen, was die Versicherten (beziehungsweise deren Ehepartner) im Laufe des Lebens einzahlen. Darüber hinaus ist ein Zuschlag einzuführen, der sich aus dem errechnet, was die im Inland wohnenden Nachkommen (oder deren Ehepartner) laufend zum Sozialprodukt beitragen. Der Zuschlag ist – dem Wesen der Sozialversicherung entsprechend – betrags- und prozentmäßig nach oben zu deckeln und alljährlich aus dem deklarierten Bruttoeinkommen der Nachkommenschaft neu zu errechnen. Da alle erforderlichen Daten bei Finanzämtern und Sozialversicherern bereits elektronisch erfaßt sind, hielte sich der administrative Mehraufwand in Grenzen und würde durch den Nutzen – "zukünftige Steuer- und Beitragszahler" – um ein Vielfaches wettgemacht.

In der Umstellungsphase sind zunächst alle Pensionen einzufrieren – als künftige Basisrenten. Die Familienzuschläge sind schrittweise aufzubauen, bis das angestrebte Niveau erreicht ist, und erst dann kann es wieder allgemeine Anpassungen geben. Selbst bei einer Umstellungspha-se von zehn oder fünfzehn Jahren würde die bewußtseinsbildende Wirkung sofort mit Gesetzwer-dung eintreten.

Ein weiterer fiskalischer Aspekt: Es heißt, daß wir mit dem überzogenen Sozialsystem unseren Nachfahren eine Hypothek aufbürden. Stimmt – doch sie erben auch mehr als je eine Generation zuvor! Das Problem dabei ist allerdings die Umverteilung zu Lasten der Kinderreichen: Denn Erbschaften stammen heute zum großen Teil aus den Ersparnissen von Rentnern und Pensionären. Ein Einzelkind mit kinderlosen On-keln und Tanten erbt also viel, in kinderreichen Familien hingegen erbt man wenig, obwohl man die Renten der Kinderlosen mitfinanziert. Als weitere bewußtseinsbildende Maßnahme ist daher eine kumulative Erbschaftssteuer zu fordern, die nur für das gilt, was nicht in direkter Linie vererbt oder geschenkt wird.

Wenn wir aber davon ausgehen, daß die Pensionen teilweise bei den Erben landen, also "zu hoch" waren, und weiter, daß die Renten durch Pflichtbeiträge der Arbeitgeber mitfinanziert werden, dann wäre es nur konsequent, die Erbschaftssteuer in den Kreislauf zurückfließen zu lassen und für die Altersversorgung heranzuziehen. Konkret hieße das: Zweckbindung der Erbschaftssteuer zur Reduktion der ominösen Lohnnebenkosten.

Nun noch zum Überlebensfaktor Gruppenzusammenhalt, der heute so vielfältig bedroht ist, daß hier nur ein paar Denkanstöße geliefert werden können. Wohlgemerkt, es geht nicht um den Generationenkonflikt an sich, der etwas Natürliches ist. Es geht vielmehr um all das, was die notwendige Abnabelung und Selbstfindung mutwillig erschwert oder irreparable Schäden hinterläßt.

Ursprünglich kamen Wissen und Lebensweisheit vorwiegend von den Älteren der eigenen Gruppe und wurden so zur Grundlage für Respekt und Dankbarkeit. Das änderte sich nicht, als Kirche, Schule, Militär etc. auf den Plan traten, denn sie alle handelten in der Regel als verlängerter Arm der Familie. Heute hingegen werden Kinder schon frühzeitig durch Außenstehende geprägt, werden "entfremdet". In der Schule werden sie von den Lehrern über ihre Rechte gegenüber den Eltern "aufgeklärt" und von Schulfremden über Rechte gegen die Lehrer. "Pflichten" bleiben hingegen unerwähnt oder werden negativ dargestellt.

Die Alten wiederum sind ihrer ursprünglichen Nützlichkeit weitgehend beraubt. Manche werden in Altensilos entsorgt, weit weg von den Jungen. Manche wollen sich nicht mit den Jungen herumärgern. Manche können oder wollen nicht "dazulernen" – sie lehnen technische Neuerungen ab und werden dafür auch in jenen Bereichen nicht ernst genommen, wo sie sehr wohl etwas zu vermitteln hätten. Manche aber glauben, zeitgeistig mit den Jungen um "Selbstverwirklichung" wetteifern zu müssen, und merken nicht, wie sehr sie sich dabei lächerlich machen. Und sie begreifen nicht, daß ihr Egoismus auf sie zurückfallen wird, sobald sie hilflos sind.

Jung und Alt denken aneinander vorbei, weil Halbgebildete und Ideologen den Begriffen neue – oft recht vage – Bedeutungen unterschieben. Sie reden aneinander vorbei, weil überflüssige Fremdwörter nicht verstanden werden. Sie leben aneinander vorbei, weil Geschäftemacher einen autistischen Jugendkult aufgezogen haben. Und sie werden sogar gegeneinander aufgehetzt, wie sich am Beispiel "Vergangenheitsbewältigung" zeigt.

Es muß alles darangesetzt werden, diese negativen Entwicklun-gen zu beenden und sie entweder rückgängig zu machen oder durch positive Gegenmaßnahmen zu kompensieren. Auch den Jungen muß klar werden: Die wahre Rentenreform findet im Kopf statt – denn letztlich führt diese Entwicklung ohne Gruppenzusammenhalt geradewegs hin zur Euthanasie.