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19.05.01 EU-Osterweiterung: Deutsche Arbeiter erwarten starke Strukturverwerfungen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Mai 2001


EU-Osterweiterung:
Furcht in der Oder-Region
Deutsche Arbeiter erwarten starke Strukturverwerfungen

In den sächsischen, brandenburgischen und pommerschen Grenzregionen wird immer stärker die Forderung nach Übergangsfristen bei der EU-Ost- erweiterung laut. Je näher der Beitrittstermin rückt – geplant ist 2003 – umso nervöser reagieren dort die Wirtschaftsverbände – vom CDU-Wirtschaftsrat übers Handwerk bis zu den Gewerkschaften. Experten erwarten bis zu sechs Millionen "Zuwanderer" aus Osteuropa und sprechen bereits von einer "Völkerwanderung". Diesen Begriff hört man aber in den betroffenen Staatskanzleien höchst ungern.

Kanzler Schröder hat zwar zugesichert, daß er bei den Verhandlungen eine Übergangsfrist von sieben Jahren fordern wird, aber ob das so kommen wird, ist fraglich. Zumal sich ja auch deutsche Politiker und Wirt-schaftsverbände gegen eine solche Sperre aussprechen.

Sollte die Freizügigkeit für osteuropäische Arbeiter kommen, so wird es verschiedene Arten von "Wanderarbeitern" geben: Einige Malocher werden gleich bis nach Köln, Flensburg oder Stuttgart gehen. Und es wird die soge- nannten Pendler aus dem Oder-Neiße-Bereich geben. Sie werden zweifelsohne die größte Gruppe innerhalb der Wanderarbeiter sein und die für die deutsche Sozialstruktur gefährlichste. Denn sie zahlen ihre Miete in Polen, in der Tschechei, kaufen dort ihre Lebensmittel und Bekleidung: Ein solcher Pendler wäre mit einem Monatseinkommen von 1200 Mark brutto schon sehr zufrieden.

Nervös ist man auch in Schwedt. Dort berieten kürzlich gemeinsam die Europaausschüsse der Landtage Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns die EU-Osterweiterung und das Entwicklungskonzept der Euroregion "Pomerania". Dabei schrecken viele Parlamentarier auch nicht vor wirklichkeitsfremden Allgemeinplätzen zurück. Mehrfach hervorgehoben wurde in Schwedt erneut die hohe Bedeutung der Grenzregionen für das Zusammenwachsen Europas. Minister Kurt Schelter mußte auch in Schwedt beruhigen. Er bezeichnete die siebenjährige Übergangsfrist für die Freizügigkeit nach dem EU-Beitritt Polens als "untere Grenze".

Noch deutlicher wurde Schelter bei einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrates in Frank-furt/Oder. Der Minister sicherte den Handwerkern erneut zu, daß es Übergangsfristen und ein Sonderprogramm für die Grenzregionen geben werde. Er warnte aber auch nachdrücklich vor "Horrorszenarien". Besonders ärgerte er sich über den Begriff einer bevorstehenden "Völkerwanderung" von bis zu sechs Millionen Arbeitern aus Osteuropa. Dies sei nicht zu befürchten.

Besonders zwischen Wolf Burkhard Wenkel von der Fachgemeinschaft Bau und Schelter entspann sich ein teilweise scharf geführtes Streitgespräch. Wenkel befürchtet, daß es durch polnische Betriebe zu einem erheblichen Arbeitsplatzverlust kommen werde. Wenkel verwahrte sich dagegen, von Schelter als ein "Schürer von dumpfen Ängsten" bezeichnet zu werden. Er wolle sagen, was sich sonst keiner zu sagen traue: Ohne Übergangsfristen könnten bei-spielsweise brandenburgische Firmen ihre komplette Belegschaft einfach gegen polnische Arbeiter austauschen. Sein Verband fordere daher für mindestens zehn Jahre Übergangsregelungen. Mehrere Geschäftsführer äußerten die Befürchtung: "Hundertprozentig wird es hier zu einem Arbeits-platzabbau kommen."

Schelter appellierte an die Wirtschaftsverbände, ihre Mitgliedsfirmen für die Osterwei-terung zu begeistern, damit im Wahljahr 2002 nicht "diejenigen von den Horrorszenarien profitieren, denen nichts an einer guten Lösung liegt".

Am letzten April-Wochenende haben Handwerker auf einer Tagung über die Folgen der Ost-erweiterung für den Mittelstand beraten. Fast alle Meister forderten sowohl langjährige Übergangsfristen für Arbeitnehmer wie auch für Betriebe aus Osteuropa.

Staatstragend optimistisch war natürlich der Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Otto Ebnet. Das Handwerk in Mecklenburg-Vorpommern steht durch die geplante EU-Osterweiterung in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen. Wo in den deutschen Grenzregionen jetzt noch Handwerker oder Ausbaufirmen um ihre Existenz fürchteten, lägen auch Chancen: Von der mit der Erweiterung kommenden Freizügigkeit würden "auf Dauer beide Seiten profitieren". Julius Andresen