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02.06.01 Das jähe Ende eines Traums oder Der Schicher

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. Juni 2001


Das jähe Ende eines Traums oder Der Schicher
Eine Erzählung von Ruth Geede

Ich weiß nicht, ob Sie auch eine Abneigung gegen Hüte haben. Die Ursprünge meiner Aversion liegen weit zurück und sind begründet. Mit dem Schicher. – Eigentlich war er eine Art Florentiner aus schwarz-weiß gefärbtem Reisstroh mit schwarzem Ripsband. Ich entdeckte ihn beim Kauf einer höchst simplen Küchenschürze im Modehaus Berding & Kühn. Das heißt: Die Schürze kaufte meine Mutter. Denn ich war erst 14 Jahre alt und zum Einkauf von Küchenschürzen gänzlich ungeeignet.

Während meine Mutter zwischen grauem Leinen und schwarzem Satin schwankte, entdeckte ich ihn bei einem Blick in die Modeabteilung. Er war mitten im Raum auf einem Ständer drapiert und sah geradezu traumhaft aus mit seinem weichen Geflecht und dem weiten, geschwungenen Rand. Solche radgroßen Hüte trugen Filmstars wie Greta Garbo oder Asta Nielsen.

Der auf dem Schild verzeichnete Preis ließ mich zusammenzucken: 14 Mark. Nie und nimmer würde meine Mutter soviel Geld für einen Hut ausgeben! Und das bestätigte sie mir dann auch, als sie mich vor dem Hutständer entdeckte: "Was willst du mit solch einem teuren Hut! Du bist doch noch nicht mal eingesegnet."

Damit war für sie die Sache gelaufen. Nicht aber für mich. Ich schlachtete mein Sparschwein, half Muttchen beim Einkaufen und im Haushalt, schrieb eine bemerkenswerte Zwei in Mathematik, und schließlich hatte ich sie butterweich: Wir gingen zu Berding & Kühn und kauften den Hut!

Als ich ihn zu Hause vor dem Dielenspiegel aufsetzte – was sich als schwierig erwies, meine zur "Affenschaukel" gesteckten Zöpfe waren doch sehr hinderlich –, begannen meine Geschwister zu wiehern, und mein großer Bruder platzte heraus: "Menschenskind, was willst du mit solchem Schicher?" Da hatte er seinen Namen weg.

Die Frage meines Bruders war nicht ganz unberechtigt. Wann sollte ich dieses Gebilde aufsetzen? Zur Schule? Unmöglich! Zum Einholen? Zum Angeln auf dem Oberteich? "Zum Pilzesammeln in Groß Raum", grinste mein Bruder, "da haben wir gleich ’nen prima Korb!"

Aber dann kam die Rettung: Pfingsten stand vor der Türe. Diesmal sollte es in die Heimat meiner Mutter im Kreis Stallupönen gehen. Ihre drei unverheirateten Kusinen hatten uns eingeladen. Und so fuhren wir dann los: Meine Mutter, meine Schwester und ich – mit Schicher!

Der kam allerdings erst am Pfingstsonntag zum Einsatz, als alle beschlossen, weitere Verwandte zu besuchen. Zu Fuß! Ich zog mein weißes Seidenkleid an, wählte die neuen Spangenschuhe und premste mir den Schicher auf die Affenschaukel. Meine elegante Erscheinung ließ leider eine der Tanten ungerührt: "Mit den feinen Schuhen kannst du nicht gehen! Da kriegst du Blasen!"

Es blieb mir nichts anderes übrig, als Turnschuhe anzuziehen. Sie trübten doch sehr den Eindruck, wie ich beim Vorbeilatschen im Spiegel feststellte. Trotzdem: Alle guckten mich doch – wie ich meinte – sehr bewundernd an. Nur einige Vettern xten Grades grinsten wie mein Bruder.

Auf dem letzten Hof ließ der Onkel anspannen: "Ihr habt solch einen weiten Nachhauseweg und werdet müde sein!" Dankbar nahmen wir sein Entgegenkommen an, und ich setzte mich erleichtert auf den Bock neben den Kutscher. Ein frohes Winken – und dann geschah es: Ein plötzlicher Windstoß fegte den Schicher von meiner Affenschaukel und unter die Räder des anrollenden Wagens!

Das war das Ende meines Traumes von behüteter Eleganz. Ich nahm das zerplieserte, zerknautschte, verdreckte Gebilde zwar wieder mit nach Königsberg, aber es ging nicht mehr zu reparieren. Mein Bruder entdeckte es später anläßlich einer Familienfeier in Flurschrank und trat mit ihm zur allgemeinen Erheiterung als "Greta Garbo" auf. Was sein endgültiges Aus bedeutete, denn ich riß ihm den Schichertorso wütend vom Kopf und zertrampelte ihn.

Seitdem habe ich nie wieder einen Hut getragen. Ein Schicher genügt für ein ganzes Leben!