19.04.2024

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30.06.01 Deutsche Schriftsteller erzählen von einer ganz besonderen Leidenschaft

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. Juni 2001


Reisen – welch ein Glück, welch eine Lust
Deutsche Schriftsteller erzählen von einer ganz besonderen Leidenschaft
von SILKE OSMAN

Jetzt rollen sie wieder, die modernen Karawanen. Die große Reisewelle dieses Sommers hat begonnen, und Auto reiht sich an Auto; an den Flughäfen drängeln sich die Menschen an den Schaltern, auf den Bahnhöfen warten sie auf die Ankunft des Zuges, der sie an ihr Reiseziel bringen soll. Seit Jahrhunderten zieht es die Menschen fort aus ihrem Alltag. So jubilierte schon der Dichter Joseph von Eichendorff (1788–1857): "Und so nahm ich meine Geige von der Wand, ließ Rechnungsbuch, Schlafrock, Pantoffeln, Pfeifen und Parasol liegen und wanderte arm, wie ich gekommen war, aus meinem Häuschen und auf der glänzenden Landstraße von dannen. Ich blickte noch oft zurück; mir war gar seltsam zumute, so traurig und doch so überaus fröhlich, wie ein Vogel, der aus seinem Käfig ausreißt." – Was ist es, das die Menschen durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder antreibt, die gewohnte Umgebung zu verlassen und auf Reisen zu gehen? "Das ist das Angenehme auf Reisen, daß auch das Gewöhnliche durch die Neuheit und Überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt", erkannte Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832).

Und wer reist, kann etwas erzählen. Die früheste gedruckte Sammlung von Reiseberichten erschien 1507 in Italien: "Paesi Novamente Retrovati, Die Neugefundenen Länder" und enthielt Mitteilungen über die Reise Vasco da Gamas nach Indien, Berichte über die Entdeckungen Brasiliens, Guayanas und Venezuelas und über die Erforschung des Amazonas-Deltas. Der Danziger Georg Forster (1754–1794), der im Alter von 17 Jahren seinen Vater Johann Reinhold Forster auf der zweiten Weltumsegelung James Cooks begleitete und dabei Neuseeland und die Südsee kennenlernte, veröffentlichte bald nach seiner Rückkehr 1775 seine Erlebnisse dieser drei Jahre. Auch mit seinen "Ansichten vom Niederrhein", erschienen 1791 in der Vossischen Buchhandlung Berlin, erwarb sich Forster einen Nachruhm, der bis in unsere Tage wirkt. Darin beschreibt er in Tagebuchform die Erlebnisse auf einer Reise im April, Mai, Juni 1790, die ihn von Brabant, Flandern, Holland bis nach England und Frankreich führte.

Auch Bogumil Goltz (1801–1870), der seit 1847 als freier Schriftsteller in Thorn lebte, bereiste die Welt, oder besser Europa. Er kam bis nach Ägypten (1849) und veröffentlichte vier Jahre später seine Reisebilder "Ein Kleinstädter in Ägypten". In nicht gar so entfernte Gegenden führte es den Danziger Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726–1801), der sich 1773 auf die Reise von Berlin nach Danzig begab, ein nicht minder abenteuerliches Unterfangen in dieser Zeit. Auf dieser Reise entstand ein Tagebuch (in französischer Sprache), und natürlich war der Skizzenblock mit von der Partie. Beides wurde nach dem Tod des Künstlers mehrfach der Öffentlichkeit präsentiert, wenn auch das Original des Tagebuchs als verschollen gilt und nur eine Abschrift existiert. Einen Namen als Reiseschriftstellerin machte sich auch die in Danzig geborene Johanna Schopenhauer (1766–1838). Mit ihren Schilderungen der Reisen nach England und Frankreich (1803–1805) begeisterte sie ein großes Publikum.

Bereits 1774 erkannte der Mohrunger Johann Gottfried Herder (1744–1803): "Unsere Reisebeschreibungen mehren und beßern sich ... wir sammeln Materialien aus aller Welt Ende und werden in ihnen einst finden, was wir am wenigsten suchten, Erörterungen der Geschichte der wichtigsten menschlichen Welt ... das Gefühl allgemeiner Menschheit und Glückseligkeit wird rege werden ... Geschichte der Menschheit im edelsten Verstande – du wirst werden." Weniger glücklich allerdings ist Herder selbst, als er sich auf Reisen nach Italien begibt. Anders als sein Freund Goethe fühlt er sich als ein "nordliches Wesen" und somit mehr dem eigenen Kulturkreis verbunden, und so entsteht auch kein Reisebericht: "Um eine schöne, wenigstens gern gelesene Reise schreiben zu können, muß man auf der Reise selbst gerade so wohl und behaglich gewesen sein, um seine Individualität zur Hälfte vergessen und zur Hälfte mit Allem, was man niederschrieb, verweben zu können ... Ich habe mich nie ganz behaglich in Italien gefunden; daher werde ich es auch mir nie einfallen lassen, eine Reise über Italien zu schreiben", erläuterte Herder seinem Freund Böttiger. Wenn man heute dennoch über den Verlauf der Reise informiert ist, dann liegt das nicht zuletzt in dem umfangreichen Briefwechsel begründet, den Herder mit den Seinen von Italien aus führte.

Am 6. August 1788 war der Mohrunger Herder, der zu dieser Zeit als Superintendent in Weimar wirkte, in Begleitung des Trierer Domherrn von Dalberg nach Italien aufgebrochen, eine Reise, die bis zum 9. Juli 1789 währen sollte und die dem Theologen allerlei Ungemach bereitete. Während in Italien für Goethe, der das Land 1786 für 20 Monate bereiste und mit seiner "Italienischen Reise" die Sehnsucht der Deutschen nach dem sonnigen Süden weckte, hauptsächlich Rom mit seinen Kulturschätzen von Bedeutung war, empfand Herder vor allem Neapel als wohltuend für Leib und Seele. So schrieb er am 6. Januar 1789 an seine Frau Caroline: "Vom drückenden Rom befreit fühle ich mich wie einen ganz anderen Menschen, wiedergeboren an Leib und Seele ... hier ist eine Welt, die Gott gemacht hat, Gesundheit, Ruhe und Leben ..."

Nicht zuletzt angeregt durch Goethes "Italienische Reise" zog es einen anderen Ostpreußen nach Italien, den Neidenburger Ferdinand Gregorovius (1821–1891). 1852 bereiste er zum ersten Mal "das Land, wo die Zitronen blühen"; 1854 zog es ihn nach Korsika. Mit der Beschreibung dieser Mittelmeerinsel begründete er sein literarisches Schaffen, dessen Krönung die Veröffentlichung der "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" war und für die der Ostpreuße 1876 zum Ehrenbürger der Stadt Rom ernannt wurde. Bis zu seinem Tod reiste Ferdinand Gregorovius immer wieder durch Italien; viele Aufsätze entstanden auf diesen Fahrten. Seine "Wanderjahre in Italien" sind der Italienreise Goethes durchaus ebenbürtig, vermitteln beide doch auf unnachahmliche Weise italienische Kultur, wirken beide als "Urkunde nordsüdlicher Kulturbegegnung".

Eine Landschaft poetisch darzustellen, dazu fand Gregorovius jedoch schon vor seiner Begegnung mit Italien. 1851 wurde er gebeten, Berichte über Land und Leute seiner heimatlichen Provinz für den Herausgeber des "Deutschen Museums" zu schreiben. Es entstanden "Sommeridyllen vom samländischen Ufer", die 1852 erschienen und heute unter dem Titel "Idyllen vom baltischen Ufer" bekannt sind. Vor allem die Schilderungen des sommerlichen Badelebens des Königsberger Bürgertums ergötzen noch heute. Neukuhren, Rauschen oder auch Warnicken werden eingehend beschrieben. Über Cranz allerdings findet der Neidenburger keine schmeichelhaften Worte: "Kranz war das erste Bad, welches die Regierung anlegte – es ist noch heute eine Staatsrevenue, aber nicht zum Vortheil der Badegäste. Seitdem gibt es an der nördlichen Küste Samlands in einer Entfernung von vier Stunden, von dem Dorfe Rantau bis zu dem Leuchtthurm von Brüsterort kaum ein Stranddörfchen, das nicht Badegäste beherbergte ..."

Man schrieb das Jahr 1816, als Cranz, ein "unwirtliches armes Dorf von 300 Einwohnern mit 45 Feuerstellen", zum Königlichen Ostseebad erhoben wurde. Das Dorf, nur 28 Kilometer von Königsberg entfernt und damals in nur einer halben bis einer Stunde mit der Eisenbahn zu erreichen, so ein Reiseführer aus dem Jahr 1926, verfügte zunächst über zwei Badezellen und wurde von 35 Badegästen besucht. 110 Jahre später nennt der Reiseführer diverse Hotels, Pensionen, möblierte Wohnungen, Restaurants und Konditoreien. Es gibt Amüsements durch Theater, Konzerte und Sport. Gerühmt wird die kräftige Brandung, der ausgezeichnete Badestrand und die äußerst wirksamen Moorbäder. Vor dem Ersten Weltkrieg zählte man jährlich 15 000 Gäste, dazu kamen noch etwa 200 000 Tagesgäste.

Zu diesen Gästen gehörte einst auch Agnes Miegel (1879–1964). In ihrem Gedicht "Cranz" hat sie ihre Eindrücke festgehalten: "An dieser Bucht hab ich als Kind gespielt,/ Der Sand war sonndurchglüht und weich und warm./ Geborgen wie in einer Greisin Arm/ lag ich am Hang der Düne./ Drunten hielt/ Schnaubend der Brandung schäumendes Gespann./ Auf flockig weiße Mähnen schien das Licht./ Und manchmal sahn, mit triefendem Gesicht/ grünäugig mich des Meeres Töchter an,/ Und warfen Muscheln an den Strand und Tang/ Und duckten jäh mit schrillem Möwenschrei./ Der feuchte Seewind strich an mir vorbei./Ich aber lag geborgen an dem Hang/ Der weißen Düne. In den Sand gekrallt/ So wie ein Kätzchen liegt im warmen Schoß./ Und wohlig blinzelnd und gedankenlos/ Spürt ich, sie wacht –/ Heilig,vertraut, uralt." – Eindrucksvoll auch ihre Beschreibung von der ersten Begegnung des Kindes mit der See: "... Der Weg wurde immer sandiger; ich stieß mit jedem Schritt gegen mahlende Sandhaufen, die hell und weiß und gläsern glänzend wa-ren ... Bläulichgraues Gras, hart und breit wie Bänder, starrte aus dem Sand. Halbverweht tauchten grauverwitterte Planken daraus hervor. Schwatzen, Lachen, Schreien, Kreischen, Plätschern. Eine lange Reihe hellgrün gestrichener Buden, grell in der Sonne, nach Harz und Leinen dünstend, stand plötzlich vor uns auf hohem Sand, vor dem hitzeflimmernden blauen Himmel ... Ich hing auf Mutters Arm, hielt sie umklammert, sah Sonne und Menschen und Sand. Und sah dahinter Frauen und Kinder halbnackt oder glänzend blank und bunt, kreischend und plätschernd in einem kleinen Bezirk, eingefriedet wie in einem Fohlengarten, in etwas, was viel blauer war als der Himmel, glänzend blank und glitzernd wie ein Fisch, unendlich groß, hoch wie eine Wand, gebreitet wie ein Tuch, wie eine Wiese. Etwas, was aufglänzend mit kleinen verfließenden Glasstreifen auf den Sand schlug, immerfort. ‚Die See!‘ sagte ich leise, Mutter nickte ..."

Ob Nord, ob Süd, ob See, ob Gebirge, das Erlebnis fremder Länder fasziniert immer wieder, jung und alt. – Reisen, welch ein Glück, welch eine Lust, Erinnerung, wie wunderbar!