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21.04.01 Plädoyer für ein echtes Familien-Wahlrecht, das auch die Kinder berücksichtigt

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. April 2001


Gedanken zur Zeit:
»Ein Mensch – eine Stimme«
Plädoyer für ein echtes Familien-Wahlrecht, das auch die Kinder berücksichtigt
von Wilfried Böhm

Die Familienpolitik in Deutschland sei nicht im Einklang mit dem Grundgesetz, stellte das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren fest, nachdem 16 Jahre die Richtlinien der Politik von einem Kanzler der CDU bestimmt wurden, die sich gern als die "Familienpartei" ausgibt. Jetzt verlangten die Richter des höchsten Gerichts im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung erneut, daß endlich mehr für die Familien getan werden müsse.

Daran schloß sich – zum wievielten Male eigentlich? – das seit Jahrzehnten eingeübte Ritual an: Palaver in den Medien mit klugen Leitartikeln und Kommentaren sowie die Versprechungen aller an der Misere schuldigen Parteien, künftig werde alles besser. Selbst die Grünen entdeckten das Thema "Kinder und Familie", so daß sich sogar ihre frühere Vorsitzende Radtke wunderte: "Dafür bin ich auf dem Parteitag in Erfurt noch ausgelacht worden." Krönung des Polit-Geschnatters war eine Erklärung des Bundeskanzlers, nach der Kinder großzuziehen "die vielleicht wichtigste und großartigste Aufgabe jeder Gesellschaft" sei. Schröder wußte auch: "Wenn Menschen gezwungen sind, zwischen einem glücklichen Familienleben und einer erfolgreichen Karriere zu wählen, haben wir alle von vornherein verloren."

Doch angesichts der jahrzehntelangen schamlosen Ausbeutung der Eltern sind die Väter und Mütter im Land mehr als skeptisch gegenüber allen politischen Märchenerzählungen. Wurde doch 1957 bei der großen Rentenreform nicht berücksichtigt, daß dieses Zwangsversicherungssystem nicht nur aus den jeweils aktuell Beschäftigten und den nicht mehr Beschäftigten bestehen dürfe, sondern daß es darüber hinaus auch Kinder gibt, die noch nicht im Erwerbsleben stehen. Die Kinder sind bis zu ihrem Eintritt ins Erwerbsleben nur ihren Eltern im wahrsten Sinne "lieb und teuer", dann aber haben sie die Leistungen für alle zu erbringen, auch für diejenigen, die sich statt für Kindererziehung mehr für Börse, Single-Trends und Urlaubsspaß auf den Bahamas interessieren. So nannte denn auch als Leserbriefschreiber in der "Welt" ein "einigermaßen konsternierter Familienvater" aus Dresden die großen Worte des "dreimal geschiedenen" Bundeskanzlers schlicht "Heuchelei". Eine Leserin aus Bellenberg fand die Kanzlerworte "unglaublich" und meinte: "Scheinheiliger geht es wirklich nicht mehr." Erinnere sie doch die Politik der SPD-Familienministerin "deutlich an die Sozialpolitik der DDR" mit Frauenarbeit und Kinderkrippen.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Schweren Zeiten geht ein Volk entgegen, in dem viele am liebsten "Spaß haben", die Abtreibungen in die Hunderttausende gehen und erwartet wird, daß Millionen eingewanderter Arbeitnehmer eine überalterte Bevölkerung ernähren. Wie, so ist zu fragen, sollen diese Probleme parlamentarisch, pluralistisch, ohne extreme Verwerfungen im Rahmen einer demokratischen Ordnung gelöst werden?

Diskussionsgrundlage dafür könnten Vorschläge sein, die schon seit Jahrzehnten erörtert werden, aber noch keinen Durchbruch in das öffentliche Bewußtsein erlangt haben: nämlich die jüngere Generation mit mehr politischer Macht auszustatten, indem jeder rechtsfähige Bürger das Wahlrecht erhält, das bis zu seiner Geschäftsfähigkeit von seinen gesetzlichen Vertretern stellvertretend wahrgenommen wird. Es sollte nicht länger hingenommen werden, daß Väter und Mütter für ihre Kinder alle möglichen Haftungen und Pflichten selbstverständlich übernehmen müssen, sie aber die politische Verantwortung im gesellschaftlichen Umfeld nicht wahrnehmen können. Dadurch bleibt es ihnen verwehrt, eine wichtige Pflicht im Interesse ihrer Kinder zu erfüllen, auf deren Wahrnehmung die Kinder jedoch ein Recht haben, weil sie mit ihrer Geburt ein Teil des Volkes sind, von dem in einer Demokratie die Staatsgewalt ausgeht.

Die Familien stellen zwar die Hälfte der Bevölkerung, aber nur ein Drittel der Haushalte und der Wähler in Deutschland. Was Wunder, wenn ihre Interessen, die für die Zukunft aller von entscheidender Bedeutung sind, allzuoft zu kurz kommen? Darum, so lauten die Vorschläge, sollen die rund 13 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren mit dem Wahlrecht ausgestattet werden, damit sie sich demokratiegerecht über die Wahlurne gegen wachsende Benachteiligungen wehren können. Niemand ist besser geeignet, eine familienfreundliche Politik herbeizuführen, als ihre Eltern, die um ihrer Kinder willen über den Tellerrand ihres eigenen Lebens hinausblicken und mit diesem Blick auf ihre Kinder und Enkel verpflichtet sind, Politik nicht nur aus der Perspektive einer einzigen Generation zu gestalten. Der Grundsatz "Ein Mensch – eine Stimme" trifft sich hierbei mit der Elternverantwortung in eindrucksvoller Weise, und in der Generationenverantwortung erfüllt sich die Demokratie als überlebensfähige politische Ordnung. Ausgeübt würde das Wahlrecht für Minderjährige entsprechend dem auch sonst bei Geschäftsunfähigen üblichen Verfahren durch deren gesetzliche Vertreter. Völlig unkompliziert empfiehlt sich die Verteilung des Vertretungsrechts je zur Hälfte auf die beiden Elternteile, bei Alleinerziehenden liegt es ganz bei diesen.

Ein stellvertretendes Wahlrecht der Eltern wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert von Carl Goerdeler, einem der führenden Männer des Widerstands gegen die Nationalsozialisten, in seinem Vermächtnis für die künftige Neugestaltung Deutschlands vorgeschlagen. Der zum Tode verurteilte schrieb 1944 im Gefängnis: "Der Familie gebührt besonderer Schutz als Zelle staatlichen und völkischen Aufbaus. Das geschieht durch Zuweisung der Erziehungsaufsicht an sie, durch die Errichtung einer Kinder-Rentenkasse, die kinderreichen Familien Renten zu Lasten Kinderloser und Kinderarmer zuweist; außerdem ist das Wahlrecht für Verheiratete mit mindestens drei Kindern bei dem Vater ein doppeltes." Diese patriarchalische Sichtweise ist natürlich zeitbedingt und keine Handlungsanweisung für die Ausgestaltung eines Familienwahlrechts am Beginn des 21. Jahrhunderts.

In der Gegenwart werden gute Erfahrungen mit einem Familienwahlrecht in katholischen Kirchengemeinden bei den Wahlen zu Pfarrgemeinderäten in den Diözesen Wien und Fulda gemacht. Im nächsten Jahr werden die sieben bayerischen Diözesen aufgrund einer Initiative des Vorsitzenden des Familienbundes der Katholiken in Bayern, Johannes Schroeter, das Familienwahlrecht einführen. Schroeter ist zugleich Vorsitzender des "Vereins Allgemeines Wahlrecht", einer vor einem Jahrzehnt gegründeten Bürgerinitiative für ein modernes Familienwahlrecht. Wer ein konservatives und gerade darum fortschrittliches Drei-Generationen-Wahlrecht für Deutschland will, sollte sich mit dieser Idee auseinandersetzen. Bereits 1993 sprach sich die Kinderkommission des Deutschen Bundestages für eine ernsthafte Prüfung der Einführung eines Familienwahlrechts aus, das den Eltern für ihre nicht wahlberechtigten Kinder eine Wahlstimme überträgt. Die neuerlichen Bekenntnisse von Politikern aller Parteien für Kinder und Familien sollten auch in der Wahlrechtsgestaltung ihre konkreten Folgen haben.