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16.06.01 Reinhold Begas’ Kunstwerk wurde am 16. Juni 1901 in Anwesenheit des Kaisers feierlich eingeweiht

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. Juni 2001


100 Jahre Bismarck-Denkmal:
Vom Reichstag an den Großen Stern
Reinhold Begas’ Kunstwerk wurde am 16. Juni 1901 in Anwesenheit des Kaisers feierlich eingeweiht
von Manuel Ruoff

Anläßlich des 80. Geburtstages des Fürsten Otto v. Bismarck wurde 1895 ein Wettbewerb für die Schaffung eines Nationaldenkmals ausgeschrieben. Obwohl sich immerhin 90 Künstler beteiligten, vermochte keiner der in der Maschinenhalle des Landesausstellungsparks ausgestellten Entwürfe zu überzeugen. Der bekannte Architekt Hermann Muthesius formulierte es wie folgt: "Ist die jetzige Bildhauerkunst nicht mehr imstande, eine große Aufgabe zu lösen? Man durchschreite die lange Reihe der Entwürfe, und man wird sich niedergedrückt eingestehen müssen, daß hier wenigstens von einer wirklichen Lösung nicht die Rede sein kann …"

Angesichts des derart unbefriedigenden Wettbewerbsergebnisses erhielt statt eines Wettbewerbsteilnehmers ein anderer, Reinhold Begas, den Auftrag. Dieser Vertreter des Neobarocks entsprach dem Geschmack und genoß die Gunst des damaligen Kaisers Wilhelm II. Der Erbauer des Reichstagsgebäudes, Paul Wallot, formulierte es nach einer zuvor erfahrenen Beleidigung durch Wilhelm II. gegenüber seinem Freund Friedrich Bluntschli wie folgt: "Begas ist der Ohrenbläser und zugleich derjenige, auf dessen Genie und Urtheil der Kaiser und seine liebe Mamm – vom Papa lohnt es sich nicht zu reden – unbedingt schwören."

Wie den Auftrag für das Bis-marck-Denkmal hatte Begas vorher schon jenen für das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal vor dem Berliner Schloß auf außergewöhnliche Art und Weise gewonnen. Nachdem er beim Wettbewerb um das Wilhelm-Denkmal gegen die Wallot-Mitarbeiter Paul Pfann und Wilhelm Rettig verloren hatte, erfolgte 1891 eine zweite Ausschreibung für acht namentlich eingeladene Künstler. Als Begas nachträglich nominiert wurde, verzichteten vier der acht auf eine Beteiligung und der Nachnominierte gewann.

Am 16. Juni 1901 wurde das Denkmal des Reichsgründers vor dem Reichstag in Anwesenheit des Kaisers enthüllt. Für etwa 500 000 Mark erhielt die Reichshauptstadt eine 6,6 Meter hohe bronzene Kanzlerfigur auf einem mehrstufigen roten Granitsockel von etwa acht Metern Höhe. Die Bronzefigur zeigte den Kanzler in seinem Kürassierrock, den er auch bei seinen Auftritten im Reichstag zu tragen pflegte, nicht reitend wie ein Herrscher oder sitzend wie ein Philosoph oder Künstler, sondern stehend. Den Helm in den Nacken geschoben und den Griff des Pallasches mit der linken Hand haltend, ruhte seine rechte auf der neben ihm liegenden Stiftungsurkunde des Reiches, ein Verweis auf die größte Leistung des Regierungschefs. Mit den Inschriften "Bismarck" vorne und "Dem ersten Reichskanzler das deutsche Volk 1901" hinten wurden auf dem Sockel der Geehrte sowie die Ehrenden und das Datum der Ehrung genannt. Über die (anfänglich) ebenfalls zum Denk-mal gehörenden Allegorien und deren Bedeutung gibt eine zeitgenössische Broschüre Auskunft, aus der das folgende Zitat stammt.

"Treten wir gerade vor das Denkmal, so bemerken wir unten am Sockel drei Reliefs; das eine stellt ein Kind am Gängelbande dar, das zweite einen Mann auf einem Bärenfell, das dritte raufende Buben. Auf dem Bärenfell pflegten die Germanen zu Ta-citus’ Zeit zu liegen, und richtig, da sind auch die Legionen, die in das Land des Bärenhäuters eingedrungen sind. Doch betrachten wir uns letzteren genauer. Kein Zweifel, es ist Michel, deutlich verrät es die Zipfelmütze, die ihm vom Kopfe hängt. Ein göttlich schönes Weib weckt ihn aus seiner Ruhe und zeigt ihm den eingedrungenen Feind, er jedoch richtet nur das stupide Haupt empor und bleibt träge auf der Bärenhaut liegen. Aber das Rad der Geschichte ist weitergerollt. Michel hat sich entwickelt und ist ein kräftiger, gesunder Schlingel geworden. Ein Blick auf das linke Relief beweist es. Muskulös ist er, grobbäurisch, stämmig, doch ohne jede Anmut. Mit Buben, viel kleiner als er selber, balgt er sich herum, er allein mit vielen. Das ist kein ritterlicher Kampf mit Degen oder Pi-stole, sondern eine Gassenjungenschlacht. Die Fäuste braucht Michel, dem einen zaust er das Haar, dem anderen zerreißt er das Gewand. Wer sind die Unholde? Es sind Michels Feinde, nicht die waffenstarrenden, sondern die viel gefährlicheren, mit kleinlichen Mitteln kämpfenden, die Kleinstaaterei. Aber Michel hat gut geprügelt, wir sehen es auf der hinteren Seite des Sockels, im linken Felde. Bellona, die Kriegsgöttin, lenkt von ihrem Siegeswagen herab zwei jagende Rosse, vor ihnen aber läuft im schnellsten Laufe Michel. Einen frischen Zweig schwingt er in der Hand als Zeichen, daß er Ruhm geerntet hat. Und mit dem Siege ist auch der Feind gekommen. Auf dem rechten Relief steigt Bellona von ihrem Wagen herab und übergibt dem dankbaren Volke einen Palmzweig. Ihre Rosse hat sie abgeschirrt und läßt sie grasen. Und in der Mitte dieser Darstellungen des Kriegs und Friedens sehen wir auf einem dritten Relief eine thronende Germania, die ihre eine Hand der Kunst, die andere der Arbeit reicht. Jetzt verstehen wir auch das Kind am Gängelbande an der vorderen Seite. Es ist Michel in seiner frühesten Kindheit. Mit strammen Beinchen macht er seine ersten ungeschickten Gehversuche. Der Künstler führt uns hier in die älteste, vorrömische Zeit Deutschlands. Der Kleine ist in guter Hand, denn das haltende Band ruht in den Händen einer liebreizenden Göttin, während seine Mutter (die Erde) freudig ihre Arme ausstreckt, ihren Liebling zu empfangen. Unabhängig von dieser zusammenhängenden Reihe sind die beiden Reliefs am Postament selber. Auf der rechten Seite ist ein Mann mit einer Fackel in der Hand gebildet, ein zweiter, der in die Posaune stößt, während im Hintergrunde eine Bismarckbüste von Genien bekränzt wird. Auf der linken Seite ist ein Uhu dargestellt, der Vogel der Wissenschaft, von Raben und Geiern umkrächzt. Dies letztere Relief verkörpert die wissenschaftliche Bismarcklite-ratur, darum ist das Kleeblatt, das Wappenzeichen derer von Bis-marck, ferner Küraß, Helm, Pallasch hier mitgebildet. Sie ist von finsteren Mächten bedroht, allein die Nachtvögel schreien nur, der Uhu läßt sich durch sie nicht aus seiner Ruhe stören. – Das andere Relief stellt die Wahrheit dar, die, ungehindert durch feindliche Kräfte, Bismarck den Lorbeer um das Haupt flicht.

Der Knabe reift zum Manne. An der Hinterfläche des Sockels sehen wir die Kolossalgestalt eines Mannes, der ein Schwert schmie-det. Er trägt nicht bäurische Züge, und doch ist es Michel, kann es nur Michel sein, es ist Michel, der zum Gotte Germaniens heran-gewachsen ist. Mit gewaltiger Faust hämmert er das deutsche Schwert, um von nun an als Mann zu kämpfen, nicht mehr als Bube. Und die Früchte seiner Mühen sind ihm nicht versagt geblieben, denn vorn am Sockel hockt ein Mann, der die Erdkugel trägt. Kein Atlas ist es, sondern der Gott Germaniens, deutlich trägt er die Züge des schmiedenden Mannes an der hinteren Fläche. Die Erdkugel ist so gedreht, daß die afrikanische Küste und Australien mit den be- nachbarten Inseln Neuguinea, Neupommern, Neumecklenburg, Neuhannover besonders hervortreten. Das ist kein Zufall; denn die Besiedelung Afrikas durch Deutschland war das Werk Bismarcks, und die Gewässer, in denen die Inseln liegen, tragen den Namen Bismarckarchipel. Auf Neuguinea befindet sich ferner das Bismarckgebirge, nördlich von Neupommern liegt eine kleine Inselgruppe Neulauenburg, südlich hiervon die kleine Insel Kerawara mit der Herbertshöhe, dem Hauptsitz der Neuguineakompagnie.

So verkörpern die Darstellungen am Sockel die gesamte Geschichte des deutschen Volkes. Von frü- hester Kindheit beginnend, hat der Künstler uns hier in Allegorien einen Abriß seiner Leiden und seiner Heldentaten gegeben. (…)

Noch zwei weitere Darstellungen zeigt das Denkmal. Zur Linken sehen wir die Kolossalsta-tue einer Germania, das Haupt nach Westen gerichtet, den Fuß auf den Hals eines Tigers gesetzt. Sie stellt den Sieg Deutschlands über Frankreich dar, im Helme trägt sie deshalb das eiserne Kreuz. Zur Rechten aber blickt die Sphinx in die rätselhafte Ferne, und auf ihr sitzt ein Weib, das Schicksal, das mit fürchterlichem Ernst in einem Buch blättert, in das unlesbare Zeichen geschrie-ben sind. "

Im Gegensatz zu Reinhold Begas Kaiser-Wilhelm-Denkmal, das nach dem Zweiten Weltkrieg mit Ausnahme der Löwen einge-schmolzen wurde, blieb sein Bismarck-Denkmal erhalten, wenn auch nicht mehr am alten Orte. 1938 ließ der Generalinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt Albert Speer mit dem Bismarck-Denkmal auch die Siegessäule sowie die am 24. Oktober 1904 enthüllten Denkmäler für die Generalfeldmarschälle Helmuth Graf v. Moltke und Albrecht Graf v. Roon vom damaligen Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik, entfernen, um Platz für das geplante neue politische und städtebauliche Zentrum im Spreebogen zu schaffen. Am Abend vor Adolf Hitlers 50. Geburtstag, am 19. April 1939 wurden die vier an ihrem neuen Standort Großer Stern zusammen mit dem ersten Abschnitt der umgestalteten Ost-West-Achse vom Brandenburger Tor bis zum damaligen Adolf-Hitler- und heutigen Theodor-Heuss-Platz eingeweiht. An der Nordseite des Großen Sterns, zirka 50 Meter in den angrenzenden Bellevuepark hineingerückt, fand das Denkmal für Otto v. Bismarck seinen vorerst letzten Standort.

Der Umzug von einem Platz in einen Park wurde mit Umbauten verbunden, welche die Wirkung des Denkmals zusätzlich einschränkten. So wurden die Begleitfiguren um etwa einen Meter an das Standbild des Fürsten herangerückt sowie der Stufenunterbau um einige Stufen verkleinert. Schmaler und niedriger ist die Anlage dadurch geworden. Zudem hat sie inzwischen die sechs Reliefs der Reliefserie am Sockel verloren.

Unter anderem der Dramatiker Rolf Hochhuth hat sich bemüht, dem Denkmal wenigstens seinen ihm in der NS-Zeit genommenen angestammten Platz vor der deutschen Volksvertretung zu-rückzugeben, aber dafür ist der Gründer des Deutschen Reiches Otto v. Bismarck in der Berliner Republik wohl (noch) nicht gut genug gelitten.