28.03.2024

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12.05.01 Armut und fehlender Gemeinsinn

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Mai 2001


Bilanz:
Armut und fehlender Gemeinsinn
Lagebericht der Regierung bestätigt Misere
von Jürgen Liminski

Armut ist relativ, gewiß. Nach der UN-Definition gilt als arm, wer weniger als einen Dollar am Tag zum Leben hat. Demnach gibt es in Deutschland keinen einzigen Armen. Davor bewahrt die Deutschen die Sozialhilfe, die täglich Millionen kostet. Um diese Sozialhilfe geht es. Auch sie ist relativ. Für manche Politiker ist sie zu hoch, für andere zu niedrig, je nach politischer Konjunktur und Demoskopie. Fest steht und jetzt sozusagen amtlich, daß einige Gruppen in dieser Gesellschaft arm dran sind: Die Arbeitslosen, die Alleinerziehenden, die Geringqualifizierten, die Familien mit mehreren Kindern. Jedes sechste Kind findet sich heute in einem Haushalt, der von Sozialhilfe lebt, insgesamt 1,1 Millionen unter 18 Jahren. Je nach Definition sind zwischen vier und 13 Millionen Deutsche arm.

Ansonsten geht es den Deutschen recht gut, die Riestersche Datensammlung heißt ja auch "Armuts- und Reichtumsbericht". Es gibt mehr Millionäre als früher, knapp zwei Millionen Haushalte verdienen das Doppelte des Durchschnittseinkommens, ein Zehntel aller Haushalte besitzt 42 Prozent des gesamten Privatvermögens, aber die Hälfte aller Haushalte gerade mal 4,5 Prozent. Das Ganze ist, so könnte man mit den Gewerkschaften und etlichen Sozialpolitikern aller Parteien argumentieren, nur eine Frage der Verteilung.

Das ist zu kurz gedacht, genauer: ein Zeugnis deutschen Obrigkeitsdenkens. Man erwartet von Vater Staat, daß er das Risiko der Armut übernimmt, und de facto tut er es auch. Das erhält den sozialen Frieden. So hat schon Bismarck gedacht, als er vor gut hundert Jahren den Fürsorgezwang einführte.

Inzwischen haben die Deutschen zwei Kriege, die Nazis und den Kommunismus überlebt, die Hoffnung auf Vater Staat ist geblieben. Bezeichnenderweise reden wir noch heute vom Sozialstaat und nicht von einer sozialen Gesellschaft, das Soziale wird dem Staat zugeordnet, ist also eine Macht-und-Ordnungsfrage, keine Frage der bürgerlichen oder gar persönlichen Verantwortung. Deshalb ist es auch so leicht, in Deutschland Neid-Debatten zu entfachen und gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen, etwa die Kinderlosen gegen die Kinderreichen oder die Erben gegen die Habenichtse.

Aber die Wirklichkeit hat das Denken überholt. Der Staat verteilt nicht mehr das Risiko, er stopft nur noch Löcher. Zwei Gegenströmungen reißen die staatlich inszenierte Solidarität in die Misere. Zum einen die Demographie. Der funktionierende Sozialstaat mit seinen Umlagesystemen setzt ein bestimmtes demographisches Gefüge voraus. Das gibt es nicht mehr, und die Politik tut auch wenig, um es wieder herzustellen. Außer der Zuwanderung fällt ihr nicht viel ein. Die Experten streiten heute nur noch über den Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sozialsysteme, wenn nichts Grundlegendes geschieht.

Das Grundlegende muß an der Keimzelle der Gesellschaft anfangen, bei der Familie. Es ist beschämend, daß die Politik nur auf Impulse aus Karlsruhe reagiert und sich dann auch noch mit den Wohltaten auf Zwanzig-Mark-Niveau brüstet. Sämtliche Modellrechnungen bescheinigen, und der Armutsbericht jetzt auch, daß die staatliche Umverteilung von den Familien zu den Kinderlosen eine bittere Realität ist, die sich auf rund 160 Milliarden Mark pro Jahr beläuft.

Zum zweiten die Dominanz des Wirtschaftsdenkens. Die Shareholder-Value-Mentalität, das Dividendendenken entläßt immer mehr Menschen in den Sozialstaat. Wenn aber zukunftsfähige Solidarität einerseits auf immer weniger Schultern ruht – vorwiegend denen der Familien, die dafür den Preis der materiellen Armut zahlen – und andererseits über Gebühr in Anspruch genommen wird, dann wird der Sinn für das Gemeinwohl zur Mangelware.

Es ist kein Zufall, daß diese Armut mit der der Familien korreliert. Wo der "natürliche und fundamenta-le Kern der Gesell- schaft"  (UN-Menschenrechtserklärung) krankt, da krankt es auch an Solidarität und an emotionaler Stabilität. Und es ist bezeichnend, daß die wissenschaftliche Literatur "die Erzeugung solidarischen Verhaltens" als einen Grund für den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie nennt. Das sei eine Leistung, die in der Familie "in einer auf andere Weise nicht erreichbaren Effektivität und Qualität" erbracht werde. Wenn die Familie verarmt, verarmt die Gesellschaft.

Fehlender Gemeinsinn – hier ist die wirkliche, die absolute Armut in Deutschland zu finden.