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28.04.01 Warum Kommunisten sich »entschuldigen«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28. April 2001


SED/PDS/SPD:
Einheit der Linken – diesmal ohne Zwang?
Warum Kommunisten sich »entschuldigen«
von Helmut Bärwald

Erster Akt: Der PDS-Vorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende Ministerpräsident in einer von SPD und PDS gebildeten Regierungskoalition, Helmut Holter, verlangte von seiner Partei Vorleistungen, wenn sie mit der SPD auch weiterhin Regierungsbündnisse eingeht oder eingehen will. Aus offenkundig taktischen Erwägungen forderte Holter, seine Partei solle sich bei der SPD für an Sozialdemokraten begangenes Unrecht im Zusammenhang mit der Vereinigung von SPD und KPD in der SBZ zur SED im April 1946 entschuldigen. Die PDS müsse sich ohne Wenn und Aber zur eigenen Geschichte bekennen, verlangte der ehemalige SED-Funktionär.

Zweiter Akt: Aus dem Hause des Bundesvorstandes der SED-Nachfolgerin PDS kam eine Er-klärung des Sprecherrates der Historischen Kommission der PDS zur SED-Gründung vor 55 Jahren. Diese Erklärung enthält keinerlei Entschuldigung an die zahlreichen Opfer, die der SPD-KPD-Zusammenschluß insbesondere unter den sozialdemokratischen Gegnern dieses Zusammenschlusses gefordert hatte. Die jetzige Stellungnahme der Kommission bringt lediglich Zitate aus einer Erklärung dieses Gremiums vom Dezember 1995 zur SPD-KPD-Vereinigung. Wiederholt werden auch die Warnung der Kommission, "sich in historischen Fragen Ultimaten stellen zu lassen", und die Mahnung, daß es inakzeptabel sei, "Entscheidungen über politisches Vorgehen, über Bündnisse oder Koalitionen von Be- oder Verurteilungen historischer Vorgänge abhängig zu machen, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen". Die PDS-Genossen wurden und werden aufgefordert, nicht zu schweigen, wenn "Geschichte und Politik auf unzulässige Weise vermischt werden" und "einem antikommunistischen und antisozialistischen Zeitgeist keinen Tribut (zu) zollen". "Offen sein für die Sichtweisen aller, denen die Zukunft der Linken am Herzen liegt, aber jene zurückweisen, die uns in die ideologischen Schützengräben des kalten Krieges zurückzerren möchten", tönte es 1995 und tönt es aus der Historischen Kommission der SED-Nachfolger.

Dritter Akt: Drei Tage vor dem 55. Jahrestag der SED-Gründung am 21./22. April traten die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer und ihre Stellvertreterin Pau, die Landesvorsitzende der PDS in Berlin, vor die Öffentlichkeit und präsentierten eine Erklärung "Vor 55 Jahren: gewollt und verfolgt. Geschichte läßt sich nicht aufrechnen." Neben verbalen Verrenkungen, Unwahrheiten und Entstellungen (zum Beispiel sollen unter sozialdemokratischen Regierungen in der Weimarer Republik "Tausende Kommunistinnen und Kommunisten als politische Gefangene in Haft geworfen" worden sein) und Unverfrorenheiten (die beiden  PDS-Oberen "erwarten übrigens von der Sozialdemokratie keine Abbitte für Handlungen, mit denen sie der deutschen Linken Schaden zugefügt hat") enthält das Papier auch diese Eingeständnisse:

"Auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 hatte sich die SED beim ,Volk der DDR‘ dafür entschuldigt, ,daß die ehemalige Führung der SED unser Land in (eine) existenzgefährdende Krise geführt hat‘. Dazu stehen wir und wir meinen aus heutiger Sicht: Dies sollte die Vereinigung von KPD und SPD einschließen. Denn die Gründung und Formierung der SED wurde auch mit politischen Täuschungen, Zwängen und Repressionen vollzogen … Viele, die sich damals dem Zusammenschluß von KPD und SPD verweigerten, bezahlten das mit ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit, nicht wenige mit dem Leben."

Die in der schriftlichen Erklärung ausgesprochene indirekte und äußerst dürftige, vor allem von bündnispolitischen Erwägungen bestimmte "Entschuldigung" der beiden PDS-Oberen erweist sich nach dem Hinweis der PDS-Vorsitzenden, daß es sich bei dem dargebotenen Papier nicht um einen Beschluß des Parteivorstandes der SED-Nachfolger handelt und auch beim nächsten Parteitag nicht zur Abstimmung gestellt werden soll, noch mehr als hoh-les Gerede. Die beiden Verfasserinnen wollen ihre Erklärung in erster Linie an die PDS-Mitglieder gerichtet sehen und in den Vorstand und in andere Gremien der Partei "hineinwirken". Die Reaktionen in der PDS erfolgten sofort. Sie reichen von Zustimmung bis zur entschiedenen Ablehnung. Der ehemalige Chef der PDS-Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, hält die Erklärung der beiden Genossinnen für "schon in Ordnung". Die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung sieht politische Organisationen in der Pflicht, sich der eigenen Geschichte zu stellen. Entschuldigungen seien ein Zeichen des notwendigen Bekenntnisses zur eigenen Verantwortung. Helmut Holter, der PDS-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, nennt die "Entschuldigung" unverhohlen eine "vertrauensbildende Maßnahme" in den Fällen, in denen SPD und PDS aufeinander zugehen oder zugehen werden. Wilfriede Otto, Mitglied des Sprecherrates der Historischen Kommission der PDS, will die Notwendigkeit, sich vor den von Repressalien, Verfolgungen und Terror Betroffenen zu entschuldigen, als "conditio humana" verstanden wissen. Anders die Sprecherin der orthodoxen "Kommunistischen Plattform" in der PDS und Mitglied des Bundesvorstandes der Partei, Sahra Wagen-knecht. Sie äußerte, der Zusammenschluß von SPD und KPD sei "historisch notwendig" gewesen und bedürfe keiner Entschuldigung. Die von den Genossinnen Zimmer und Pau abgegebene "Pauschalentschuldigung" sei Selbstverleugnung, die besonders jene Parteimitglieder beleidige, "die den antifaschistischen Wiederaufbau im Osten Deutschlands ebenso mitgestalteten wie die DDR". Die Kommunistische Plattform warnt davor, die Identität der SED-Nachfolgerin zur Disposition zu stellen. In der PDS-Zeitung "Neues Deutschland" spöttelt ein Kommentator über die "aktuelle Entschuldigung von zwei PDS-Frauen". Ein anderer Schreiber treibt gleichfalls im "Neuen Deutschland" seinen Spott mit den beiden von der PDS aufgebotenen Brautjungfern, die die "SPD allerdings weniger über-raschten als die eigene Partei".

Zur vollen Wahrheit über den Zusammenschluß von SPD und KPD in der SBZ zur SED gehört auch die Feststellung, daß der Begriff "Zwangsvereinigung" nur insoweit berechtigt ist, daß erheblicher Druck und Zwang auf nicht vereinigungswillige Sozialdemo-kraten ausgeübt wurde. Nicht nur von Kommunisten, nicht nur von der sowjetischen Besatzungs-macht. Auch von zahlreichen Funktionären der SPD. In einer 1950 vom SPD-Parteivorstand einer internationalen Sozialisti-schen Konferenz in Kopenhagen vorgelegten Denkschrift "Das System des kommunistischen Terrors in der Sowjetzone" wird festgestellt, daß nicht vereinigungswilligen Sozialdemokraten in der SBZ "durch den Mund des Renegaten Grotewohl*" offen der Kampf angesagt wurde.

Grotewohl hatte auf dem der Vereinigung mit der KPD voran-gegangenen SPD-Parteitag em-phatisch verkündet: "Man hat uns gesagt, wir hätten die SPD verschachert. Wir haben die Sozialdemokratische Partei nicht veschachert … Seht Euch die Initialen dieser SPD an. Wir haben sie verändert. Gewiß: Wir haben das P aus der Mitte herausgenommen, und wir haben das E dafür hineingesetzt."

Es gibt unzählige Zeugen, die meisten von ihnen wegen ihres Widerstandes gegen die Vereini-gung der SPD mit der KPD ver-folgte Sozialdemokraten, die bestätigen: Teilweise massiven Zwang innerhalb der SPD in der SBZ haben der damalige SPD-Zentralausschuß, die Landesver-bände und die Mehrheit der Funktionäre in den Kreis- und Ortsverbänden ausgeübt.

Die Gründung der SED durch den Zusammenschluß von SPD und KPD in der SBZ im April 1946 leitete eine für Mitteldeutschland, für Deutschland insgesamt verhängnisvolle, düstere Periode ein. In Mitteldeutschland etablierte sich ab 1949 der 40 bittere Jahre existierende SED-Unrechtsstaat. Im Jahrbuch 1948/49, herausgegeben vom SPD-Parteivorstand, steht zu lesen:

"Das Schicksal der sozialdemo-kratischen Parteien in Osteuropa beweist, daß das Paktieren mit den Kommunisten den Untergang der Demokratie bedeutet."

In demselben Buch wird als eine der Hauptgefahren in den (noch nicht) kommunistischen, sozialis-tischen Ländern genannt, daß die Kommunisten eines Tages nicht mehr als Feinde von Freiheit und Recht bekämpft, sondern politisch salonfähig und damit bündnisfähig werden können.

In einer vom Ostbüro der SPD (das im Januar 1971 auf sowjeti-sche Intervention aufgelöst wur-de) 1962 herausgegebenen Bro-schüre wird die Entstehung der SED beschrieben als "ein Schulbeispiel für Strategie und Taktik kommunistischer Aktionseinheits- und Volksfrontpolitik. Mit Methoden der Demagogie, der Verlockung und der brutalen Gewaltanwendung wurde das Instrument geschaffen, mit dem die Moskauer Zentrale des Weltkommunismus einen Teil Deutschlands beherrschen und sowjetisieren sowie die Eroberung ganz Deutschlands vorbereiten will".

Der Vorsitzende der SPD in Westdeutschland (später in der Bundesrepublik Deutschland), der Westpreuße Dr. Kurt Schumacher, hatte vier Wochen vor der SED-Gründung auf deren Konsequenzen für Deutschland und die Welt hingewiesen:

"In Wahrheit spielen sich jetzt Auseinandersetzungen auf deut-schem Boden ab, die für ganz Europa und die ganze Welt von Bedeutung sind. Eine scheinbar  parteipolitische Auseinandersetzung (zwischen SPD und KPD in der SBZ – H.B.), die jetzt in Deutschland im Mittelpunkt des Interesses steht, ist tatsächlich ein Stück zukünftigen Schicksals Europas … Es wird Zeit, daß Europa und die Welt selbst erkennen, worum es hier geht, und daß eine Sozialistische Einheitspartei nichts weiter wäre, als die Fortsetzung der KP unter anderem Namen."

Die Sozialdemokraten, die Widerstand gegen die aus dem Zusammenschluß von SPD und KPD hervorgegangene SED leisteten, haben sich wie alle patriotischen Demokraten, die gegen das SED-Regime Widerstand leisteten, auch auf das niemals aufgegebene Ziel der Einheit Deutschlands in Freiheit orientiert.

Die Entschuldigung der beiden PDS-Genossinnen Zimmer und Pau war gewiß auch eine Geste an die SPD auf dem Weg zum stetigen Ausbau der Aktionseinheit und zur Bildung weiterer Koali-itionen oder Allianzen anderer Art. Die PDS-Zeitung "Neues Deutschland" schrieb Anfang Oktober vergangenen Jahres nach einem Treffen der Vorsitzenden