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19.05.01 Interessante Details östlicher Kulturgeschichte auf Seminar im Ostheim erörtert

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Mai 2001


Religion und Kirche in Ostpreußen
Interessante Details östlicher Kulturgeschichte auf Seminar im Ostheim erörtert

Bad Pyrmont – Das Wetter spielte überhaupt nicht mit, als die Teilnehmer des Seminars für Kulturreferenten bei strömendem Regen in Bad Pyrmont anreisten. Doch die anheimelnde Atmosphäre im Ostheim und die Aussicht auf interessante Tage hellten die Stimmung bald auf.

Dafür sorgte gleich am ersten Abend Ruth Geede mit einer ausgewogenen Auswahl von besinnlichen und heiteren Texten. Der Seminarleiter Dr. Sebastian Husen mußte bei der Begrüßung bekanntgeben, daß einer der Referenten leider abgesagt habe, doch sollte diese "Lücke" später sinnvoll ausgefüllt werden.

Das dichte Programm begann mit dem Diavortrag "Die deutsche Backsteingotik unter besonderer Berücksichtigung Ostpreußens" von Prof. Dr. Roderich Fuhrmann. Der Referent betonte, daß er die ostpreußische Geschichte deutlich machen und zudem die Komplexität der nordöstlichen Kultur zeigen wolle. Das gelang ihm denn auch mit einer Fülle von Bildmaterial. Aufnahmen von der Marienkirche und vom Dom zu Lübeck, der Marienkirche zu Wismar, der Kirchen St. Jakobi und St. Nikolai sowie der Marienkirche zu Stralsund, der Marienkirche zu Danzig und des Königsberger Doms – um nur die wichtigsten Stationen zu nennen – dokumentierten die Backsteingotik des Ostseeraumes. Durch den Fachmann für Architekturgeschichte erfuhren die Zuhörer Einzelheiten der Bautechnik und der Steinbearbeitung. Ebenso detailliert wurden die Rathäuser von Lübeck, Breslau, Tangermünde, Thorn und Allenstein vorgestellt, um auch hier nur einige Bauten zu erwähnen. Der deutsche Orden hat Baustile und Techniken der Araber und Römer aus dem Heiligen Land und aus Spanien in den Norden gebracht. So ist der Binnenhof der Burg Heilsberg nach mittelmeerischem Prinzip gestaltet, und in der Marienburg findet sich das "Prinzip Alhambra". Kleinliche nationalistische Streitereien, so der Referent, sollten sich angesichts dieses imposanten Kapitels europäischer Kulturgeschichte verlaufen.

Ausführlich stellte Diakon i. R. Gerhard Hoyer "Das Schicksal und Wirken der evangelischen Salzburger von der Vertreibung bis heute" dar. Das Emigrationspatent des Salzburger Fürstbischofs Freiherr von Firmian im Herbst 1731 war das Ende und der Höhepunkt der jahrzehntelangen Verfolgung der Protestanten in Österreich. Die "Angesessenen", also die Besitzer und Bauern, hatten eine Frist von drei Monaten, die Besitzlosen von wenigen Wochen. Sie zogen bereits 1731 los, erlebten unbeschreibliches Elend und wanderten in die Niederlande und nach Nordamerika aus. In Georgia gibt es eine Stiftung wie in Gumbinnen. Das Einladungspatent des Soldatenkönigs im Frühjahr 1732 war ein Zeichen der Fürsorge des Königs aus pietistischem Geiste heraus, aber auch eine politisch kluge Entscheidung. Die Vergünstigungen, die den Salzburger Siedlern gewährt wurden, brachten besonders der Provinz Ostpreußen reiche Früchte. Das Vermögen aus dem Verkauf der Salzburger Güter, den der König durch Kommissare veranlaßte, schuf das Gumbinner Hospital. Der 1911 gegründete Salzburger Verein hat die Vertreibung überdauert, gründete sich 1953 neu und errichtete in Bielefeld ein Altenheim und ein Hospital. 1976 wurde dort das "Wohnstift Salzburg" eingeweiht, 1979 das "Haus Gastein". Die Leitworte "Glaube, Hoffnung, Liebe", die Gerhard Hoyer seinen Ausführungen voranstellte, wirken heute für die russischen Bewohner Gumbinnens weiter. Am 31. Oktober 1995 konnte die restaurierte Kirche eingeweiht werden, 1998 dann das Diakonie-Zentrum. Deutsches und russisches Personal nehmen Alten- und Krankenpflege in der Stadt wahr.

Ein interessantes und vielleicht nicht so bekanntes Kapitel ostpreußischer Kirchengeschichte stellte sodann Pastor i. R. Horst Dietrich Schlemm vor, und zwar die Geschichte der Posaunenchöre in Ostpreußen. 1885 wird der erste ostpreußische Posaunenchor erwähnt, und bis zur Vertreibung ließen sich auch in kleinen Gemeinden zwei oder drei Posaunenchöre ausmachen. Eine kartographische Darstellung des Vorkommens der Posaunenchöre interessierte die Zuhörer so sehr, daß sie um die Möglichkeit zur Bestellung baten. Der Referent, der schon mehrere Bände zur Geschichte der Posaunenchöre in verschiedenen Provinzen herausgegeben hat, arbeitet an einem Band über Ostpreußen. Heute gibt es in Deutschland 6700 Posaunenchöre im Posaunenverband.

Die durch den ausgefallenen Vortrag über die Priesterbrüder des Deutschen Ordens gewonnene Zeit wurde mit lebhafter Aussprache ausgefüllt, ja sie reichte kaum aus, um sich über die vielen Informationen auszutauschen. Den Abend gestaltete Ruth Geede mit heiteren Texten; köstlich das Reiseziel Pörschke, das als Kinderparadies für die Sommerferien jeden Badeort aus dem Feld schlägt, oder die typisch ostpreußische "Hochzeit in Wusserau".

Die Referate am Sonntag knüpften an die Themen des Vortages an. Ralph Schröder berichtete von der "Arbeit des Kuratoriums Arnau" und stellte damit ein aktuelles Restaurierungsprojekt vor. Die Katharinenkirche von Arnau, ein Ordensbau aus dem 14. Jahrhundert, ist stehengeblieben, aber als Getreidespeicher genutzt und dadurch innen und außen völlig verändert worden. Ralph Schröder schilderte den jahrlangen Kampf mit den russischen Behörden, ein Erfahrungsbericht, der auch bei einem weniger bedeutsamen Objekt für sich bereits hörenswert war. Der Erfolg hat sich eingestellt: Der Turm der Kirche konnte bereits so weit restauriert werden, daß im Dezember 2000 das Richtfest gefeiert wurde. Der fundierte Vortrag über die Backsteingotik wurde nun durch ein historisch bedeutendes Beispiel ergänzt: die Kirche von Arnau enthält Reste von Fresken, die einmalig auf der ganzen Welt sind. Die beiden Referenten konnten sich als Fachleute austauschen und die Fragen der Zuhörer beantworten.

Ein ebenso weitreichendes Werk humanitärer Hilfe wie das der Salzburger in Gumbinnen war das Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg. Hans-Jürgen Preuß schilderte "Das Königsberger Diakonissen-Mutterhaus" von seiner Gründung 1847 als "Krankenhaus für weibliche Patientinnen ohne Ansehen der Herkunft und Person" bis zu seiner heutigen Bedeutung. 1862 war ein Neubau erforderlich, die Zahl der Mitglieder des Diakonissen-Ordens und die Zahl der Patienten stieg; Außenstellen u. a. in Wartenburg, Memel und Marienwerder wurden gegründet, fast in jedem Kirchspiel war eine Diakonisse tätig. 1930 hatte der Orden mit 1000 Schwestern die höchste Mitgliederzahl, und 1930 wurde in Königsberg das neue Krankenhaus eingeweiht, das modernste Haus Europas. Auch hier war die Vertreibung ein Einschnitt, aber nicht das Ende. Der Diakonissen-Orden fand schließlich in Wetzlar ein neues Zentrum, und das Gebäude des Krankenhauses der Barmherzigkeit hat den Krieg überdauert und wird heute als Gebietskrankenhaus genutzt.

Die Vielschichtigkeit des Seminarthemas "Kirche und Religion in Ostpreußen" war deutlich geworden. Bärbel Beutner