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09.06.01 Mit »Väterchen« zum »Hindenburg«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. Juni 2001


Mit »Väterchen« zum »Hindenburg«
von Ulrich Hein

Mein alter Segelfreund, der Freiherr Hans-Dietrich v. Tettau-Tolsk, erzählte gern Geschichten aus seiner ostpreußischen Heimat, und er war ein guter Erzähler. Eine der schönsten Geschichten ist die folgende:

Freiherr von Tettau-Tolsk, bei seinen Freunden kurz Piery genannt, diente seine Militärzeit, entsprechend seinem Status als Mitglied des Landadels, bei einer Kavallerieeinheit ab. Als er Fähnrich wurde, schenkte sein Vater ihm einen "Laubfrosch", einen kleinen Pkw. Wie mir Piery erzählte, hatte er das Gefährt erhalten, damit er während seiner freien Zeit als Soldat leichter den Familiensitz bei Bartenstein erreichen konnte, um sich dort auf seine zukünftige Aufgabe als Gutsherr vorzubereiten. Der "Laubfrosch" war in einer Seitenstraße neben der Garnison untergebracht worden, denn für einen Soldaten im Range eines Fähnrichs war es verboten, mit einem motorisierten Gefährt auf dem Militärgelände zu erscheinen. Der Grund dieses Befehls war wahrscheinlich die Tatsache, daß sich kaum ein Kommandeur ein eigenes Automobil anschaffen konnte und es schlecht aussah, wenn seine Untergebenen mit einem solchen an ihm vorbeifuhren und freundlich grüßten.

Piery hatte seinen "Laubfrosch" erst ein paar Tage und, wie er meinte, ganz heimlich untergebracht, als sein Spieß, ein Oberwachtmeister, ihn höflich fragte, ob er nicht mit ihm und "Väterchen" einmal zum "Hindenburg" fahren könnte, denn das hätte "Väterchen" sich immer gewünscht. Dabei meinte der Oberwachtmeister mit "Väterchen" seinen Vater und mit "Hindenburg" das Hindenburg-Grabmal. Freundlich und hilfsbereit, wie Piery war, willigte er sofort ein. Aber es gab noch einen anderen Grund, warum er seinem Spieß einen Gefallen tun wollte. Es war nämlich nicht so, daß Piery in seiner Freizeit immer auf die Familiengüter fuhr. Nein, die Fähnriche und Leutnants seiner Einheit übten dann so manchen Streich aus, von denen Piery die meisten ausgeheckt hatte. Da war es nur gut, wenn er einen wohlgesonnenen, freundlich verbundenen Spieß an seiner Seite wußte.

Schon kurze Zeit später kam der Oberwachtmeister wieder zu Piery, um einen Termin für das Unternehmen auszumachen. Dabei bat er ihn höflich, er möchte doch so freundlich sein und seine gute Uniform anziehen, denn, wo der "Hindenburg" sei, das sei ein feierlicher Ort und für ihn, den Sohn, sei es auch eine feierliche Sache.

Ein Termin war schnell gefunden, aber dem Piery kam die Angelegenheit etwas merkwürdig vor. Er war der Meinung, der Vater seines Oberwachtmeisters sei vor einiger Zeit verstorben. Als er Erkundigungen machte, wurde seine Vermutung bestätigt. Ja, "Väterchen" war tot. Und das tote "Väterchen" wollte zu "Hindenburg"? Piery merkte, wie er begann, sich bei der Sache unwohl zu fühlen, ja, so langsam wurde ihm rein gruselig.

Und dann kam der große Tag für "Väterchen". In seiner Ausgehuniform mit weißen Handschuhen und Degen traf Piery sich mit seinem Oberwachtmeister bei dem "Laubfrosch". Der Spieß musterte die Rückbank und sagte dann anerkennend: "Ja, das ist ein guter Platz für "Väterchen", da kann er während der Fahrt nach beiden Seiten sehen. Aber fahren Sie bitte nicht so schnell, damit er nicht umkippt." Nun wußte Piery überhaupt nicht mehr, was er sagen sollte, aber ihm wurde bewußt, daß er leicht zitterte.

Die Reise begann, indem der Oberwachtmeister Piery zu seinem Wohnhaus dirigierte. Er verschwand in der Tür und schon kurze Zeit später kam er wieder. Vor sich her trug er eine – Urne. Diese stellte er auf den Rücksitz, und nachdem er den blaß gewordenen Piery noch einmal gebeten hatte, vorsichtig zu fahren, ging die Reise los in Richtung Tannenberg zum "Hindenburg".

Sobald sie aus der Stadt waren, drehte der Spieß sich um und erklärte während der Fahrt "Väterchen" die Besonderheiten der Gegend, die sie durchfuhren. Bei "Hindenburg" angekommen, wurde "Väterchen" aus dem Wagen genommen. Der Spieß trug ihn feierlich vor sich her, und Piery in seiner Ausgehuniform folgte den beiden mit drei Schritten Abstand. So marschierten sie in den Ehrenhof ein. In der Mitte einer Seitenwand, gegenüber dem Eingangsportal, wurde "Väterchen" in eine Nische gestellt, und sein Sohn erklärte ihm mit ausgestrecktem Arm die Feldzeichen der siegreichen deutschen Einheiten bei der Schlacht von Tannenberg, die in weiter Runde angeordnet waren. Zum Schluß wies er noch auf die Plätze, auf denen bei der Einweihung die hohen Politiker und Militärs gestanden hatten. Dann wurde "Väterchen" aus der Nische genommen, in entsprechender Prozession aus der Ruhmesstätte getragen und schließlich wieder auf die Rückbank des "Laubfrosches" gestellt.

Piery erklärte mir, daß die Zeit danach die schönste und fröhlichste seines Soldatenlebens gewesen sei. "Weißt du, wir haben nie Langeweile gehabt, immer ist irgend etwas passiert, und mein Spieß hat mich stets gedeckt. Ich glaube, er wußte, wenn ich es war, der etwas ausgeheckt hatte, denn bei diesen Gelegenheiten lächelte er mich jedesmal so mitwissend an."